Schilddrüsenkarzinome C73

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.10.2022

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Synonym(e)

Anaplastisches Karzinom der Schilddrüse; Follikuläres Karzinom der Schilddrüse; Karzinom der Schilddrüse; Medulläres Karzinom der Schilddrüse; Papilläres Karzinom der Schilddrüse; Thyroid ccarcinoma

Definition

Maligne epitheliale Neubildung der Schilddrüse. Häufigste endokrine Neoplasie.

Ein erhöhtes Risiko an Schilddrüsenkrebs zu erkranken besteht:

  • bei Patienten mit schnell wachsenden Schilddrüsenknoten, die < 20 oder > 60 Jahre alt sind
  • bei Familienmitgliedern, in deren Familien Schilddrüsenkarzinome aufgetreten sind.
  • beim familiären medullären Schilddrüsenkarzinom (v.a. bei Nachweis eines MEN 2-Syndroms; (MEN = multiple endokrine Neoplasie).
  • bei Jodmangel und TSH - Erhöhung
  • bei Personen, die als Kinder oder als Jugendliche mit Röntgenbestrahlungen im Halsbereich behandelt wurden (z.B. bei der Behandlung eines Hodgkin Lymphoms oder eines Säuglingshämangioms im Halsbereich).
  • bei Personen die einer hohen Strahlenbelastung durch radioaktives Jod ausgesetzt waren (z.B. durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl). Die Erkrankungshäufigkeit ist bei Kindern nach Bestrahlung 25-fach erhöht und kann viele Jahrzehnte nach der Strahlenbelastung auftreten.

Einteilung

Differenzierte Karzinome

  • Papilläres Karzinom (60% aller Schilddrüsenkarzinome; bei Kindern und Adoleszenten 1.5%-3% alles maligner pädiatrischer Geschwülste (Palaniappan R et al.2018)
  • Follikuläres Karzinom (30% aller Schilddrüsenkarzinome)

Gering differenziertes Karzinom (selten)

Undifferenziertes (anaplastisches) Karzinom (selten)

Medulläres Karzinom (leiten sich von den Calcitonin-produzierenden C-Zellen ab; 5% aller Schilddrüsenkarzinome)

Sonstige (<1% aller Schilddrüsenmalignome): Maligne Lymphome, Sarkome der Schilddrüse, Metastasen

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: 5/100.000 Menschen/Jahr (etwa 1 % aller Krebsfälle in Deutschland). Inzidenzen sind in den letzten beiden Jahrzehnten konstant.

Ätiopathogenese

Erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Schilddrüsenkarzinoms:

  • Ionisierende Strahlenbelastung der Schilddrüse.
  • Strahlenbelastungen im Kindesalter erhöht das Risiko für die Entstehung eines papillären Schilddrüsenkarzinoms deutlich. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Strahlenbelastung. Kinder (besonders Kinder < 4 Jahren) reagieren um ein Vielfaches empfindlicher als Erwachsene. Nach den Atombombenabwürfen in Japan und dem Reaktorunfall von Tschernobyl erhöhten sich in Japan und in Europa die Schilddrüsenkarzinomrate sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Das Zeitintervall vom Zeitpunkt der Strahlenbelastung bis hin zur Karzinomentstehung beträgt durchschnittlich etwa 10 - 15 Jahre.
  • Ein Jodmangel begünstigt die Entstehung eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms.
  • Ein Teil der follikulären Schilddrüsenkarzinome weist eine onkogene Chromosomentranslokation auf (Fusion von 2 Genen: PAX8 und PPARγ1).
  • Genetische Faktoren: medulläre Schilddrüsenkarzinome beim MEN-Syndrom weisen eine Mutation des RET-Protoonkogens auf. Derartige somatische Mutationen können auch beim medullären Schilddrüsenkarzinom nachgewiesen werden.
  • Auch bei der Rosazea scheint ein erhöhtes Risiko an Schilddrüsenkarzinomen  vorhanden zu sein (LI WQ et al. 2015)

Manifestation

w:m=2/3:1 (bezieht sich auf die differenzierten Karzinome (papilläres SD-Karzinom, follikuläres SD-Karzinom); beim anaplastischen und beim C-Zell-Karzinom ist das Verhältnis m/w ausgeglichen. Männer weisen eine schlechtere Prognose als Frauen auf.

Das Schilddrüsenkarzinom kann in jedem Alter auftreten. Papilläre Karzinome weisen einen Altersgipfel zwischen dem 35. und 60.Lebensjahr, follikuläre zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auf. Anaplastische Karzinome sind vor dem 40. Lebensjahr selten; der Inzidenzgipfel liegt zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr. Das Alter der Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom ist stark variabel; es lässt sich keinen Gipfel in der Altersverteilung erkennen.

Klinisches Bild

In vielen Fällen weisen betroffene Patienten dagegen keine charakteristischen Krankheitszeichen auf. Diagnose ist oft ein sonographischer Zufallsbefund. Klinisch bereits wegweisend sind innerhalb weniger Wochen schnell wachsende harte Knoten. Fortgeschrittene Schilddrüsenkarzinome werden durch ihr verdrängendes,infiltrierendes und metastatisches Wachstum auffällig:

  • Druckgefühl im Halsbereich
  • Schluckbeschwerden
  • Dyspnoe
  • Heiserkeit und Hustenreize (Nervus laryngeus recurrens)
  • Weiterhin können tast- oder sichtbare vergrößerte Lymphknoten im Halsbereich nachgewiesen werden.
  • Weit fortgeschrittene Schilddrüsenkarzinome bewirken Stridor, Horner-Syndrom und/oder eine obere Einflussstauung.

Bildgebung

Sonographie: Die Sonographie (Ultraschall) der Schilddrüse ist die Basisuntersuchung und heutzutage als Leitmethode in der Schilddrüsendiagnostik anzusehen. Sie ist bei allen vermuteten oder nachgewiesenen Knoten, Vergrößerungen oder Funktionsstörungen der Schilddrüse einzusetzen. Als einfaches, schnelles und wenig belastendes Verfahren (wichtig: keine Strahlenbelastung) eignet sich die Sonographie vor allem zum Screening, zur Verlaufskontrolle und zur Nachsorge.

Elastographie: Methode zur Messung der Elastizität des Gewebes. Die Elastographie ist als neueres bildgebendes Verfahren eine Weiterentwicklung der Ultraschalldiagnostik. Analog zur manuellen Palpation (Untersuchung durch Betasten) nutzt die Elastographie die Tatsache, dass Tumorgewebe häufig eine andere Konsistenz aufweist (fester, derber) als das umgebende gesundes Gewebe.

Szintigraphie: Bei sonographisch nachgewiesenen Schilddrüsenknoten > 1 cm ist die Schilddrüsenszintigraphie empfohlen. Die Szintigraphie ergänzt als primär funktionsorientiertes Verfahren die bildgebende morphologische Information. Aufgrund des Speicherverhaltens des eingesetzten radioaktiven Tracers (Technetium oder Jod) können nichtspeichernde ("kalte") Knoten identifiziert werden, die eine höhere Karzinomwahrscheinlichkeit besitzen und daher einer weiteren Abklärung bedürfen.

 

Labor

Serummarker erlauben den Nachweis einer residualen oder rezidivierenden Erkrankung (Thyreoglobulin bei den differenzierten Schilddrüsenkarzinomen (papilläres SDC und follikuläres SDC), Calcitonin beim medullären Schilddrüsenkarzinom). Zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion werden die Hormone TSH sowie fT3 und fT4 bestimmt. Bei einem Verdacht auf eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse (z.B. M. Basedow/Hashimoto-Thyreoiditis) ist die Analyse der Schilddrüsenantikörper notwendig. Bemerkung: Calcitonin im Blut ist ein sehr empfindlicher und spezifischer Marker für das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MTC). Das Hormon sollte bei jedem Schilddrüsenknoten mindestens 1x bestimmt werden, um das MTC auszuschließen. Nach einer kompletten Thyreoidektomie und Radiojodtherapie wird regelmäßig die Bestimmung des Thyreoglobulin durchgeführt (s.u. Nachsorge). 

Diagnose

Klinik, Anamnese (Familienscreening), Bildgebung (Sonographie, Szintigraphie (kalte Knoten), CT, MRT – Halsregion, evtl. PET = Positronenemissionstomographie), gezielte Feinnadelaspirationsbiopsie, Labor (Calcitonin-Bestimmung: Werte erhöht beim medullären Schilddrüsenkarzinom) 

Feinnadelaspirationsbiopsie: hierbei können Schilddrüsenknoten unter Ultraschallkontrolle mittels dünner Nadel punktiert werden. Die histologische Untersuchung des so gewonnenen Zellmaterials erlaubt eine Aussage über die Dignität des Gewebes.

Therapie

Kombiniert chirurgisch, strahlentherapeutisch, nuklearmedizinsich, onkologisch (Tumorkonferenz) in spezialisierten Zentren.

Chirurgie: Totale Thyreoidektomie + Lymphknotendissektion unter Schonung des N. recurrens und Erhalt von wenigstens 1 Nebenschilddrüse. Die Operationsstrategie hängt wesentlich von dem Tumortyp und dem Stadium der Erkrankung ab und ist stets individuell mit dem Patienten zu besprechen.

Ablative Radiojodtherapie: Bei den follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinomen erfolgt im Anschluss an die Operation nach 4-6 Wochen eine 131I-Radiojodtherapie. Ziel dieser Behandlung ist die selektive Zerstörung verbleibender Schilddrüsen(tumor)zellen sowie ggf. vorhandener Metastasen. Die Radiojodtherapie ist Behandlung der Wahl, wenn postoperativ Metastasen nachgewiesen werden. Bemerkung: Medulläre und anaplastische Schilddrüsenkarzinome weisen keine Jodspeicherung auf und eignen sich daher nicht zur Radiojodtherapie. NW: passagere Strahlenthyreoiditis, Gastritis, Sialadenitis. Risiko einer späteren akuten Leukämie beträgt <1%.

Externe Strahlentherapie (Perkutane Strahlentherapie): Patienten mit ungünstigen Prognoseparametern und sehr hohem Rezidivrisiko (anaplastisches Schilddrüsenkarzinom) können von einer perkutanen Radiotherapie profitieren (Brierley J et al.2012). Bemerkung: C-Zellkarzinome sind strahlenresistent (totale Thyreoidektomie ist Therapie der Wahl).

 

Interne Therapie

Palliative Chemotherapie bei inoperablen, nicht radiojodspeichernden Schilddrüsenkarzinomen. Therapien im Rahmen von kontrollierten Studien (Tyrosinkinaseinhibitoren wie Imatinib, Vandetanib, Levantinib, Carbozantinib) sowie als mTOR-Inhibitor Everolimus.

Verlauf/Prognose

Die Heilungsaussichten sind bei einem rechtzeitig erkannten Schilddrüsenkrebs gut. Die durchschnittliche 5-Jahresüberlebenrate beträgt bei Frauen 94%, bei Männern 87% .

10 Jahresüberlebensraten:

  • Papilläres Schilddrüsenkarzinom: >90%
  • Papilläres Mikrokarzinom (≤ 10 mm): häufig Zufallsbefund nach Schilddrüsenoperationen. Günstivge Prognose. Nach chirurgischer R0-Resektion altersentsprechend normale Lebenserwartung.
  • Medulläres Schilddrüsenkarzinom: minimal invasiv: >95%; breit invasiv: 50%
  • Follikuläres Schilddrüsenkarzinom: 50%
  • Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom: 0,5 Jahre (!)  

Tabellen

Stadieneinteilung (nach der internationalen TNM-Klassifikation - T steht für Tumor, N für regionäre Lymphknotenmetastasen, M für Fernmetastasen):

  • pT1: Tumor < 2cm groß, ist auf die Schilddrüse begrenzt.
  • pT1a <= 1cm, begrenzt auf die Schilddrüse
  • pT1b >1-2 cm, begrenzt auf die Schilddrüse
  • pT2: >2-4 cm, auf die Schilddrüse begrenzt.
  • pT3a: > 4cm auf die Schilddrüse begrenzt
  • pT3b: jegliche Größe mit makroskopischer extrathyreoidaler Invasion in die kurzen geraden Halsmuskeln (Mm. sternohyoideus, sternothyroideus, thyrohyoideus, omohyoideus).
  • pT4a: Ausbreitung in Subkutis, Larynx, Trachea, Ösophagus, N. recurrens
  • T4b: Prävertebrale Faszie, mediastinale Gefäße, A. carotis
  • N0: Kein Anhalt für regionäre Lymphknoten-Metastasen
  • N1: Nachweis regionaler Lymphknotenmetastasen
    • N1a: Die Lymphknotenmetastasen befinden sich in den Lymphknoten in der Halsmitte.
    • N1b: Die Lymphknotenmetastasen können sich sowohl im Halsbereich als auch bereits im oberen Brustkorbbereich befinden.
  • M0: Kein Nachweis von Fernmetastasen.
  • M1: Nachweis von Fernmetastasen.

Besonderheiten der pT Klassifikation für das anaplastisches/undifferenziertes Karzinom

  • T4a: begrenzt auf die Schilddrüse
  • T4b: Ausbreitung jenseits der Schilddrüsenkapsel

In der klinischen Praxis ist außerdem eine Stadieneinteilung der Schilddrüsenkarzinome verbreitet, die auf der TNM Klassifikation, dem Patientenalter und dem histologischen Typ beruht.

Papilläre/follikuläre SD-Karzinom (Alter 45 Jahre und > 45 Jahre)

  • Stadium I: T1a, T1b, N0, M0
  • Stadium II: T2, N0, M0
  • Stadium III: T3, N0, N1a, M0 oder T1, T2, T3, N1a, M0
  • Stadium IVA: T1, T2, T3, N1b, M0 oder T4, N0/N1, M0  
  • Stadium IVB: T4b, jedes N, M0
  • Stadium IVC: jedes T, jedes N, M1

Papilläre/follikuläre SD Karzinome (Alter unter 45 Jahre)

  • Stadium I: jedes T, jedes N, M0
  • Stadium II: jedes T, jedes N, M1

Medulläre Schilddrüsenkarzinome

  • Stadium I: T1a, T1b, N0, M0
  • Stadium II: T2, T3, N0, M0
  • Stadium III: T1, T2, T3, N1a, M0
  • Stadium IVA: T1, T2, T3, N1b, Mo oder T4a, jedes N, M0
  • Stadium IVB: T4b, jedes N, M0
  • Stadium IVC; jedes T, jedes N, M1

Anaplastische SD Karzinome

  • alle Fälle sind Stadium IV 

 

Nachsorge

Lebenslange Nachsorge notwendig. Klinischer und sonographischer Lokalbefund. Kontrolle des Thyreoglobulinwertes (nach radikaler Thyreoidektomie, kein funktionelles Schilddrüsengewebe mehr vorhanden, keine Thyreoglobulinwert-Produktion. Ein Wiederanstieg des Thyreoglobulinwertes spricht für ein Tumorrezidiv.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Brierley J et al.(2012) The role of external beam radiation and targeted therapy in thyroid cancer. Semin Radiat Oncol 22:254-262. 
  2. Dralle H et al. (2018) Die neue TNM-Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome. Der Chirurg 89: 389–389
  3. Hahn JM (2013) Erkrankungen endokriner Organe. In: Checkliste innere Medizin, Hahn JM Hrsg. Thieme Verlag Stuttgart-New York. S534-535
  4. Li WQ et al. (2015) Personal history of rosacea and risk of incident cancer among women in the US. Br J Cancer 113:520-523. 
  5. Palaniappan R et al.(2018) Management outcomes of pediatric and adolescent papillary thyroid cancers with a brief review of literature. Indian J Cancer 55:105-110.
  6. Wein RO et al. (2011) Anaplastic thyroid carcinoma: palliation or treatment? Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg 19:113-118. 

 

Verweisende Artikel (3)

BRAF-Gen; Carney-Komplex; Peutz-Jeghers-Syndrom;

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Zuletzt aktualisiert am: 22.10.2022