Respiratory Syncytial Virus-Infektionen

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 29.02.2020

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Synonym(e)

Respiratorische Synzytial-Virus-Infektionen; RSV-Infektionen

Definition

Häufige akute Infektion der oberen und unteren Atemwege bei Säuglingen und Kleinkindern. RSV-Infektionen führen jedes Jahr (saisonalen Häufigkeit im Spätherbst und Winter) zu klinischen Symptomen. In den anderen Monaten werden nur sporadische Infektionen beobachtet. Das RSV-Virus ist hochkontagiös. > 50% der Kinder (Alter: <1 Jahr) werden exponiert. Neugeborene und junge Säuglinge sind in den ersten 4–6 Lebenswochen durch diaplazentar übertragene Antikörper vor einer RSV-bedingten Erkrankung geschützt. Frühgeborene können jedoch durch eine geringere Versorgung mit mütterlichen Antikörpern auch in den ersten Lebenswochen bereits an einer RSV-Infektion erkranken. Bei älteren Säuglingen und Kleinkindern ist eine RSV-Infektion die häufigste Ursache von Erkrankungen des unteren Respirationstraktes. Innerhalb des 1. Lebensjahres haben 50–70% und bis zum Ende des 2. Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine Infektion mit RSV durchgemacht.

Eine langfristige Immunität besteht nicht. Reinfektionen sind häufig, insbesondere bei Erwachsenen mit regelmäßigem Kontakt zu Kleinkindern.

Erreger

Weltweit verbreitetes, einzelsträngiges (ss), unsegmentiertes RNA-Virus aus der Familie der Paramyxoviridae (Gattung Pneumoviridae - Pneumoviren). Die Inkubationszeit beträgt 2–8 Tage (durchschnittlich 5 Tage).

Dauer der Ansteckungsfähigkeit: RSV-infizierte Personen können schon einen Tag nach der Ansteckung und noch vor Symptombeginn infektiös sein. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit beträgt in der Regel 3–8 Tage und klingt bei immunkompetenten Patienten meist innerhalb einer Woche ab. Frühgeborene, Neugeborene, immundefiziente oder immunsupprimierte Patienten können das Virus über mehrere Wochen, im Einzelfall über Monate ausscheiden.

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz von RSV-Atemwegserkrankungen wird weltweit im ersten Lebensjahr mit 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1.000 Kindern angegeben. Im Mittel verlaufen 0.2% der Fälle bei Kindern ohne bekanntes erhöhtes Risiko, 1,2% bei Frühgeborenen, 4,1% bei Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie und 5,2% der Fälle bei Kindern mit angeborenem Herzfehler tödlich.

M:w=1:1; bei schweren, mit Hospitalisation verbundenen RSV-bedingten Erkrankungen bei Kindern (nosokomiale Infektionen) sind Jungen 2x so häufig wie Mädchen betroffen.

Ätiopathogenese

Das Virus infiziert die Zilien-tragenden Epithelzellen des oberen Respirationstraktes. Hier findet die Virusreplikation statt. Durch eine vom F-Protein verursachte Synzytienbildung und die einsetzende Inflammation werden die Epithelien reversibel geschädigt. Die Nekrose derartiger Synzytien sowie die entzündlichen Exsudate führen zu einer Obstruktion der Luftwege. Die Infektion ist typischerweise selbstlimitierend. Innerhalb von 4-8 Wochen regenerieren sich die Epithelien.

Klinisches Bild

Eine RSV-Infektion kann das Symptomspektrum von einer einfachen Atemwegsinfektion bis zu einer schweren beatmungspflichtigen Erkrankung der unteren Atemwege zeigen oder auch asymptomatisch verlaufen. Eine Primärinfektion mit RSV führt fast immer zu einer deutlichen klinischen Symptomatik. Die Erkrankung kann auf die oberen Atemwege beschränkt sein, sich aber auch, insbesondere bei Säuglingen in den ersten Lebensmonaten, als Bronchiolitis, Pneumonie oder Tracheobronchitis äußern.

Ein keuchhustenähnliches Krankheitsbild kommt bei etwa 5% der Fälle mit Beteiligung der unteren Atemwege vor. Fieber ist häufig, wobei von seiner Höhe und Dauer nicht die Krankheitsschwere ableitbar ist. Im Krankheitsverlauf werden in der Regel zuerst Symptome einer Erkrankung der oberen Atemwege (Schnupfen, nichtproduktiver Husten, eventuell Pharyngitis) beobachtet, die innerhalb von 1–3 Tagen zu Symptomen unterer Atemwegserkrankungen fortschreiten können. Meist wird der Husten hierbei deutlicher und produktiver, die Atemfrequenz steigt, und es kann zu einer Dyspnoe kommen. Zeichen einer exspiratorischen Obstruktion sind typisch. Die RSV-Bronchiolitis ist gekennzeichnet durch einen reduzierten Allgemeinzustand, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme (Trinkverweigerung, Reflux, Erbrechen, Dehydratation), beschleunigte Atmung, Husten und Dyspnoe unter Einsatz der Atemhilfsmuskulatur (juguläre oder interkostale Einziehungen). Bei schwerem Verlauf kann es auch zu einer „stillen Obstruktion“ mit Tachypnoe und schlechter peripherer Kreislaufperfusion kommen, während bei der Bronchiolitis das exspiratorische Giemen im Vordergrund steht.

Diagnose

Auskultation: knisternde als auch giemende Geräusche über der Lunge auskultierbar. Durch eine Verengung der Atemwege, schlecht belüftete und kompensatorisch überbelüftete Lungenareale (Atelektasen betreffen typischerweise den rechten Lungenoberlappen) und ein niedriges Ventilations-Perfusions-Verhältnis kann es zur Hyperkapnie, Hypoxämie und auch zu einer Zyanose kommen.

Der Erregernachweis sollte zeitnah erfolgen, um nosokomialen RSV-Infektionen wirksam vorzubeugen. Für den Nachweis von RSV ist Nasopharyngealsekret aus Nasenrachenspülwasser, -aspiration oder –abstrichen geeignet.

PCR: Genomnachweise mittels PCR sind sehr spezifisch, schnell und hochsensitiv, selbst bei geringer Viruslast in der Probe.

Als Antigennachweis verfügbar sind die meist auf Enzym-Immunoassays (EIA) basierende Schnelltests basierenden Nachweismethoden. Sie liefern innerhalb von 20–75 Minuten ein Ergebnis (Sensitivität von EIA liegt bei 50–90%; Spezifität bei 75–100%). Weiterhin können auf Immunfluoreszenzverfahren (IFT) basierende hochspezifische Nachweismethoden eingesetzt werden (Sensitivität + Spezifität > 90% ).

Viruskultur ist möglich (früher Goldstandard in der Labordiagnostik), spielt jedoch praktisch keine Rolle mehr.

Antikörpernachweise sind im Vergleich zu direkten Erregernachweisen von untergeordneter Bedeutung. Bei einer RSV-Infektion werden Antikörper nur in geringfügiger Konzentration gebildet. Um einen Titeranstieg zu erfassen, müssen zwei Seren mit mindestens 2–4 Wochen Abstand untersucht werden. Antikörpernachweise sind daher vor allem zur retrospektiven Sicherung der Diagnose und zu Surveillance- und Forschungszwecken geeignet.

Komplikation(en)

Sekundärinfekte: Sekundäre bakterielle Infektionen kommen bei RSV-Infektionen eher selten vor, Koinfektionen mit anderen respiratorischen Viren sind häufig.

Otitis media: Eine häufige Komplikation der RSV-Infektion ist eine akute Otitis media. In bis zu ¾ der Fälle einer akuten Otitis media bei Kindern unter 3 Jahren wird RSV allein oder als Koinfektion mit anderen viralen oder bakteriellen Erregern nachgewiesen.

Hyperreagibiles Bronchialsystem: Als Langzeitkomplikation sind wiederkehrende Obstruktionen und eine anhaltende Hyperreagibilität des Bronchialsystems als Folge einer akuten RSV-induzierten Bronchiolitis beschrieben.

Allergisches Asthma bronchiale: Offenbar können diese rekurrierenden Infekte zur Induktion und Exazerbation eines allergischen Asthma bronchiale führen (Nguyen TH et al. 2018).

Risikopatienten: Risikopatienten, die schwer an einer RSV-Infektion erkranken können, sind Frühgeborene, Kinder mit pulmonalen Vorerkrankungen, Kinder mit Herzfehlern, Erwachsene mit kardialen oder pulmonalen Vorerkrankungen. Weiterhin immundefiziente und immunsupprimierte Patienten. Nosokomiale RSV-Infektionen sind bei Frühgeborenen, immundefizienten und immunsupprimierten Personen bedeutsam.

Cave: RSV ist einer der wichtigsten Erreger einer nosokomialen Infektion und Pneumonie bei Säuglingen und jungen Kleinkindern.

 

Therapie

Die Therapie ist symptomatisch und besteht in ausreichender Flüssigkeitszufuhr zur Sekretmobilisation und Freihalten des Nasopharynx mit NaCl-Nasenspülungen oder -tropfen. Sauerstoffgaben, Atemunterstützung mit CPAP-Maske oder Intubation und Beatmung können im Einzelfall erforderlich werden. Die Inhalation mit Bronchodilatatoren sind hilfreich. Eine parallele Überwachung der Sauerstoffsättigung zu Beginn der Inhalationsbehandlung sollte erfolgen, da eine Hypoxämie verstärkt werden kann. Cave: RSV-assoziierte Apnoen!

Inhalativ verabreichte Kortikosteroide sind weder in der akuten Erkrankungsphase noch zur Prävention der Hyperreagibilität des Bronchialsystems wirksam. Die systemische Gabe kann zur Verringerung der Akutsymptome und deren Dauer beitragen. Antibiotika beeinflussen weder den klinischen Verlauf der RSV-Infektion noch die Dauer der Ansteckungsfähigkeit. Sie sind nur dann indiziert wenn eine bakterielle Koinfektion vorliegt.

Verlauf/Prognose

98% der RSZ-Atemwegsinfektionen verlaufen bei Kleinkindern unkompliziert, häufig auch unbemerkt. Bei Frühgeborenen sind rezidivierende Apnoen charakteristisch. Insgesamt unterscheidet sich die Symptomatik von Patient zu Patient. Einige Fälle verlaufen bei Kleinkindern schwer, v..a. bei immunologischen Risikopatienten. Vereinzelt werden Beatmungen erforderlich. 2% der Infektionen verlaufen letal. Bei Erwachsenen verlaufen RSV-Infektionen oft asymptomatisch oder als unkomplizierte Infektion der oberen Atemwege .

RSV-Reinfektionen sind häufig und kommen in jedem Lebensalter vor. Reinfektionen sind möglich,  verlaufen jedoch meist weniger schwer als bei die Primärinfektion. Meist dauert die Erkrankung etwa 3–12 Tage, wobei respiratorische Reizsymptome, v.a. Husten, über mehr als 4 Wochen anhalten können.

Prophylaxe

Bislang ist kein Impfstoff zur aktiven Immunisierung zugelassen.

Passive Immunisierung: Hierfür steht für pädiatrische Risikopatienten ein gegen das F-Protein des RSV-Virus gerichteter monoklonaler Antikörper (Palivizumab) zur Verfügung (Meissner HC et al. 1996). Das Präparat ist während der RSV-Saison monatlich i.m. zu applizieren. Die Schutzwirkung beginnt mit der Verabreichung der ersten Dosis, erreicht aber erst nach der zweiten Dosis ihr Wirkmaximum (Resch B 2017).

Während der Ansteckungsfähigkeit sollten Patienten Gemeinschaftseinrichtungen, insbesondere Krabbelgruppen, nicht besuchen, auch wenn kein explizites Besuchsverbot für Gemeinschaftseinrichtungen gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) § 34 Abs. 1 und 3 besteht. Erfolgt ein RSV-Nachweis bei einem hospitalisierten Patienten, sollte dieser räumlich über die gesamte Dauer der Ansteckungsfähigkeit von anderen, insbesondere von Säuglingen und Risikopatienten getrennt werden. Eine Kohortenisolierung mehrerer RSV-infizierter Patienten ist möglich.

RSV ist gegenüber Desinfektionsmitteln mit Wirkung gegen behüllte Viren (vom Hersteller als „begrenzt viruzid“ gekennzeichnet) empfindlich. Für allgemeine Schutz- und Hygienemaßnahmen wird auf die Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention verwiesen.

Maßnahmen bei Ausbrüchen: Im Falle eines Ausbruchs in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen gelten Schutz- und Hygienemaßnahmen gleichermaßen. Kommt es zu einem RSV-Ausbruch in Hochrisikobereichen, wie einer neonatologischen Intensivstation mit kritisch kranken Frühgeborenen oder langzeitbeatmeten Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie, sollten alle Risikopatienten der Abteilung in Untersuchungen einbezogen werden um eine Erregerausbreitung frühzeitig zu erkennen und einzudämmen.

Hinweis(e)

Meldepflicht gemäß IfSG:  In Deutschland besteht keine krankheits- oder erregerspezifische Meldepflicht gemäß IfSG.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. González-Sanz R et al. (2016)  ISG15 Is Upregulated in Respiratory Syncytial Virus Infection and Reduces Virus Growth through Protein ISGylation. J Virol 90:3428-3438.
  2. Kestler M et al. (2018) Respiratory syncytial virus burden among adults during flu season: an underestimated pathology. J Hosp Infect 100:463-468.
  3. Meissner HC et al. (1996) Prevention of respiratory syncytial virus infection in high risk infants: consensus opinion on the role of immunoprophylaxis with respiratory syncytial virus hyperimmune globulin. Pediatr Infect Dis J 15:1059–1068.
  4. Melero JA et al. (2017) Structural, antigenic and immunogenic features of respiratory syncytial virus glycoproteins relevant for vaccine development. Vaccine 35:461-468.
  5. Mesquita FDS et al. (2017) Rapid antigen detection test for respiratory syncytial virus diagnosis as a diagnostic tool. J Pediatr (Rio J) 93:246-252.
  6. Nguyen TH et al. (2018) Identification of IFN-γ and IL-27 as Critical Regulators of Respiratory Syncytial Virus-Induced Exacerbation of Allergic Airways Disease in a Mouse Model. J Immunol 200:237-247.
  7. Resch B (2017) Product review on the monoclonal antibody palivizumab for preventionof respiratory syncytial virus infection. Hum Vaccin Immunother13:2138-2149.
  8. Rossey I et al. (w2017)  Potent single-domain antibodies that arrest respiratory syncytial virus fusion protein in its prefusion state. Nat Commun 8:14158.

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