Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie I47

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 17.11.2022

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Synonym(e)

AV- junktionale Tachykardie; AV- Reentrytachykardie; Präexzitationssyndrom: Supraventrikuläre Tachykardie, paroxysmale

Erstbeschreiber

Eine Variante der atrioventrikulären Reentrytachykardie, das WPW- Syndrom, wurde 1930 erstmals von Wolff, Parkinson und White beschrieben und nach ihnen benannt (Greten 2010).

 

Definition

Die AV- Knoten- Reentry- Tachykardie (AVNRT) und die atrioventrikuläre-Reentry-Tachykardie (AVRT) wurden früher unter dem Oberbegriff „paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien (PSVT)“ zusammengefasst. Heutzutage differenziert man zwischen beiden Formen der Tachykardie.

Unter einer atrioventrikulären- Reentry- Tachykardie (AVRT) versteht man eine Form der regelmäßigen Tachykardie bei überwiegend Herzgesunden mit einer Frequenz von 120 – 250 Schlägen / min., die durch akzessorische Leitungsbahnen verursacht wird  (Pinger 2019).

Einteilung

Bei der AV- Reentrytachykardie (AVRT) finden sich akzessorische Leitungsbahnen.

Diese Leitungsbahnen werden entsprechend eingeteilt:

  • ihrer Lokalisation nach in:
    • links- rechts
    • anterior
    • superior
    • posterior
    • anterior
    • paraseptal
  • ihrer Leitungseigenschaften nach in:
    • die selten auftretende dekrementale Bahn (hierbei nimmt die Leitungsgeschwindigkeit mit zunehmender Frequenz ab, findet sich z. B. beim Mahaim- Bündel))
    • die häufig auftretende nondekrementale Bahn
  • nach der Leitungsrichtung:
    • antegrad
    • retrograd
    • bidirektional (Pinger 2019)

Die Bahnen werden bezeichnet als:

  • Kent- Bündel (atrioventrikulär)
  • Paladino- Bündel (nodoventrikulär)
  • Mahaim- Bündel (atriofaszikulär)
  • James- Bündel (atrionodal / atrio- His)
  • faszikuloventrikulär (Pinger 2019)

Bei der AVRT differenziert man zwischen 4 Varianten:

  • Wolff- Parkinson- White- Syndrom (WPW- Syndrom)
  • Mahaim- Faser
  • Verborgene akzessorische Leitungsbahnen (AL): Diese kommen bei ca. 50 % der Patienten mit AVRT vor. Hierbei besteht eine ausschließlich retrograde Leitung. Die akzessorischen Bahnen leiten somit ausschließlich von der Hauptkammer zum Vorhof. Die Frequenz liegt zwischen 180 – 200 Schläge / min.
  • permanente junktionale Reentry- Tachykardie (PJRT): Diese Form der AVRT tritt nur selten auf. Hierbei besteht eine akzessorische Leitungsbahn mit ausschließlich retrograden, verzögernden und langsamen Leitungseigenschaften. Da die Tachykardiefrequenz niedriger und auch permanenter ist, wird die Störung oftmals von Patienten gar nicht wahrgenommen.

Im EKG finden sich:

  • schmale QRS- Komplexe
  • langes R- P- Intervall (typisch ist R- P > P- R)
  • meistens negative P- Wellen in II, III, aVF

Die PJRT kann zu einer Tachykardie- induzierten Kardiomyopathie führen. Differentialdiagnose: Long- Gonan- Levine- Syndrom (LGL- Syndrom).

Beim LGL- Syndrom liegt die PQ- Zeit < 0,12 sec, es ist keine Deltawelle vorhanden. Das LGL- Syndrom hat keinen Krankheitswert, es stellt lediglich eine EKG- Variante dar.

 

 

Vorkommen

Die AVRT ist die zweithäufigste Form der paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie.

Die Inzidenz liegt bei ca. 1–3 / 1.000 (Voss 2016).

Es handelt sich um eine angeborene Störung.

Das WPW- Syndrom kann in jedem Alter auftreten, die Erstmanifestation findet sich bei 50 % vor dem 20. Lebensjahr (Pinger 2019).

Assoziierende kardiale Fehlbildungen:

Beim WPW- Syndrom, einer Variante des AVRT finden sich bei ca. 7 % bis 20 % der Patienten zusätzliche Herzfehler, insbesondere:

Ätiologie

Bei der AVRT handelt es sich um eine primär elektrische Herzerkrankung, bei der eine akzessorische atrioventrikuläre Leitungsstruktur im Bereich der Vorhöfe und Kammern vorhanden ist (Herold 2020).

 

Pathophysiologie

Die Erregung verläuft vom Vorhof antegrad über den AV- Knoten, das His- Bündel, die Tawara- Schenkel und die Purkinje- Fasern bis hin zu den Ventrikeln und anschließend retrograd über die akzessorische Leitungsbahn erneut zurück zum Vorhof (Kasper 2015).

 

Die Leitung kann nur antegrad, nur retrograd oder in beide Richtungen verlaufen (Pinger 2019)

Klinisches Bild

Der Beginn einer AVRT ist in den überwiegenden Fällen abrupt und wird durch eine Extrasystole ausgelöst. Beendet wird die Tachykardie meistens durch eine Blockierung des AV- Knotens.

(Pinger 2019)

Symptome einer AVRT können sein:

  • Palpitationen
  • anfallsartig einsetzendes Herzrasen
  • Dyspnoe
  • Angstzustände
  • Polyurie
  • in seltenen Fällen Auftreten einer Synkope

(Voss 2016)

Diagnostik

Ruhe- EKG

Bei ca. 20 % - 30 % leitet die akzessorische Bahn nur retrograd (Ventrikel – Vorhof). In diesen Fällen finden sich beim Oberflächen- EKG keine Veränderungen (sog. concealed conduction).

(Pinger 2019)

Ansonsten öknnen im akuten Anfall folgende Veränderungen bestehen:

  • Tachykardie mit einer Frequenz von 120 – 250 Schlägen / min.
  • schmaler QRS- Komplex (bei antegrader Vorhof- Kammerleitung über das Reizleitungssystem und bei retrograder Kammer- Vorhof- Erregung über die akzessorische Bahn)
  • breiter QRS- Komplex bis hin zum Rechts- oder Linksschenkelblock (bei aberranter Leitung mit antegrader Richtung über die akzessorische Bahn)
  • P- Wellen:
    • liegen im Bereich der ST- Strecke
    • sind negativ in II, III und aVF (bei einer orthodromen AVRT = postero- septale akzessorische Leitungsbahn)
    • negative P- Wellen gehen dem QRS- Komplex voraus (bei der antidromen AVRT)

(Kasper 2015 / Herold 2020 / Pinger 2019)

  • verlängerte Repolarisation
  • verkürzte PQ- Zeit
  • Delta- Welle als Zeichen der Präexzitation (Das Auftreten einer Delta- Welle findet sich nur dann, wenn die Erregung sowohl über den AV- Knoten als auch über die akzessorische Bahn verläuft. Bei ca. 30 % kann die akzessorische Bahn lediglich retrograd leiten, in diesem Fällen fehlt die Delta- Welle [Lam 2018])

(Pinger 2019)

Therapie

Man unterscheidet zwischen einer Akut- Therapie und der Rezidivprophylaxe.

Akut- Therapie: Wegen der Gefahr des Kammerflimmerns sollte umgehend nach Diagnosestellung eine Behandlung erfolgen (Pinger 2019). Alle üblichen Medikamente, die normalerweise bei einem tachykarden Vorhofflimmern gegeben werden, sind bei der AVRT kontraindiziert, da diese die Ventrikelfrequenz weiter erhöhen können und damit die Entstehung von Vorhofflimmern noch begünstigen (Pinger 2019).

Empfehlungen der ACC / AHC / HRS 2015:

  • Indikationsklasse I:
    • Valsalva- Versuch
    • Karotisdruckversuch
    • ohne Vorhofflimmern: Adenosin (ist in ca. 90 % - 95 % effektiv. Dosierungsempfehlung: 6 mg – 18 mg rasch i. v. [Michels 2017])
    • mit Vorhofflimmern: Ajmalin 0,5 mg – 1mg / kg KG langsam i. v. (Michels 2017)
    • bei hämodynamischer Instabilität sollte eine elektrische Kardioversion erfolgen
    • bei fehlender Effektivität der medikamentösen Therapie ebenfalls Kardioversion
  • Indikationsklasse II a bei orthodromer AVRT ohne Präexzitation im Ruhe- EKG:
    • Diltiazem: Dosierungsempfehlung: 0,25 mg / kg i. v. über 2 min. (Lam 2018); bei bestehendem Vorhofflimmern kontraindiziert (Michels 2017)
    • Verapamil: Dosierungsempfehlung: 5 mg – 10 mg i. v. (Trappe 2001); verkürzt die Refraktärzeit der akzessorischen Bahnen.
    • Betablocker: Dosierungsempfehlung: Metoprolol 5 mg – 15 mg i. v. (Trappe 2001)
  • - Indikationsklasse II b bei orthodromer AVRT mit Präexzitation im Ruhe- EKG:
    • Diltiazem: Dosierungsempfehlung: 0,25 mg / kg i. v. über 2 min. (Lam 2018); bei bestehendem Vorhofflimmern kontraindiziert (Michels 2017)
    • Verapamil: Dosierungsempfehlung: 5 mg – 10 mg i. v. (Trappe 2001); verkürzt die Refraktärzeit der akzessorischen Bahnen.
    • Betablocker: Dosierungsempfehlung: Metoprolol 5 mg – 15 mg i. v. (Trappe 2001) (Pinger 2019)

Rezidivprophylaxe: Die Ablation ist für Patienten mit stattgehabter AVRT die Therapie der Wahl. Die Erfolgsrate liegt bei 95 % - 98,5 %, die Rezidivrate bei 5 % (Pinger 2019).

Sollte der Patient eine Katheterablation ablehnen, können - bei fehlender Präexzitation - langfristig eingesetzt werden:

  • Betablocker wie z. B. Metoprolol, Dosierungsempfehlung: 100 mg – 200 mg / Tag
  • Calciumkanalblocker wie z. B. Verapamil, Dosierungsempfehlung: 80 mg – 120 mg / Tag (Schmidt 2007)

Falls eine Präexzitation im EKG nachweisbar ist, empfehlen sich Ic- Antiarrhythmika (Lam 2018) wie z. B.:

  • Flecainid: Dosierungsempfehlung: 2 x 50 mg – 100 mg/ tag
  • Propafenon; Dosierungsempfehlung: 2 – 3 x 200 mg/ Tag (Schmidt 2007)

 

Prognose

Bei Patienten mit Präexzitation und Tachykardien besteht das Risiko von

  • Synkopen
  • hämodynamischer Kollaps
  • Auftreten von Vorhofflimmern
  • Auftreten von Kammerflimmern
  • plötzlicher Herztod (tritt bei 2 von 1.000 Erwachsenen auf, bei Kindern häufiger (Kasper 2015, Pinger 2019)

Bei den verborgenen akzessorischen Leitungsbahnen (s. u. „Einteilung“) besteht auf Grund der fehlenden antegraden Leitung über die akzessorischen Bahnen kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Kammerflimmern oder für einen plötzlichen Herztod.

Für Patienten mit fehlender Induzierbarkeit der Tachykardien, die ansonsten herzgesund und asymptomatisch sind (trifft auf ca. 65 % der Patienten zu), ist die Prognose sehr gut. Von ihnen werden ca. 3,4 % innerhalb der nächsten 3 Jahre symptomatisch und sollten dann einer entsprechenden Behandlung zugeführt werden (Pinger 2019).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Greten H et al. (2010) Innere Medizin Thieme Verlag S 90
  2. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag S 283 - 285
  3. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education S 1481 - 1483
  4. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag S 1809 - 1811
  5. Lam A et al. (2018) Supraventrikuläre Tachykardien: Mechanismus, Diagnose, Therapie. SWISS MEDICAL FORUM 49): 1028 – 1036
  6. Michels G et al. (2017) Repetitorium Internistische Intensivmedizin. Springer Verlag 289 - 290
  7. Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. S 672 – 676
  8. Schmidt (2007) Pharmakologie und Toxikologie für Studium und Praxis. Schattauer Verlag S 461
  9. Trappe H J et al. (2001) Die Notfalltherapie bei akuten Herzrhythmusstörungen. Steinkopff Verlag S 15 - 27
  10. Voss F et al. (2016) AV-Reentry-Tachykardie und Wolff-Parkinson-White-Syndrom. German Journal of Cardiac Pacing and Electrophysiology 27: 381 - 389
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