Spät-Dumping K91.1

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.02.2023

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Synonym(e)

Postalimentäres Spätsyndrom; postbariatrische Hypoglykämie (PBH); postprandiales reaktives (hypoglykämisches) Syndrom; reaktive Hypoglykämie

Erstbeschreiber

Im Jahre 1913 beschrieb Hertz erstmals den Zusammenhang zwischen postprandialen Symptomen und schneller Magenentleerung nach Magenoperationen. Der Begriff „Dumping“ wurde 1920 von Wyllys et al. für Patienten mit typischen Symptomen nach Gastrektomie geprägt (Mala 2015).

Definition

Beim Spätdumping kommt es ca. 1 ½ – 3 h nach dem Essen zu Symptomen einer Hypoglykämie (Herold 2022) bei Patienten mit Z. n. Magen- oder Ösophaguschirurgie (Scarpellini 2020).

 

Beim Delphi- Konsensus- Prozess mit internationalen multidisziplinären Experten 2020 wurde erstmals ein internationaler Konsens zur Diagnose und Behandlung des Dumping- Syndroms festgelegt (Scarpellini 2020).

 

Einteilung

Das Dumping- Syndrom (DS [Rindel 2018]) wird unterteilt in ein Früh- und Spätdumping. Beide können gemeinsam oder einzeln auftreten (Scarpellini 2020).

Vorkommen/Epidemiologie

Nach Magenoperationen zählt das Dumping- Syndrom zu den häufigsten Beschwerden (Mala 20150). Spätdumping tritt deutlich seltener auf als das Frühdumping (Herold 2022).

Es tritt mit 34,2 % bevorzugt nach bariatrischen Operationen wie z. B. Roux- en- Y- Magenbypass (RYGB) und Sleeve- Gastrektomie auf (Scarpellini 2020).

 

Nach bariatrischen Eingriffen zeigt sich beim oralen Glukosetoleranztest eine Prävalenz des Spätdumpings von 72 %, nach einem flüssigen Mixed- Meal- Test lag diese bei 29 %. Eine stationäre Behandlung wegen der Hypoglykämie war lediglich bei 0,2 % der Patienten mit bariatrischen Eingriff erforderlich (Smajis 2018).

 

Fünf Jahre nach einer Magenresektion fand Mala (2015) bei 38 % der Patienten ein Spätdumping.

 

Ätiopathogenese

Das Spätdumping wird durch eine reaktive Hypoglykämie verursacht (Herold 2022).

Pathophysiologie

Die Symptome eines Spätdumpings stehen in Zusammenhang mit einer Neuroglykopenie und autonomer und / oder einer adrenergen Reaktion. Der Schlüsselmediator für das Spätdumping ist eine übertriebene Reaktion der Inkretine wie z. B. das GLP1 (Scarpelli 2020).

Nach Aufnahme von Kohlenhydraten kommt es zu einer raschen Verschiebung der Glukosekonzentration ins Ileum mit hyperinsulinämischer Reaktion und nachfolgender reaktiver Hypoglykämie (Scarpellini 2020). Die komplette Pathophysiologie ist aber bislang nicht vollständig geklärt (van de Felde 2021).

Man hat bei bariatrisch operierten Patienten bis zu 10fach erhöhte p. p. Konzentrationen von GIP und GLP- 1 gefunden. Man vermutet, dass die stark erhöhten Insulinspiegel bei diesen Patientenaus der stark erhöhten Inkretinausschüttung resultieren. Nach i. v. Glukosegabe beobachtet man die Hyperinsulinämie nicht (Smajis 2018).

Symptome einer reaktiven Hypoglykämie treten nach bariatrischen Operationen i. d. R. erst nach 3 – 12 Monaten auf. Als Ursache dafür wird die Zunahme der Insulinsensitivität mit zunehmendem Gewichtsverlust vermutet (Scarpellini 2020).

 

Bleibt der Pylorus bei der Operation erhalten, so kommt es nicht zum Auftreten eines Dumping- Syndroms, da dann die aufgenommene Nahrung weiterhin in kleinen Mengen in den Dünndarm abgegeben werden (Felsenreich 2021).

 

Klinisches Bild

Nach bariatrischen Operationen dauert es i. d. R. zwischen 3 – 12 Monaten, bis erstmals Symptome eines Spätdumpings auftreten, wobei die Schwelle für eine Symptomatik bei Hypoglykämie individuell ist (Mala 2015).

Es können p. p. folgende Symptome bei einer reaktiven Hypoglykämie auftreten wie z. B.:

- Schwitzen

- Heißhunger

- Unruhe

- Schwächegefühl (Herold 2022)

- Diaphorese

- Palpitationen

- Tachykardien

- Synkope (Kasper 2015)

- Zittern (Mala 20150)

 

Diagnostik

Die Diagnose wird erstellt anhand:

- Ausführlicher Anamnese

- Oralem Glukosetoleranztest (oGTT)

Zur Diagnostik wird heutzutage der modifizierte orale Glukosetoleranztest bevorzugt eingesetzt. Es kommt dabei typischerweise zu einem Hypoglykämie- Nadirwert < 50 mg/dl (< 2,8 mmol / l) 1 ½ bis 3 h p. p. (Herold 2022).

 

- Mixed- Meal- Tolerance- Test (MMTT)

Es handelt sich hierbei um einen flüssigen Test, bei dem neben Glukose auch Proteine und Lipide zugeführt werden (Smajis 2018).

 

Smajis (2018) schreibt dem Mixed- Meal- Test einen höheren diagnostischen Wert zu, da beim oralen Glukosetoleranztest auch gesunde Individuen in ca. 10 % Blutzuckerwerte von < 55 mg / dl aufweisen. Dies erklärt vielleicht auch die hohe Differenz der Prävalenz von 72 % : 29 % zwischen beiden Tests. Smajis hält deshalb den oralen Glukosetoleranztest bei V. a. eine postbariatrische Hypoglykämie für ungeeignet. Allerdings existiert bislang kein standardisierter und akzeptierter Mahlzeitentest.

 

Therapie

Zur Verbesserung der Symptome sollten:

- schnellresorbierbare Kohlenhydrate aus dem Speiseplan gestrichen werden (Scarpellini 2020)

- die Ernährung eiweißreich und kohlenhydratarm sein

- aus häufigen kleinen Mahlzeiten bestehen (Herold 2022)

- das Essen langsam und gut gekaut werden (Scarpellini 2020)

 

Der Patient sollte ca. 3 h nach stattgehabter Mahlzeit eine kleinere Menge Kohlenhydrate zu sich nehmen (Herold 2022).

 

Eine Doppelblind- Crossover- Studie von Craig (2016) erbrachte den Nachweis, dass sich durch eine i. v. Infusion des GLP-1- Rezeptor- Antagonisten Exendin- 4 die reaktive Hypoglykämie zu 100 % verhindern und die Beta- Zell- Funktion sich normalisieren lässt (Craig 2016).

 

 

- Acarbose:

- hemmt die Glukoseresorption

- reduziert die gastrointestinale Hormonfreisetzung

- reduziert das Auftreten einer Hypoglykämie

Dosierungsempfehlung: 50 – 100 mg 3 x / d zu den Mahlzeiten (Scarpellini 2020).

 

- Diazoxid:

Diazoxid hemmt die Insulinsekretion durch Öffnung ATP- sensitiver Kaliumkanäle in den Beta- Zellen und verhindert so eine reaktive Hypoglykämie.

Es existieren bislang aber lediglich quantitativ kleine multizentrische, retrospektive, systematische Fallserien, die eine Verbesserung der Symptomatik durch Diazoxid zeigen (Scarpellini 2020).

Dosierungsempfehlung: 150 mg 3 x / d (Patti 2005).

 

- Dasiglucagon:

Bei Dasiglucagon handelt es sich um ein potentiell neues Therapeutikum. Die erst 2022 veröffentlichte randomisierte, doppelblinde, Placebo- kontrollierte Crossover- Studie von Nielsen et al. zeigt, dass eine Einzeldosis- Behandlung mit 80 µg oder 200 µg das Spätdumping bei Patienten mit z. N. RYGB- Operationen wirksam mildert.

Dosierungsempfehlung:

- Einzeldosis Dasiglucagon 80 µg erzielt eine deutliche 70- minütige Verringerung der Hypoglykämie < 3,9 mmol / l.

- Einzeldosis Dasiglucagon 200 µg erzielt eine deutliche 70- minütige Verringerung der Hypoglykämie < 3,9 mmol / l und eine vollständige Verhinderung einer Hypoglykämie < 3,9 mmol / l ohne nachfolgende Hyperglykämie (Nielsen 2022).

 

Hinweis(e)

Patienten, bei denen eine bariatrische OP erforderlich ist und deren berufliche Tätigkeit auf keinen Fall ein Dumping- Syndrom, insbesondere eine Hypoglykämie zulässt wie z. B. Berufskraftfahrer, sollten ein Operationsverfahren erhalten, bei dem der Pylorus erhalten bleibt. Nur bei erhaltenem Pylorus kann die aufgenommene Nahrung weiterhin in kleinen Mengen in den Dünndarm abgegeben werden (Felsenreich 2021).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. van de Felde F, Lapauw B (2021) Late dumping syndrome or postprandial reactive hypoglycaemic syndrome after bariatric surgery. Nat Rev Endocrinol. 17 (5) 317
  2. Felsenreich D M, Prager G (2021) Bariatrische Chirurgie – welche Therapieoptionen? J Gynäkol. Endokrinol. AT, DOI https://doi.org/10.1007/s41974-020-00172-6
  3. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 450
  4. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1926
  5. Koop I, Beckh K, Koop H, Koop I, Lankisch P G, Pommer G (2009) Gastrologie compact. Gastroenterologische Krankheitsbilder: 3 Magen und Duodenum. Georg Thieme Verlag Stuttgart 125 - 126
  6. Mala T, Hewitt S, Hogestol I K D, Kjellevold K, Kristinsson J A, Risstad H (2015) Dumping syndrome following gastric surgery. Tidsskr Nor Laegeforen 135 (2) 137 – 141
  7. Nielsen C K, Ohrstrom C C, Kielgast U L, Hansen D L, Hartmann B, Holst J J, Lund A, Vilsboll T, Knop F K (2022) Dasiglucagon Effectively Mitigates Postbariatric Postprandial Hypoglycemia: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled, Crossover Trial. Diabetes Care 45 (6) 1476 - 1481
  8. Patti M E, McMahon G, Mun E C, Bitton A, Holst J J, Goldsmith J, Hanto D W, Callery M, Arky R, Nose V, Bonner- Weir S, Goldfine A B (2005) Severe hypoglycaemia post-gastric bypass requiring partial pancreatectomy: evidence for inappropriate insulin secretion and pancreatic islet hyperplasia. Diabetologia 48 2236 - 2240
  9. Rindel R (2018) Prospektive Untersuchung zur Häufigkeit der postoperativen Hypogly- kämie nach Magenbypass und Sleeve-Gastrektomie, ein Vergleich des modifizierten oralen Glucosetoleranztestes mit dem 13C-Octanoat- Magenentleerungstest. Inaugural – Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
  10. Rogowitz E, Patti M E, Lawlwe H M (2019) Time to Dump Late Dumping Syndrome Terminology. Obes Surg. 29 (9) 2985 - 2986
  11. Scarpellini E, Arts J, Karamanolis G, Laurenius A, Siquini W, Suzuji H, Ukleja A, van Beek A, Vanuytsel T, Bor S, Ceppa E, di Lorenzo C, Emous M, Hammer H, Hellström P, Laville M, Lundell L, Masclee A, Ritz P, Tack J (2020) Evidence- Based Guidelines: International consensus on the diagnosis and management of dumping syndrome. Nat Rev Endocrinol. 16 (8) 448 – 466
  12. Smajis S, Krebs M (2018) Postprandiale Hypoglykämie nach Magenbypass. Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 11 118 - 121

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