Pulmonalisinsuffizienz I37.1

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 27.03.2022

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Synonym(e)

PI; Pulmonalinsuffizienz

Definition

Unter einer Pulmonalklappeninsuffizienz (PI) versteht man eine während der Diastole bestehende Undichtigkeit bzw. Schlussunfähigkeit der zwischen rechtem Ventrikel und den Pulmonalarterien liegenden Pulmonalklappe. Durch diese Undichtigkeit kommt es primär zu einem Rückfluss von Blut in den rechten Ventrikel (Wilkenshoff 2008).

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die PI ist eine selten vorkommende Klappenerkrankung. Sie kann angeboren oder erworben sein.

Als angeborenes Vitium tritt eine relevante Pulmonalklappeninsuffizienz nur sehr selten auf.

Am häufigsten findet man sie sekundär durch eine Ringdilatation, ausgelöst durch eine pulmonale Hypertonie. Bei dieser Form der Insuffizienz wird aber nur selten ein relevanter Schweregrad erreicht.

Die klinisch relevante PI findet sich in erster Linie iatrogen bedingt durch vorausgegangene Interventionen an der Pulmonalklappe (Karathanos 2019).

Im Erwachsenenalter tritt die Pulmonalinsuffizienz häufiger als die Pulmonalstenose auf (Erdmann 2006).

Organisch entzündliche Veränderungen der Pulmonalklappe sind sehr selten. Weitaus häufiger findet sich die funktionelle Pulmonalinsuffizienz (Riecker 1993).

 

Ätiopathogenese

Zu einer Pulmonalinsuffizienz kann es infolge einer primären Klappenerkrankung, einer Dilatation des Klappenrings oder einer Kombination aus beidem kommen (Kasper 2015). Es wird zwischen einer funktionellen und einer organisch entzündlichen Pulmonalinsuffizienz differenziert (Riecker 1993).

Die funktionelle Pulmonalinsuffizienz kann ausgelöst werden:

  • nach katheterinterventioneller oder chirurgischer Behandlung einer Pulmonalstenose
  • nach chirurgischer Behandlung:
    • bei Fallot- Tetralogie
    • nach Klappenrekonstruktion mittels Patch
    • nach Infundibulektomie

- im Rahmen eines Karzinoid- Syndroms (als sog. Hedinger- Syndrom; dieses verursacht meistens sowohl eine Insuffizienz als auch eine Stenose der Klappe[Kasper 2015])

  • isolierte angeborene Pulmonalinsuffizienz (tritt nur äußerst selten auf)
  • Syndrom der fehlenden Pulmonalklappe
  • als sekundäre Pulmonalklappeninsuffizienz durch
    • langjährige pulmonale Hypertonie (häufigste Ursache)
    • Dilatation der Pulmonalarterie (Pinger 2019)
  • durch Komplikationen bei einer Ross- Operation (dabei wird die defekte Aortenklappe durch die gesunde Pulmonalklappe ersetzt) (Kasper 2015)

Die durch organisch entzündliche Veränderungen ausgelöste Pulmonalklappeninsuffizienz wird am häufigsten durch eine bakterielle Endokarditis ausgelöst. An 2. Stelle steht die rheumatische Karditis (Riecker 1993)

Klinisches Bild

Klinisch überwiegen Symptome der Grunderkrankung (Erdmann 2006). Selbst eine leicht- bis mittelgradige PI macht i. d. R. keinerlei Symptome. Diese treten erst dann auf, wenn es zu einer pulmonalen Hypertonie kommt (Kasper 2015).

Die Symptome bestehen dann in :

  • Leistungsminderung
  • Dyspnoe, anfangs nur unter Belastung
  • geblähtes Abdomen
  • Lebervergrößerung
  • Ödeme der unteren Extremitäten (Kasper 2015)

Durch eine hochgradige Pulmonalinsuffizienz kommt es zu einer Dilatation und exzentrischen Hypertrophie des rechten Ventrikels. Es sind sowohl die Vorlast als auch die Nachlast erhöht. Während der Diastole nimmt der umgekehrte Druckgradient zwischen Truncus pulmonalis und dem rechten Ventrikel ab. Dadurch entsteht die Descrescendo- Charakteristik des diastolischen Herzgeräusches. Das Geräusch selbst ist um so kürzer, je mehr der Druck im rechten Ventrikel während der Diastole zunimmt (Kasper 2015)

Das Herzzeitvolumen kann in frühen Stadien der Erkrankung noch aufrecht erhalten werden, allerdings ist es selbst dann schon nicht mehr möglich, unter Belastung eine Steigerung des HZV zu erreichen, es kann im weiteren Verlauf sogar zu einer Abnahme des HZV kommen (Kasper 2015).

Die Regurgitationsfraktion beträgt – selbst bei schwerer oder völliger Pulmonalinsuffizienz nur ca. 40 %. Dadurch erklärt sich auch die lange Tolerierung einer PI (Pinger 2019).

Als erstes Zeichen der kompromittierenden Hämodynamik tritt eine reduzierte rechtsventrikuläre Ejektionsfraktion auf. Im weiteren Verlauf kommt es dann zu einer ausgeprägten Dilatation des rechten Vorhofs und des rechten Ventrikels mit deutlich gesteigertem zentralvenösen Druck (Kasper 2015).

Bildgebung

Röntgen Thorax: In der Röntgenaufnahme kann sich ein vergrößerter rechter Ventrikel zeigen und – in Spätfolge der Erkrankung – auch ein vergrößerter rechter Vorhof (Kasper 2015).

Die zentralen Pulmonalarterien sind dilatiert, während die peripheren Pulmonalarterien schmal sind oder auch normal breit sein können (Riecker 1993).

MRT: Sofern bei der Diagnostik unklare Befunde auftreten, kann man mit Hilfe des MRTs die rechtsventrikuläre Myokardhypertrophie quantitativ bestimmen, ebenso die morphologische morphometrische Beurteilung des Lungenparenchyms zur Differentialdiagnose pulmonaler Hypertonien (Riecker 1993).

Kardio- MRT: Goldstandard ist die Kardio- MRT für die Beurteilung und Quantifizierung der Regurgitationsfraktion und der Beurteilung des rechten Ventrikels, einschließlich dessen Ejektionsfraktion (RV- EF). Bisweilen wird die MRT auch zu Verlaufszwecken eingesetzt (Pinger 2019).

Doppler- Echokardiografie: Beim transthorakalen Echo können Morphologie und auch Funktion der Pulmonalklappe bestimmt werden. Der pulmonalarterielle Druck über der Trikuspidalklappe kann anhand der Geschwindigkeit des systolischen Regurgitationsjet abgeschätzt werden (Kasper 2015). Da es an ausreichend validierten Parametern fehlt, ist eine Bestimmung des Schweregrades der PI echokardiographisch schwierig. Die EAE (European Association of Echocardiography) gibt als Zeichen einer schweren Pulmonalinsuffizienz eine Jetbreite von > 65 % des RVOT (rechtsventrikulären Ausflusstrakt) an (Pinger 2019).

Herzkatheteruntersuchung: Die Herzkatheteruntersuchung gehört nicht zur Standarddiagnostik und sollte nur im Rahmen einer ohnehin geplanten Katheterintervention erfolgen (Kasper 2015).

 

Diagnose

Auskultation: Das für eine PI typische Merkmal ist ein hochfrequentes Descrescendo- Geräusch während der Diastole. Dieses entsteht dadurch, dass während der Diastole der umgekehrte Druckgradient zwischen Truncus pulmonalis und dem rechten Ventrikel abnimmt. Das Geräusch ist am linken Sternalrand mit Punktum maximum im 2. oder 3. ICR (Riecker 1993) auskultierbar und wird nach dessen Erstbeschreiber (Graham Steell 1851 – 1942) Graham- Steell- Geräusch benannt. Die Lautstärke des Geräusches kann bei der Inspiration zunehmen (Kasper 2015).

Sofern sich die PI sekundär z. B. im Rahmen einer Mitralklappenstenose entwickelt hat, ist das Geräusch laut und hochfrequent. Bei einer PI, die sich als Folge einer pulmonalen Hypertonie ausgebildet hat, ist es eher niederfrequent mit rumpelndem Crescendo- Decrescendo- Charakter (Riecker 1993).

Oftmals findet sich auch eine laute – mitunter palpable – pulmonale Komponente des 2. Herztons sowie ein hebender Herzspitzenstoß (Kasper 2015).

EKG: Im EKG finden sich Zeichen der Rechtsherzbelastung wie z. B.:

  • Sokolow- Lyon- Index: RV1 + SV 5 / 6 > 1,05 mV
  • Rechtsabweichung der Herzachse (Herold 2018)
  • Endstreckenveränderungen in SV1 und SV 5 (Erdmann 2006)

Therapie allgemein

Die Behandlung einer PI besteht aus konservativen und operativen Maßnahmen.

 

Interne Therapie

Konservative Therapie:

  • Diuretika bei Ödemen
  • ACE- Hemmer bzw. Betablocker sollten versuchsweise zur Antagonisierung einer gesteigerten neurohormonellen Aktivierung eingesetzt werden (Pinger 2019).

Operative Therapie

Die operative Behandlung besteht aus Implantation eines Klappenersatzes. Dieser kann durch eine perkutane Pulmonalklappenimplantation erfolgen oder durch einen chirurgischen eingebrachten Klappenersatz (Karathanos 2019). In Deutschland sind für das minimalinvasive Verfahren zwei verschiedene Katheterklappen zugelassen (Kasper 2015): ein speziell für die Pulmonalklappe entwickelter Ersatz und ein weiteres Klappensystem, welches auch bei einer Aortenstenose verwendet werden kann (Karathanos 2019).

Heutzutage bevorzugt man die kathetergestützte minimal invasive Implantation (Kasper 2015). Wegen der geringeren Komplikationsrate wird bevorzugt eine Bioprothese eingesetzt (Pinger 2019).

Aber selbst bei hochgradigen Läsionen der Pulmonalklappe, wie sie z. B. bei einer Endokarditis oder einem Karzinoidsyndrom auftreten, ist ein primär chirurgischer Klappenersatz nur selten erforderlich, hier reichen i. d. R. konservative Maßnahmen und regelmäßige Überwachung zunächst aus (Kasper 2015).

Die Indikation für einen Klappenersatz ist jedoch dann gegeben, wenn es sich zusätzlich zur schweren PI eine zunehmende rechtsventrikuläre Dilatation hinzukommt. Die operative Maßnahme sollte möglichst noch vor Eintreten einer Dysfunktion des rechten Ventrikels erfolgen, da eine solche Dysfunktion irreversibel ist. (Pinger 2019)

Die perioperative Mortalität dieses Eingriffes beträgt 1 % - 4 %. Die Funktionsdauer der Prothesen liegt beim Erwachsenen zwischen 15 – 30 Jahre (Pinger 2019).

 

Verlauf/Prognose

Grundsätzlich kann man sagen, dass bei einer Klappeninsuffizienz die dadurch verursachte Volumenbelastung, welche zu einer exzentrischen Hypertrophie führt, im Vergleich zu einer Druckbelastung mit konzentrischer Hypertrophie – eine günstigere Prognose hat (Herold 2018).

Bei Patienten mit PI liegt die 10- Jahresüberlebensrate zwischen 86 % - 95 % (Pinger 2019). Erdmann (2006) betont, dass die Lebenserwartung für Patienten mit PI nur bei gleichzeitig vorliegender pulmonaler Hypertonie eingeschränkt ist und durch die der pulmonalen Hypertonie zugrunde liegenden Erkrankung bestimmt wird.

Patienten, bei denen eine mechanische Prothese implantiert wurde, benötigen eine dauerhafte orale Antikoagulation mit Vitamin- K- Antagonisten. Dosierungsempfehlung: Marcumar 3 mg 2 x 1 Tbl. /d in den ersten 3 Tagen, anschließend Dosisanpassung nach Ergebnis des INR- Wertes. Alternativ kann auch das Präparat Falithrom 3 mg in der selben Dosierung gegeben werden (Herold 2018).Der INR- Zielwert sollte zwischen 2 – 3 liegen (Kasper 2015).

Bei Patienten mit Bioprothese sollte eine Antikoagulation für 3 – 6 Monate postoperativ erwogen werden. Anschließend ist eine lebenslange Therapie mit Acetylsalicylsäure zu empfehlen. Für den perkutanen Klappenersatz der Pulmonalklappe liegen bislang keine Leitlinienempfehlungen vor (Karathanos 2019).

Patienten mit Klappenrekonstruktion oder prothetischer Herzklappe haben ein deutlich erhöhtes Risiko einer Endokarditis. Die postprozedurale Bakteriämiefrequenz nach Zahnextraktionen bei Gingivitis liegt bei bis zu 90 %. Von daher ist nach Pulmonalklappenersatz lebenslang bei bestimmten Eingriffen eine Endokarditisprophylaxe erforderlich (Karathanos 2019). Die Standardtherapie wird als Einzeldosis ca. 30- 60 min. vor dem Eingriff verabreicht, z. B. Amoxicillin oder Ampicillin 2 g oral oder i. v. bzw. bei Penicillinallergie Clindamycin 600 mg ebenfalls oral oder i. v. (Pinger 2019).

Näheres s. Endokarditisprophylaxe

Kontrolluntersuchungen, einschließlich einer Echokardiografie werden postoperativ erstmals nach 3 Monaten empfohlen und ansonsten 1 x jährlich. Die Anbindung an ein Schwerpunktzentrum ist sicherlich sinnvoll (Karathanos 2019).

Literatur
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  1. Erdmann E (2006) Klinische Kardiologie: Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße. Springer Verlag 735 – 736 
  2. Herold G et al. (2018) Innere Medizin. Herold Verlag 164, 195, 200 
  3. Karathanos A et al. (2019) Pulmonalklappenerkrankungen: interventionelle und operative Therapieoptionen. Aktuel Kardiol (2) 139 - 144
  4. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1550 
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 1887 – 1888 
  6. Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. 343 – 344 
  7. Riecker G et al. (1993) Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße. Springer Verlag 310 – 314
  8. Wilkenshoff U et al. (2008) Handbuch der Echokardiographie. Thieme Verlag 114 – 115 

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