Tachykardiomyopathie

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 17.12.2022

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Synonym(e)

Arrhythmie- induzierte Kardiomyopathie; Rhythmogene Kardiomyopathie; Tachykardie-CM; Tachykardie- Kardiomyopathie; Tachymyopathie

Definition

Unter einer Tachykardiomyopathie (TIC) versteht man eine Form der dilatativen Kardiomyopathie, die zur Dilatation und systolischen Dysfunktion des linken Ventrikels führt (Greten 2010).

Die linksventrikuläre Pumpfunktion liegt dabei definitionsgemäß < 50 % und verbessert sich nach einer Katheterablation um > 15 % (Rotmann 2015).

Obwohl sich die TIC nur langsam entwickelt, kann die Einschränkung der linksventrikulären Funktion letztlich bis zur Ausbildung einer manifesten Herzinsuffizienz führen (Rotmann 2015).

 

Vorkommen

Die Inzidenz der TIC liegt bei ca. 8 % (Rotmann 2015). Die Erkrankung kann in jedem Alter vorkommen und ist selbst bei Ungeborenen in Utero bereits beschrieben worden. Man findet sie ebenso bei Patienten mit Z. n. Herztransplantation (Nerheim 2004).

Ätiologie

Eine Tachykardiomyopathie kann verursacht werden durch:

  • permanente und lang anhaltende Tachykardien, wie sie z. B. beim Vorhofflimmern, der paroxysmalen Tachykardie oder der Kammertachykardie vorkommen. (Greten 2010)
  • gehäufte ventrikuläre Extrasystolen (Chugh 2000)

Man geht davon aus, dass es zu einer TIC kommen kann, wenn:

  • ca. 22 % der Gesamtschläge aus ventrikulären Extrasystolen (VES) bestehen
  • eine QRS- Dauer der VES von > 150 ms vorhanden ist
  • eine retrograde P- Welle nach der VES auftritt
  • interpolierte VES vorhanden sind (Rotmann 2015)

Pathophysiologie

Die pathophysiologischen Vorgänge einer TIC sind nicht vollständig geklärt. Eine Rolle spielen Veränderungen des Myokards wie z. B.:

  • subklinische Ischämie
  • Störungen im Energiestoffwechsel
  • Störungen der Redox- Reaktion
  • intrazelluläre Calcium- Überladung (Martin 2017)

 

Klinisches Bild

Oftmals sind die Patienten lange Zeit beschwerdefrei. Ansonsten können bestehen:

Palpitationen

oder Symptome eines Vorhofflimmerns wie z. B.:

  • Dyspnoe
  • Schwindel
  • Verminderung der körperlichen Belastbarkeit
  • Angina pectoris
  • Auftreten einer Embolie (mitunter Erstsymptom) (Pinger 2019)
  • Polyurie (ANP- Wirkung; atriales natriuretisches Peptid bewirkt u. a. die vermehrte Ausscheidung von Natrium und Chlorid durch die Niere) (Herold 2020)

Im fortgeschrittenen Stadium können zusätzlich Zeichen einer Linksherzinsuffizienz bei systolischer Dysfunktion bestehen mit:

  • Belastungsintoleranz
  • Müdigkeit
  • Nykturie (Siegenthaler 2002)

Diagnostik

s. a. Dilatative Kardiomyopathie und Vorhofflimmern

Ruhe EKG / Langzeit- EKG

Im EKG können nachweisbar sein:

und bei Vorhofflimmern:

  • absolute Arrhythmie
  • P- Wellen mit einer Frequenz von 300 – 600 / min sind meistens nur in den Ableitungen V , III und aVF zu erkennen (Baenkler 2010), sie können aber auch fehlen
  • unregelmäßige RR- Intervalle
  • schmale Kammerkomplexe
  • verbreiterte Kammerkomplexe bei zusätzlichen Blockbildern

Diese können einzeln - oder selten - auch in Salven auftreten. Sind meistens Folge einer aberrierenden ventrikulären Leitung (Schenkelblock). Typischerweise erscheinen sie im Gefolge eines langen und anschließend kurzen Schlagintervalls (sog. Ashman- Phänomen - Herold 2020)

  • Mikro- Reentry- Erregungen: im EKG als Flimmerwelle [sog. f- Welle] erkennbar; unregelmäßige Frequenz zwischen 300 – 600 /min., bevorzugt in Ableitung V1 (Fölsch 2000)

 

Bildgebung

s. a. Dilatative Kardiomyopathie und Vorhofflimmern

Transösophageale Echokardiographie (TEE)

Echokardiografisch können vorhanden sein:

  • Dilatation des linken Vorhofes
  • linksatrialer Volumenindex (LAVI) > 34 ml / m² (Pinger 2019)
  • eingeschränkte LVEF (linksventrikuläre Ejektionsfraktion; Normwert 52 % - 72 % [Hagendorff 2017])
  • Zunahme der Wanddicke
  • Hypokinese des linken Ventrikels (Flachskampf 2006)

Labor

Sind Extrasystolen die Ursache der TIC, sollten bestimmt werden:

  • Kalium
  • Magnesium
  • ggf. Digitalisspiegel (Herold 2020)

Komplikation(en)

Bei Patienten mit TIC besteht das Risiko für einen plötzlichen Herztod auf. Dieser wurde auch bei langjährig behandelten, jungen, asymptomatischen Patienten beobachtet. Es wird vermutet, dass durch unbekannte ultrastrukturelle Veränderungen eine verborgene Kardiomyopathie bestehen bleiben kann (Nerheim 2004).

Therapie

Da die Grunderkrankungen differieren, ist auch die Behandlung unterschiedlich:

Tachykardien: Benigne Formen der Tachykardie lassen sich i. d. R. medikamentös bzw. durch Ablation gut einstellen. Die Erfolgsrate einer Katheterablation liegt – sofern keine strukturellen Erkrankungen des Herzens vorliegen – bei ca. 80 % .

Maligne Formen der Tachykardie sind überwiegend polymorph und genetisch bedingt. Bei ihnen besteht immer ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod. Hierbei kann u. U. die Implantation eines Defibrillators (ICD) erforderlich sein (Rotmann 2015).

Vorhofflimmern: Vorhofflimmern (VHF) kann medikamentös, durch elektrische Kardioversion oder Katheterablation therapiert werden. Ausführlichere Angaben s. Vorhofflimmern.

Antikoagulation: Da bei einer Dauer des VHFs von < 48 h bereits Thromben im linken Atrium gefunden wurden, stellt die Antikoagulation eine wichtige therapeutische Maßnahme dar (Stierle 2017)

Mit Hilfe des CHA2 DS2 – VASc – Score lässt sich das Risiko eines Apoplexes bei VHF berechnen:

  • Chronische Herzinsuffizienz oder linksventrikuläre Dysfunktion: 1 Punkt
  • Hypertonie: 1 Punkt
  • Alter ≥ 75 Jahre: 2 Punkte
  • Diabetes mellitus: 1 Punkt
  • Apoplex / TIA / Thromboembolie: 2 Punkte
  • Vaskuläre Vorerkrankung: 1 Punkt
  • Alter 65 – 74 Jahre: 1 Punkt
  • Sex category (weibliches Geschlecht): 1 Punkt

Bei einem Wert von 0 Punkten, ist das Risiko eines Apoplexes gering und eine Antikoagulation nicht erforderlich. Bei ≥ 2 Punkten sollte eine orale Antikoagulation auf jeden Fall erfolgen. Dazwischen ist im Einzelfall zu entscheiden (Baenkler 2010)

Wahl der Antikoagulation nach Empfehlungsgrad und Evidenzgrad der ESC:

- I B: Vitamin- K- Antagonisten wie z. B. Warfarin, Phenprocoumon (INR 2,0 – 3,0 oder höher) bei Patienten mit mittelgradig schwerer Mitralklappenstenose oder nach Implantation mechanischer Herzklappen. Diese Patienten sollten keine NOAK erhalten (Kirchof 2016).

- I A: Bei bestehender Indikation für einen Vitamin- K- Antagonisten sollte, falls es in Frage kommt, einem NOAK wie z. B. Apixaban, Dabigatran, Edoxaban oder Rivaroxaban bevorzugt gegeben werden

- IIb A: Bei bereits mit einem Vitamin- K- Antagonisten vorbehandelten Patienten kann eine Umstellung auf NOAK erfolgen, wenn die TTR nicht stabil ist oder der Patient NOAK bevorzugt und keine Kontraindikationen (z. B. Klappenprothese) aufweist (Kirchof 2016)

Dosierungsempfehlung: Vitamin- K- Antagonisten z. B. Warfarin initial 20 mg / d, weitere Dosierung in Abhängigkeit des INR- Wertes (Ziel- INR von 2,0 – 3,0); Erhaltungsdosis zwischen 2,5 mg – 15 mg / d

Dosierungsempfehlung NOAK: z. B. Apixaban 2 x 2,5 mg – 5 mg / d p.o. (Stierle 2017)

Paroxysmale Tachykardien: Zu den paroxysmalen Tachykardien zählen die AV- Knoten- Reentry- Tachykardie und AV- Reentry- Tachykardie.

Bei der AV- Knoten- Reentry- Tachykardie empfiehlt sich die Slow- Pathway- Ablation, die Ablation des fast- pathway wird inzwischen nicht mehr empfohlen, da hierbei die Erfolgsrate zwar gleich hoch ist, die Gefahr eines kompletten AV- Blocks aber deutlich erhöht ist (Kuck 2007). Die Erfolgsrate liegt > 95 %, die Rezidivrate bei 5 % - 10 % und die Gefahr eines AV- Blocks 3. Grades < 0,5 %. 

Bei der atrioventrikulärer Reentrytachykardie ist die Ablation die Therapie der Wahl. Die Erfolgsrate liegt bei 95 % - 98,5 %, die Rezidivrate bei 5 % (Pinger 2019).

Extrasystolen: Sofern organische Herzerkrankungen vorliegen (wie z. B. eine KHK), sollten diese entsprechend therapiert werden (Herold 2020).

Des weiteren empfiehlt sich die Überprüfung des Kalium- und Magnesiumhaushaltes und ggf. auch des Digitalisspiegels. Die Kalium- und Magnesiumspiegel sollten auf hochnormale Werte eingestellt werden, der Digitalisspiegel im unteren therapeutischen Bereich liegen (je geschädigter ein Herz ist, desto weniger Digitalis verträgt es) (Herold 2020).

Patienten mit Z. n. Myokardinfarkt oder eingeschränkter Pumpleistung sollten mit Antiarrhythmika der Klasse II wie z. B. Betablockern behandelt werden. Diese vermindern das Risiko für Kammerflimmern durch die fehlende intrinsische sympathomimetische Aktivität. Dosierungsempfehlung: z. B. Metoprolol 50 mg – 200 mg / d oral (Herold 2020)

Klasse- I- Antiarrhythmika sind bei Patienten mit strukturellen Herzerkrankungen kontraindiziert, da diese zur Verschlechterung der Prognose führen. Auch Amiodaron und Sotalol verbessern die Prognose nicht. Ab NYHA III führen diese sogar zu einer Verschlechterung der Prognose.

Bei erhöhtem Risiko für Kammerflimmern oder plötzlichen Herztod sollte die Implantation eines ICDs erfolgen (Herold 2020).

Sollte sich der Ursprung der Extrasystolen am rechtsventrikulären Ausflusstrakt befinden (RVOT), kann eine Katheterablation durchgeführt werden (Stierle 2017).

Unterstützende Therapie:

Medikamente wie z. B. Betablocker, Calcium- Antagonisten, Antiarrhythmika Klasse I und II können in der Zeit nach Beseitigung der Ursache der TIC die Reversibilität derer unterstützen (Rotmann 2015).

Dosierungsempfehlung Betablocker: - z. B. Metoprolol 50 mg – 200 mg / d

Dosierungsempfehlung Calciumkanalblocker: - z. B. Verapamil 120 mg – 480 mg / d

Dosierungsempfehlung Antiarrhythmika Klasse I und II: Flecainid 200 mg – 300 mg oral, alternativ: Propafenon 450 mg – 600 mg oral (Kirchof 2016)

Prognose

Es handelt sich bei der TIC um eine - in den meisten Fällen nach Beseitigung der Ursachen - reversible Form der Kardiomyopathie. Bis zur vollständigen Erholung benötigt das Myokard i. d. R. Tage bis Wochen (Greten 2010).

Unterstützen lässt sich die Regeneration durch Medikamente wie z. B. Betablocker, Calcium- Antagonisten, Antiarrhythmika Klasse I und II (Dosierungsempfehlung s. „Therapie“). (Rotmann 2015)

Es sind allerdings auch Todesfälle beschrieben, die unter einer langjährigen Behandlung auftraten (s. „Komplikation“) -  (Nerheim 2004).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Baenkler H W et al. (2010) Kurzlehrbuch Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 72 - 75
  2. Chugh S S et al. (2000) First Evidence of Premature Ventricular Complex-Induced Cardiomyopathy: A Potentially Reversible Cause of Heart Failure. J Cardiovasc Electrophysiol. 11 (3) 328 – 329
  3. Flachskampf F A (2006) Kursbuch Echokardiographie: Unter Berücksichtigung der Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und der KBV Georg Thieme Verlag 88
  4. Fölsch U R et al. (2000) Pathophysiologie. Springer Verlag 78
  5. Greten H et al. (2010) Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 142
  6. Hagendorff A et al. (2017) Basiswissen Echokardiografie: "Ars echocardiographica" - Schritt für Schritt zur korrekten Diagnose. Elsevier 231
  7. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 225
  8. Kirchhof P et al. (2016) ESC Pocket Guidelines: Management von Vorhofflimmern. DGK Börm Bruckmeier Verlag 164
  9. Kuck K H et al. (2007) Leitlinien zur Katheterablation. Clin Res Cardiol (96) 833 - 849
  10. Martin C A et al. (2017) Pathophysiology, diagnosis and treatment of tachycardiomyopathy. Heart Jnl (103) 1543 - 1552
  11. Nerheim P et al. (2004) Heart Failure and Sudden Death in Patients WithTachycardia-Induced Cardiomyopathy andRecurrent Tachycardia. Circulation (110) 247 – 252
  12. Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. 680 – 686
  13. Rotmann B (2015) Ventrikuläre Extrasystolie bei Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung. J Kardiol Austrian 22 (3 – 4) 70 - 75
  14. Siegenthaler W et al. (2002) Siegenthalers Differentialdiagnose: Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Georg Thieme Verlag 618
  15. Stierle U et al. (2014) Klinikleitfaden Kardiologie. Elsevier Urban und Fischer 583, 586
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