Vorhofflattern I48.9

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 23.07.2022

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Definition

Unter Vorhofflattern versteht man eine durch anatomische und / oder funktionelle Barrieren fixierte kreisförmige Erregung, die von beiden Vorhöfen ausgehen kann und regelmäßig oder unregelmäßig auf die Kammern übergeleitet wird. Die in manchen Lehrbüchern beschriebene frequenzabhängige Definition von > 250 / min. gilt inzwischen als veraltet (Mewis 2004).

 

Einteilung

Das Vorhofflattern zählt zu den supraventrikulären Tachykardien (Wolff 2020) und stellt eine Sonderform der intraatrialen Reentry- Tachykardie (IART) dar (Paul 2018).

Typ I Vorhofflattern (sog. Isthmus- abhängiges Vorhofflattern[Herold 2020] oder typisches Vorhofflattern):

  • Typ I kommt häufiger vor. I. d. R. findet sich ein anatomisch definierter Makro- Reentry im rechten Vorhof, seltener um Narben im Bereich des rechten Vorhofes.
  • Die Flatterfrequenz liegt zwischen 200 – 320 Schlägen / min, zumeist mit 2 : 1 Überleitung auf die Ventrikel.
  • Dieser Typ kann in Vorhofflimmern degenerieren.

Typ II Vorhofflattern (sog. Nicht- Isthmus- abhängiges Vorhofflattern [Herold 2020] oder atypisches Vorhofflattern [Kasper 2015]):

  • Diese Form ist sehr selten. Die Frequenz liegt zwischen 250 – 350 Schlägen / min.. Es findet sich häufig eine unregelmäßige Überleitung (Stierle 2017).
  • Die Erregung kann beim Typ II von beiden Vorhöfen ausgehen und ist im Normalfall mit Narbenarealen assoziiert (Kasper 2015).

Vorkommen/Epidemiologie

Vorhofflattern kann in jedem Lebensalter auftreten, selbst in der Fetalzeit. Mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit aber zu. Bei Männern tritt Vorhofflattern doppelt so häufig wie bei Frauen auf (Luik 2011).

Die Inzidenz beträgt 0,088 %.

Von den < 50 jährigen erkranken 5/100.000, von den > 80 jährigen 587/100.000.

Ein sogenannter „lown atrial flutter“ ist selten. Bei 3 von 4 Patienten besteht zusätzlich noch ein Vorhofflimmern.

Bei 60 % der betroffenen Patienten findet sich ein Auslöser wie z. B. Myokardinfarkt, exazerbierte COPD oder Herz- bzw. Lungenoperationen (Pinger 2019). 

Ätiopathogenese

Die häufigste Ursache eines Vorhofflatterns sind nach Stierle 2017:

  • organische Herzerkrankungen wie z. B.:
    • Herzklappenfehler
    • Herzerkrankungen wie z. B.:
      • hypertensive
      • ischämische
      • entzündliche
    • kongenitale Vitien
    • Kardiomyopathien
  • extrakardiale Einflüsse wie z. B.:
    • Hyperthyreose
    • Lungenerkrankungen
    • Medikamente
    • unter antiarrhythmischer Behandlung von Vorhofflimmern mit z. B. mit:
    • Flecainid
      • Propafenon
      • Sotalol
      • Dronedaron
      • Amiodaron

Unter vorwiegend älteren Patienten kann Vorhofflattern auch bei ansonsten Herzgesunden auftreten (Herold 2020).

Pathophysiologie

Durch eine kreisförmige Erregung, das sog. Makro- Reentry rund um den Trikuspidalklappenannulus kommt es zum rechtsatrialen Vorhofflattern. Die Erregung passiert eine Engstelle zwischen dem Trikuspidalklappenannulus und der V. cava inferior. Diese Engstelle wird auch als sub- eustachischer oder cavo- trikuspidaler Isthmus bezeichnet.

(Kasper 2015)

Die Erregung findet meistens entgegen dem Uhrzeigersinn als sog. „counter- clock- wise“ [Pinger 2019]) statt (Kasper 2015), kann aber auch im Uhrzeigersinn als „reverse typical atrial flutter“ erfolgen (Pinger 2019). Aufrecht erhalten wird die Makro- Reentry durch den cavo- trikuspidalen Isthmus und die Crista terminalis (Herold 20209.

 

Klinisches Bild

Bemerkung: Mitunter sind Patienten aber auch völlig asymptomatisch (Luik 2011)!

Diagnostik

12- Kanal- EKG

Die Diagnosestellung ist nahezu immer mit Hilfe des EKGs möglich (Mewis 2004). Ein regelmäßiger Kammerrhythmus von 140 Schläge / min. bei normalem QRS- Komplex ist stets verdächtig auf ein Vorhofflattern (Wolff 2020).

Typisch beim Vorhofflattern ist das Vorliegen einer:

  • sägezahnförmigen Deformierung durch
    • negative P- Wellen in II, III und aVF bei „counter- clock- wise“ (s. „Pathophysiologie“) mit einer Frequenz von 220 – 270 Schlägen / min.
    • positive P- Wellen in II, III, aVF und V1 bei „reverse typical atrial flutter“ (s. „Pathophysiologie“), ebenfalls mit einer Frequenz von 220 – 270 Schlägen / min (Herold 2020 / Pinger 2019).

Die typische sägezahnförmige Deformierung kann aber bei einer 2 : 1 Überleitung oft nicht erkennbar sein. In diesem Fall empfiehlt sich ein Karotisdruckversuch (dieser führt zu einer vorübergehenden AV- Blockierung) (Wolff 2020)

Typ I (s. Einteilung):

  • negative Flatterwellen in II, III, aVF sind möglich
  • positive Flatterwelle in V1 möglich

Typ II (s. Einteilung):

  • Die typische Morphologie der P- Wellen findet sich hierbei nicht (Stierle 2017). In den meisten Fällen kommt es zum Auftreten eines AV- Blocks II. Grades mit 2 : 1 oder 3 : 1 Überleitung, der zu einem Absenken der Kammerfrequenz führt. Die Frequenz der Kammern liegt in diesem Fall bei ca. 140 Schläge / min.Es besteht jedoch immer die Gefahr einer 1 : 1 Überleitung mit bedrohlicher Kammertachykardie (Herold 2020).

Transösophageale Echokardiographie (TEE)

Sollte das Vorhofflattern länger als 48 h bestehen, ist ein Thrombenausschluss mittels TEE erforderlich. Ausgenommen sind Patienten mit einer dauerhaften Antikoagulation (Kraemer 2018).

Therapie

Beim Vorhofflattern differenziert man zwischen einer Akuttherapie und einer antiarrhythmischen Therapie (Stierle 2017).

Akuttherapie:

Primär sollte die Kammerfrequenz gesenkt mit folgenden Medikamenten gesenkt werden:

  • Betablocker (z. B. Metoprolol 5 mg – 10 mg i. v. unter EKG- Kontrolle (Kraemer 2018)
  • Calciumkanalblocker: Bei Kontraindikationen gegen Betablocker können Calciumkanalblocker gegeben werden, wie z. B.: Verapamil 5 mg – 10 mg i. v. unter EKG- Kontrolle (Kraemer 2018)
  • Digitalisaufsättigung: Nach Kontrolle des Kaliumwertes (bei Hypokaliämie zunächst entsprechende Substitution mit Kalium) rasche Digitalisaufsättigung bei sehr tachykardem Vorhofflattern. Dosierungsempfehlung: Digoxin 0,5 mg i. v. nach 8 und 16 h jeweils weitere 0,5 mg i. v., anschließende Erhaltungsdosis: 0,25 mg / d p. o. (Kraemer 2018)
  • Antikoagulation: Falls keine Kontraindikationen für die Antikoagulation bestehen, können folgende Medikamente zum Einsatz kommen:
    • High- dose- Heparinisierung: z. B. Enoxaparin 1 mg / kg KG s. c. 2 x /d (Bemerkung: absolute Kontraindikationen: - maligner Hypertonus, florides Ulcus ventriculi / duodeni, frische zerebrale Blutung, nekrotisierende Pankreatitis, hämorrhagische Diathese, schwerer Diabetes mellitus, Leberzirrhose mit Ösophagusvarizen, Quick < 60 %, heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II(Bob 2001)
    • niedermolekulares Heparin (NMH): z. B. Enoxaparin (Clexane) 1 x 20 mg bis 40 mg / d
    • NOAKs: z. B. Rivaroxaban 2 x 150 mg / d (Kraemer 2018)

Im nächsten Schritt sollte die Arrhythmie beseitigt werden (Wolff 2020). Dies ist möglich mit:

  • Antiarrhythmika: Die Gabe eines Antiarrhythmikums sollte unter sicherer Antikoagulation bzw. durch TEE- Ausschluss von Thromben erfolgen (eine Ausnahme stellen kreislaufinstabile Patienten dar)(Wolff 2020). Dosierungsempfehlung: Amiodaron 150 mg als Kurzinfusion (Kraemer 2018) Es gelingt allerdings nur selten, das Vorhofflattern langfristig medikamentös zu beseitigen (Wolff 2020).
  • Atriale Überstimulation (sog. „overdrive stimulation“ [Herold 2020] oder „Overpacing“ [Sattler 2007]): Diese erfolgt durch einen venös eingeführten Elektrokatheter (Sattler 2007). Beim Typ I gelingt die Überstimulation meistens, beim Typ II jedoch nur in ca. 10 % (Stierle 2017).
  • Elektrokardioversion: Diese sollte als primäre Behandlung bei Patienten mit hämodynamischer Instabilität erfolgen. Da das Risiko thromboembolischer Ereignisse sehr hoch ist, empfiehlt sich vor der Kardioversion eine Antikoagulation (s. o. [Kasper 2015]). Die Erfolgsrate der Kardioversion liegt bei > 90 %. Mitunter konvertiert das Vorhofflattern in Vorhofflimmern. Durch Anwendung höherer Energien lässt sich dieses aber i. d. R. in einen Sinusrhythmus umwandeln (van Aken 2001).
  • Katheter- Ablation
    • Beim typischen Vorhofflattern (Typ I): Die Katheter- Ablation stellt beim typischen Vorhofflattern ein kuratives Verfahren dar. Es kann primär oder nach Versagen der medikamentösen Behandlung eingesetzt werden (Erdmann 2009). Bei der Ablation erfolgt eine elektrische Dissektion des cavo- trikuspidalen Isthmus. Die Maßnahme kann elektiv geplant werden, da sie unabhängig vom Rhythmus durchführbar ist (Luik 2011). Die Erfolgsquote liegt bei > 95 % (Herold 2020)
    • Beim atypischen Vorhofflattern (Typ II): Da beim atypischen Vorhofflattern durch ein Oberflächen- EKG keine eindeutige Lokalisierung des Reentry- Kreises möglich ist, sollte diese in Form eines 3D- Mapping in erfahrenen Zentren erfolgen. Die Untersuchung ist während der Phase einer Arrhythmie durchzuführen bzw. eine Arrhythmie während der Untersuchung zu indizieren.
    • Bei der Ablation ist es wichtig, inkomplette Ablationslinien unbedingt zu vermeiden, da diese einen Nährboden für erneute atypische Reentry- Mechanismen beinhalten. Die Ablation kann akut bei linksatrialem Vorhofflattern in bis zu 80 % therapiert werden. Die Langzeitprognose ist jedoch schlecht. Ausreichende Daten stehen auf Grund der Seltenheit des Krankheitsbildes nicht zur Verfügung (Mewis 2004) (Luik 2011).

Verlauf/Prognose

Nach einer erfolgreichen Ablation des typischen Vorhofflatterns ist eine regelmäßige Kontrolle erforderlich, da sich gezeigt hat, dass bei 33 % - 63 % der Patienten im weiteren Verlauf ein Vorhofflimmern auftrat und es bei 6 % zu einem Apoplex kam (Pinger 2019).

Literatur
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  1. van Aken H et al. (2001) Intensivmedizin. Georg- Thieme- Verlag 161 – 162
  2. Bob A und Bob K (2001) Innere Medizin. Sonderausgabe MLP Duale Reihe Springer Verlag 1513
  3. Erdmann E (2009) Klinische Kardiologie: Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße. Springer Verlag 99 - 100
  4. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 285 - 286
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1484 - 1485
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 1811 – 1812
  7. Kraemer A (2018) Klinikleitfaden Nachtdienst - Sicher fühlen und souverän handeln. Elsevier Urban und Fischer Verlag 150
  8. Luik A et al. (2011) Typisches und atypisches Vorhofflattern. Kardio up 7 (29) 141 - 150
  9. Mewis C et al. (2004) Kardiologie compact: Alles für Station und Facharztprüfung. Thieme Verlag 555 – 561
  10. Paul T et al. (2018) Leitlinien-Report Leitlinie: Tachykarde Herzrhythmusstörungen im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter (EMAH-Patienten) AWMF-Register Nr. 023/022 Klasse: S2k
  11. Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. 705 – 724
  12. Sattler A M (2007) Fallbuch Kardiologie und Angiologie. Georg Thieme Verlag
  13. Stierle U et al. (2014) Klinikleitfaden Kardiologie. Elsevier Urban und Fischer 406 – 408
  14. Wolff H P et al. (2020) Internistische Therapie 2020 / 2021. Elsevier Urban und Fischer Verlag 395 - 396

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Herzglykoside;

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