Wilms-Tumor C64

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 08.12.2020

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Synonym(e)

(e) Nephroblastoma; Nephroblastom

Erstbeschreiber

Max Wilms (1867 – 1918) beschrieb im Jahre 1898 als Erster den national und international nach ihm benannten Wilms- Tumor (Siewert 2001).

Definition

Unter einem Wilms- Tumor (WTU) versteht man eine hochmaligne embryonale Neubildung der Niere (Siewert 2001).

Vorkommen/Epidemiologie

Der WTU stellt mit 7,5 % aller malignen Tumoren die häufigste Neoplasie bei Kindern dar. Die Inzidenz liegt bei 1 : 100.000.

I. d. R. tritt der Tumor unilateral auf, kann aber bei 5 % - 10 % auch bilateral auftreten und findet sich dann oftmals familiär gehäuft (Herold 2020 / Graf 2016 / Siewert 2001). Es bestehen deutliche ethnische Unterschiede: In Asien kommt der Tumor seltener vor als in Europa und den USA, bei Afro- Amerikanern hingegen tritt er weitaus häufiger auf (von Schweinitz 2009).

Assoziierende Fehlbildungen:

Überdurchschnittlich häufig finden sich bei Kindern mit einem Nephroblastom zusätzlich folgende Fehlbildungen:

  • Aniridie (Fehlanlage der Iris [Reinhardt 2014])
  • Beckwith- Wiedemann- Syndrom (Großwuchs- Syndrom [Mayatepek 2019])
  • unterschiedliche urogenitale bzw. renale Fehlbildungen (Seeber 1993)

Ätiopathogenese

Tumorauslösende Faktoren sind nicht bekannt. Bei bilateralen Tumoren besteht meistens ein autosomal dominanter Erbgang, bei unilateralen nur sehr selten (Siewert 2001). Es sind inzwischen 3 Gene für den Wilms- Tumor bekannt (Herold 2020).

Pathophysiologie

Es handelt sich um einen dysontogenetischen Tumor, der aus undifferenzierten Zellen des metanephrogenen Blastems besteht (Herold 2020).

Manifestation

Bevorzugt tritt der Tumor zwischen dem 3. - 4. Lebensjahr auf, wobei Mädchen etwas häufiger als Jungen betroffen sind. In seltenen Fällen tritt der Wilms- Tumor im Erwachsenenalter auf.

Klinisches Bild

Etwa 10 % der Kinder sind völlig symptomlos. Bei ebenfalls 10 % wird der Tumor im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung entdeckt.

Ansonsten können folgende Symptome bestehen:

  • abdominelle Schmerzen
  • Appetitlosigkeit
  • Erbrechen
  • evtl. Fieber
  • Hämaturie (bei Einbruch in das Nierenbecken)
  • Hypertonus (besteht bei ca. 10 % - 20 % der Patienten; bei übrigen Nierentumoren bei bis zu 50 % der Fälle) (Herold 2020 / Graf 2016 / v. Schweinitz 2009)

Diagnostik

Inspektion und Palpation

  • indolente Schwellung im Tumorbereich (Graf 2016)
  • Auftreibung des Abdomens

Tumorbiopsie: Bei eindeutiger bildgebender Verfahren ist bei Kindern > 6 Jahre und < 16 Jahren eine präoperative Biopsie nicht erforderlich (Graf 2016).

Bildgebung

Sonographie

  • Darstellung des Tumors
  • Ausschluss bzw. Nachweis eventueller Metastasen
  • dopplersonographische Beurteilung der V. renalis und der V. cava inferior bis zum rechten Vorhof zum Ausschluss von Tumorthromben (Graf 2016)

Echokardiografie: Vor und nach einer kardiotoxischen Chemotherapie sollte eine Echokardiografie erfolgen (Graf 2016).

CT: Eine thorakales CT zum Ausschluss von Lungenmetastasen ist obligat (Graf 2016).

MRT: Im abdominellen MRT lässt sich die Tumorvolumetrie nach der Ellipsoidformel berechnen (Graf 2016).

Angiographie: Hierbei zeigt sich

  • eine Hypervaskularisierung des Tumors
  • erweiterte, geschlängelte Gefäße
  • kleine arterielle Aneurysmen
  • Blutseen
  • abdominelle Darstellung der Aorta (eventuelle Verlagerung durch den Tumor) (Schild 1994).

Labor

Bestimmte Tumormarker sind nicht bekannt.

Empfohlen wird die Bestimmung des WT1- Keimbahnstatus (Wilms- Tumor- Gen1), da das Risiko einer schweren Niereninsuffizienz bei diesen Patienten erhöht ist (Graf 2016).

Histologie

Beim Wilms- Tumor handelt es sich um eine Mischgeschwulst, die aus unterschiedlichen Strukturen besteht:

  • drüsige Anteile
  • renale embryonale Blastem
  • unreife muskuläre bzw. bindegewebige Anteile
  • Fettanteile

Wegen des raschen Wachstums der Tumoren finden sich häufig auch umfangreiche Nekroseanteile. Die Herkunft aus der Niere lässt sich wegen der Unreife der Gewebe oftmals kaum erkennen (Lentze 2007).

Histologisch differenziert man zwischen 12 verschiedenen Subtypen mit 3 Malignitätsgraden:

  • niedrig
  • intermediär
  • hoch (Graf 2016 / Lentze 2007)

Die histologische Stadieneinteilung des Nephroblastoms erfolgt nach SIOP (Internationale d'Oncologie Pédiatrique):

  • Stadium I: Der Tumor beschränkt sich auf die Niere und kann vollständig entfernt werden. Die Kapsel des Tumors wird nicht überschritten.
  • Stadium II: Hierbei überschreitet der Tumor zwar die Kapsel, er kann aber vollständig entfernt werden. Die Lymphknoten sind nicht befallen.
  • Stadium III: Es findet sich ein Befall regionaler Lymphknoten. Hämatogene Metastasen bestehen nicht. Der Tumor kann nur unvollständig entfernt werden.
  • StadiumIV: Es sind Fernmetastasen vorhanden, insbesondere in Lunge, Leber, Knochen und Gehirn.
  • Stadium V: Es handelt sich um ein bilaterales Nephroblastom (Graf 2016).

Differentialdiagnose

(seltene) Nierentumoren (hierbei besteht in 50 % der Fälle ein Hypertonus, beim Wilms- Tumor lediglich bei 10 % - 20 %) wie z. B.:

oder (seltene) nicht maligne Tumoren wie z. B.:

  • Teratom
  • zystische Nephrom
  • Hamartom (v. Schweinitz 2009)

 

Therapie allgemein

Die Behandlung läuft interdisziplinär und kann umfassen: Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie, Resektion solider Metastasen (Herold 2020).

Bestrahlungstherapie

Über die Notwendigkeit einer Strahlentherapie sollte individuell entschieden werden.

Indikationen zur Radiatio sind:

  • bei intermediärer Malignität: lokales Stadium III
  • bei hoher Malignität: ab Stadium II (Graf 2016)

Eine Strahlentherapie kann außerdem bei Lungenmetastasen eingesetzt werden (Graf 2016).

Interne Therapie

Chemotherapie

Die GPOH (Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie) und die SIOP (International Society of Pediatric Oncology) empfehlen eine präoperative kombinierte Chemotherapie bei Kindern > 6 Monate und < 16 Jahre.

(Graf 2016)

 

Operative Therapie

Präoperativ sollte ein bilateraler Befall sicher ausgeschlossen werden.

Der operative Eingriff erfolgt i. d. R. elektiv und umfasst beim unilateralen Nephroblastom eine radikale Tumornephrektomie.

Bei einem bilateralen Befall sollte über das Vorgehen individuell entschieden werden und ein möglichst nierenerhaltender Eingriff erfolgen.

(Graf 2016)

Verlauf/Prognose

Die Prognose eines Nephroblastoms ist ohne eine Behandlung infaust, mit entsprechender Therapie gut (Graf 2016). Die Überlebensrate in Abhängigkeit vom Erkrankungsstadium und der Histologie:

  • Stadium I:
    • niedrige Malignität: 95 %
    • intermediäre Malignität: 92 %
    • hohe Malignität: 85 %
    • insgesamt: 91 %
  • Stadium II:
    • niedrige Malignität: 100 %
    • intermediäre Malignität: 90 %
    • hohe Malignität: 76 %
    • insgesamt: 88 %
  • Stadium III:
    • niedrige Malignität: 100 %
    • intermediäre Malignität: 85 %
    • hohe Malignität: 67 %
    • insgesamt: 82 %
  • Stadium IV:
    • niedrige Malignität: 92 %
    • intermediäre Malignität: 73 %
    • hohe Malignität: 36 %
    • insgesamt: 70 %
  • Stadium V:
    • niedrige Malignität: 95 %
    • intermediäre Malignität: 87 %
    • hohe Malignität: 69 %
    • insgesamt: 85 % (Michel 2016)

Literatur
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  1. Graf N et al. (2016) S 1 Leitlinie Nephroblastom (Wilms- Tumor) AWMF- Register 025 / 004 Klasse S1
  2. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 656
  3. Lentze M J et al. (2007) Pädiatrie: Grundlagen und Praxis. Springer Verlag 1325
  4. Mayatepek E (2019) Pädiatrie: Grundlagen, Klinik und Praxis. Urban und Fischer Verlag 69
  5. Michel M S et al. (2016) Der Urologe: Retroperitoneum, Niere, Harnblase, Harnröhre, Tumortherapie. Springer Verlag 2025 - 2035
  6. Reinhardt D et al. (2014) Therapie der Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag 1128
  7. Schild H et al. (1994) Referenz- Reihe- Radiologie: Angiographie. Thieme Verlag 191
  8. von Schweinitz D et al. (2009) Kinderchirurgie: Viszerale und allgemeine Chirurgie des Kindesalters. Springer Verlag 559 – 570
  9. Seeber S et al. (1993) Therapiekonzepte Onkologie. Springer Verlag 358
  10. Siewert R et al. (2001) Praxis der Viszeralchirurgie: Onkologische Chirurgie. Springer Verlag 824 - 832

Verweisende Artikel (2)

BASP1-Gen; WT1-Gen;

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