Paraneoplastische Syndrome (allgemeine Übersicht)

Zuletzt aktualisiert am: 13.11.2022

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Erstbeschreiber

Der Begriff "paraneoplastisch" wurde erstmals von den französischen Wissenschaftlern Guichard und Vignon 1949 verwendet, um damit die multiplen Nervenausfälle bei einer Patientin mit einem Zervix-Karzinom in einen pathophysiologischen Zusammenhang mit ihrer malignen Erkrankung zu bringen.

Definition

Als Paraneoplastische Syndrome wird eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Symptomenkomplexe bezeichnet, die nicht unmittelbar durch den Tumor selbst oder durch seine Metastasen verursacht werden, die aber kausal oder formalgenetisch an das Vorhandensein des Tumors gebunden sind.

Die krankhaften paraneoplastischen Symptome werden einerseits infolge Veränderungen des umgebenden Mikromilieus des Tumors (durch parakrin sezernierte Mediatoren und Hormone) hervorgerufen, und andererseits, durch humorale Tumorprodukte, die Einfluss auf andere Organe nehmen. Sie treten als Haut-, Muskel-, Gelenk- und Knochenveränderungen sowie als neuronale- oder gastrointestinale Veränderungen in Erscheinung.

Die klinisch wahrnehmbare paraneoplastische Symptomatik ist nur in wenigen Fällen spezifisch. Sie ist (per Definition) nicht an den Sitz des Tumors oder seiner Metastasen gebunden, korreliert jedoch häufig in ihrer Ausprägungsstärke mit dem Verlauf der Tumorerkrankung. Paraneoplastische Syndrome manifestieren sich vor oder während eines Tumorleidens, können jedoch auch diesem unter Umständen langzeitig vorausgehen. Somit kommt ihnen eine wichtige Rolle als Indikatoren zur Früherkennung eines malignen Grundleidens zu, insbesondere im Hinblick auf die möglicherweise noch kurative Behandlung eines Primarius. Paraneoplastische Symptome können sich auch nach der Entfernung des Primarius und seiner Metastasen oder nach erfolgreicher Chemo- und Radiotherapie wieder zurückbilden.

 

Einteilung

Am häufigsten treten paraneoplastische Syndrome auf bei:

Vorkommen

Paraneoplastische Syndrome werden bei ca. 8–20% der Patienten mit malignen Tumoren beschrieben, wobei die Streuung durch eine unterschiedlich stringente Definition der paraneoplastischen Syndrome zurückzuführen ist. Hinzu kommt die nicht selten schwierige  klinische Unterscheidung der Symptome gegenüber unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW).

Ätiologie

Die Ursache vieler Paraneoplasien ist unklar. Vermutlich werden durch Mutationen im Rahmen der Tumorgenese nicht nur der Proliferationsstoffwechsel, sondern auch der Leistungsstoffwechsel der Krebszelle verändert. Die Folge ist die Synthese biologisch aktiver Stoffe, die krankhafte Symptome herbeiführen, so auch allgemeine Symptome wie Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Kachexie.

Weiterhin werden paraneoplastische Syndrome durch ektope Bildung von (Peptid-)Hormonen und hormonartig wirkenden Polypeptiden sowie durch Wachstumsfaktoren unter Mitwirkung von mutierten Onkogenen und Suppressorgenen verursacht. 

Auch können immunologische Phänomene z.B. durch Bildung von Antikörpern für die Entstehung von paraneoplastischen Syndromen verantwortlich sein. Dies ist insbesondere bei neurologischen und dermatologischen Syndromen der Fall (Vaskulitiden, Dermatomyosis, Hypertrichosen u.a.). Weiterhin können Tumor-induzierte Störungen der Organfunktionen (z.B Leber- oder Nierenfunktionsstörungen) paraneoplastische Symptome verursachen. 

Häufig (jedoch nicht immer) kann zwischen klinischer Symptomatik und Tumorgeschehen Parallelität beobachtet werden. So kann sich bei Behandlung oder Entfernung des Tumors die klinische Symptomatik bessern oder gänzlich wieder verschwinden. Ein Rezidiv des auslösenden Tumors kann (muss nicht zwangsläufig) zum Wiederauftreten der paraneoplastischen Symptomatik führen. Dieses Axiom ist jedoch nicht immer gegeben. So zeigt es sich, dass paraneoplastisch induzierte, autoimmunologische Erkrankungen, wie eine paraneoplastische Dermatomyositis oder ein paraneoplastischer Pemphigus, auch nach Entfernung oder Behandlung des Primarius persistieren können.

Klinisches Bild

Paraneoplastisches Syndrome treten als hämatogene, endokrine, immunologisch/allergische oder inflammatorische Störungen auf und manifestieren sich bevorzugt an Haut, blutbildendem System, Muskulatur, Gelenke, Skelett, Zentralnervensystem, Augen, Gastrointesztinaltrakt. Grundsätzlich lassen sich "allgemeine paraneoplastische Syndrome" von "organbezognen paraneoplastischen Syndromen" unterscheiden:  

Allgemeine paraneoplastische Symptome

Patienten mit Tumorerkrankungen leiden häufig an allgemeinen paraneoplastischen Begleitsymptomen wie:

  • Fieber
  • Nachtschweiß
  • Anorexie
  • Kachexie.

Diese Symptome können durch Freisetzung von Zytokinen, die bei Entzündungsreaktionen oder bei der Tumor-assoziierten Immunantwort eine Rolle spielen, oder durch Mediatoren hervorgerufen werden, die im Zusammenhang mit dem Untergang von Tumorzellen stehen, z. B. TNF-alpha. Auch Veränderungen der Leberfunktion und die Produktion von Steroiden können zu diesen allgemeinen paraneoplastischen Symptomen beitragen.

Organbezogene paraeoplastische Snydrome

Haut (Kutane paraneoplastische Syndrome):

  • Die Haut ist ein häufiges Projektionsorgan für paraneoplastische Symtpome und Syndrome (s.u. Kutane paraneoplastische Syndrome). Unterschieden wird zwischen wenigen obligaten und einer Vielzahl von fakultativen, kutanen, paraneoplastischen Syndromen. So ist beispielsweise Juckreiz das häufigste kutane Symptom bei Tumorpatienten (z. B. Leukämie, Morbus Hodgkin, myeloproliferative Neoplasien und Lymphome).

Endokrinium (Endokrine paraneoplastische Syndrome): Sie treten v.a. bei Tumoren auf, die von endorkin aktiven Zellen ausgehen und folglich, ektope Hormoen oder hormonähnlicher Substanzen synthetisieren 

  • Endogenes Cushing-Syndrom durch ektope (paraneoplastische) ACTH-Sekretion (Bemerkung:  Ein zentrales Cushing-Syndrom = Morbus Cushing, durch ein Mikroadenom des Hypophysenvorderlappens ist kein paraneoplastisches Syndrom). Ursächlich liegt dem paraneoplastischen Cushing-Syndrom eine stimulierte ACTH-Sekretion durch ektop gebildetes CRH in Tumoren zugrunde, am häufigsten bei Bronchialkarzinomen, C-Zell-Karzinomen, Protatakarzinom und Karzinoiden. Klinisch: Charakteristische Merkmale des Hyperkortisolimus mit Anstieg der Kortisolspiegel mit Hyperglykämie, Hypokaliämie, Hypertonie, Stammfettsucht und "Vollmondgesicht".
  • Akromegalie: Ursächlich ist eine ektope, pathologische GHRH- und GH-Sekretion. Ursächlich sind  Karzinoide, Bronchial-, Ovarial-, Mamma-, Schilddrüsen-, Kolonkarzinome, Inselzelltumoren des Pankreas, Phänochromozytome, Neuroblastome. Klinisch: Zeichen der Akromegalie mit Arthralgien, Amenorrhoe, Galaktorrhoe, Impotenz, Bluthochdruck u.a.
  • Hyperthyreose: Ursächlich ist eine ektope TRH- und TSRH-Produktion. Ursächlich sind Blasenmolen und Chorionkarzinome. Klinisch: Hyperthyreose mit Tachykardie, Gewichtsabnahme, Wärmeintoleranz u.a.
  • Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts, einschließlich der Hyponatriämie: diese Fumktionsstöreungen können die Folge der ektopen Produktion von Vasopressin und Parathormon-ähnlichen Hormonen sein. Ursächlich sind häufig kleinzellige und nichtkleinzellige Lungenkarzinome.
  • Hypoglykämiesyndrome: Eine Hypoglykämie kann die Folge einer Produktion von IGF (Insulin-like-growth-factor) I und II (Fibrosarkom/Hämangioblastome), von anabolen Steroiden mit Insulinwirkung (Nebennierenridenkarzinome), von exzessivem Glukoseverbrauch (Pseudomyxom)  oder tumorbedigtem Hyperinsulinismus (Leberzellkarzinome) sein.
  • Hypertonie: Hypertonie kann paraenoplastisch infolge einer gesteigerte Kortisolproduktion (ACTH-sezernierende Tumoren) zustande kommen.

  • Hyperprolaktinämie: Ektope Prolaktinfreisetzung durch Mammakarzinom. Klinisch: Verringerung der Libido bei Männern und Frauen. Bei der Frau führt die Hyperprolaktinämie zu einer sekundären Amenorrhoe mit Anovulation, Lidbidostörungen, Hirsutismus, Seborrhoe. Als weiteres Symptom kann eine Galaktorrhoe auftreten. Beim Mann führt diese Endokrinopathie zur Verringerung des Testosteronspiegels. Es kommt zu Libidostörungen, Erektionsstörungen und einer Verringerung des Ejakulatvolumens. Zudem können eine Gynäkomastie und selten auch eine Galaktorrhoe auftreten.

  • Sonstiges:
  • Karzinoid-Paraneoplasie: ektop produziertes Serotonin durch Lungen- und Pankreaskarzinom.
  • Parathormon-related Protein (PTHrP): das ektop produzierte Parathormon-related Protein (PTHrP) wird von Plattenepithelkarzinomen der Lunge, Kopf-Hals-Tumoren, Blasentumoren gebildet. PTHrP verursacht Hyperkalzämie und die damit verbundenen Symptome (Polyurie, Dehydratation, Konstipation, Muskelschwäche).
  • Calcitonin (gebildet von: Mammakarzinom, kleinzelligem Lungenkarzinom, medulläres Schilddrüsenkarzinom). Calcitonin bewirkt ein Absinken des Kalziumspiegels im Serum, das zu Muskelkrämpfen und Herzarrhythmien führt.
  • Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) und Interleukin-6 (Bildung durch versch. Tumoren Lymphome und Leukämien, Multiple endokrine Neoplasien TypI,II,III). Klinisch: Tumorkachexie

Magen-Darmtrakt (Gastrointestinale paraneoplastische Syndrome)

  • Diarrhoe: Nach einer tumorbedingten Sekretion von Prostaglandinen oder von vasoaktivem intestinalen Peptid, können wässrige Diarrhöen mit nachfolgender Dehydratation und Verschiebungen im Elektrolythaushalt auftreten. Ursächlich sind u. a. Inselzelltumoren des Pankreas (Gastrinome).
  • Diarrhoe+Flush: Karzinoide Tumoren produzieren Serotonin-Abbauprodukte, die zu Flush-Symptomen, Durchfall und Atembeschwerden führen.
  • Chronische Enteritiden: v. a. bei Lymphomen. Sie können zu einer Proteinverlustenteropathie führen.

Blutbildende Systeme (Hämatologische paraneoplastische Syndrome): Hierzu gehören Substanzen, die entweder von Tumoren produziert werden oder physiologischen Wachstumsfaktoren ähneln bzw. normale endokrine Signale für die hämatologische Entwicklung blockieren. Weiterhin gehören dazu Antikörper, die mit Rezeptoren oder Zelllinien kreuzreagieren.

Hämatopoese:

  • Anämie: durch Tumorinfiltrate des Knochenmarks, Blutverluste, Hämolyse durch Wärme- und Kälteagglutinine; Eisenverwertungsstörungen,  Eisenmangel u.a.
  • Thymus-Tumoren gehen vermehrt mit Anämie/Thrombozytopenie/Leukopenie/Hypogammoglobulinämie einher.
  • Evans-Syndrom: Immun-Thrombozytopenie und Coombs-positive hämolytische Anämien können den Verlauf von lymphatischen Tumorerkrankungen und des Hodgkin-Lymphoms komplizieren.
  • Mikroangiopathisch-hämolytische Anämie (MAHA), bei Magen-, Mamma-, Bronchial-, Prostata-,Ovarial-, Pankreas-, Kolon-, Leberzellkarzinomen u.a. kommt es zu Beeinträchtigung der Endstrombahn durch Endothelzell-Läsionen mit aktivierung von Thrombozyten und  der plasmatischen Gerinnung bis hin zum  hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) oder eines disseminiserten intravasalen Koagulationssyndroms (DIC).
  • Erythrozytose (Polyglobulie): Durch die ektope Produktion von Erythropoetin oder Erythropoetin-ähnlichen Substanzen kann bei verschiedenen Tumorarten, insbesondere bei Nierenzellkarzinomen,- und Lebertumoren, zerebellaren Hämangioblastomen, Lungentumoren u.a eine Erythrozytose auftreten. Selten sind thromboembolische Kompliktionen.

Leukopoese:

  • Granulozytose durch ektope Bildung hämatopoetischer Zytokine (G-CSF, GM-CSF, Interleukin-3, Interleukin-6) bei Bronchialkarzinomen, gatrointestinalen Tumoren, Ovrialkarzinomen, Tumoren des Urogenitaltraktes. Dermatologisch kann sich ein Sweet-Syndrom entwicklen.
  • Hämatoeosinophilie mit konsekutiver Symptomatik (s.a. Eosinophilie, Hautveränderungen)
  • Leuko-/Granulozyopenie: Large-Granular-Lymphocyte-(NK-Zell-) Syndrom

Thrombopoese:

  • Thrombozytose. Etwa 10-15% aller Patienten mit Thrombozytose (>500/nl) haben eine maligne Grunderkrankung. Ektope Bildung von Interleukin-6, evtl. Thrombopoetin bei Bronchial-, Pankreas-, Gastrointestinal-, Mamma-, Urogenital-, Ovarial-, Prostatakrzinomen und Lymphomen.
  • Tumorassoziierte Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH): ein den Histiozytosen zugeordnetes hyperinflammatorisches Syndrom, verursacht durch eine massive, überschießende, sepsisartige, inflammatorische Reaktion des Immunsystems mit überwältigender Aktivierung von T-Lymphozyten und Makrophagen. Sie ist zu rund 30% tumorassoziiert (hämatopoetische Malignome).
  • Hyperkoagulopathie: mit thromboembolischen Ereignissen bei Patienten mit versch.Malignomen (Pankreaskarzinom, Lungenkarzinom).

ZNS- Gehirn/Kleinhirn (Neurologische paraneoplastische Syndrome)

  • Periphere Neuropathie: Die periphere Neuropathie ist das häufigste neurologische paraneoplastische Syndrom (meist liegt eine distale sensomotorische Polyneuropathie vor, die zu einer leichten sensomotorischen Schwäche, sensorischem Verlust und dem Verschwinden von distalen Reflexen führt).
  • Subakute sensorische Neuropathie: Hierbei handelt es sich um eine, seltene, spezifischere Form der peripheren Neuropathie. Es kommt zu einer Degeneration von Spinalganglien mit progressivem sensorischem Verlust und Ataxie, jedoch nur gering ausgeprägter Muskelschwäche. Diese Veränderungen können zu bleibenden Behinderungen führen. Der Autoantikörper Anti-Hu wird bei einigen Patienten mit Lungentumoren gefunden.
  • Das Guillain-Barré-Syndrom, eine weitere ansteigende periphere Neuropathie, ist ein seltener Befund in der Allgemeinbevölkerung (selten bei Patienten mit Hodgkin-Lymphom).
  • Das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (pseudomyasthenisches Syndrom) ist ein immunvermitteltes Syndrom, ähnlich der Myasthenia gravis, die v. a. die distale und proximale Skelettmuskulatur betrifft (präsynaptischer Defekt, der infolge einer inadäquaten Freisetzung von Acetylcholin an den Nervenendigungen). Das Syndrom kommt am häufigsten beim kleinzelligen Lungenkarzinom (Oat cell-carcinoma) auf. 
  • Die subakute zerebelläre Degeneration verursacht eine progressive bilaterale Ataxie der Arme und Beine, Dysarthrie und gelegentlich Schwindel und Doppelbilder. Zu den neurologischen Zeichen können eine Demenz mit oder ohne Hirnstammzeichen, Ophthalmoplegie, Nystagmus und positive Babinski-Zeichen mit deutlicher Dysarthrie und Beteiligung der Arme gehören. Der Autoantikörper Anti-Yo wird im Serum oder Liquor einiger Patienten, v. a. bei Frauen mit Mamma- oder Ovarialkarzinomen, gefunden.  
  • Opsoklonus (kurze, schnelle und unregelmäßige Augenbewegungen) ist ein seltenes zerebelläres Syndrom, das im Zusammenhang mit dem kindlichen Neuroblastom auftreten kann. Er ist mit zerebellärer Ataxie und Myoklonien des Stammes und der Extremitäten assoziiert. Der zirkulierende Antikörper Anti-Ri kann nachweisbar sein. 
  • Die subakute motorische Neuropathie ist eine seltene Krankheit, die zur schmerzlosen Schwäche der unteren Motoneuronen der oberen und unteren Extremitäten führt. Sie wird meist bei Patienten mit Hodgkin-Lymphom oder anderen Lymphomen beobachtet. Es kommt zu einer Degeneration der Vorderhornzellen. Meist tritt eine spontane Besserung ein.
  • Die subakute nekrotisierende Myelopathie ist ein seltenes Syndrom, beim dem ein rasch fortschreitender sensorischer und motorischer Verlust in der weißen und grauen Substanz des Rückenmarks auftritt. 
  • Die Enzephalitis kann als paraneoplastisches Syndrom in verschiedenen Formen auftreten, die von der betroffenen Gehirnregion abhängig sind. Als Ursache für die Enzephalopathie, die am häufigsten beim kleinzelligen Lungenkarzinom auftritt, wird eine globale Enzephalitis angenommen. Anti-Hu-Antikörper, die gegen RNA-bindende Proteine gerichtet sind, können in Serum und Liquor vorhanden sein. 
  • Optikusneuropathie

Niere (Paraneoplastische Syndrome der Niere)

Glomeruläre Erkrankungen:

  • Membranöse Glomerulonephritis: Bei Patienten mit Kolonkarzinom, Ovarialkarzinom und Lymphom kann es infolge von zirkulierenden Immunkomplexen zu einer membranösen Glomerulonephritis kommen.
  • Minimal-change-Glomerulopathie:  sie tritt als paraneoplastische Syndrom deutlich seltener auf. Assoziationen mit lymphoproliferativen Erkrankungen, insbesondere dem Morbus Hodgkin sind nachgewiesen
  • IgA-Nephropathie: Beim Nierenzellkarzinom wird ein häufiges Vorkommen einer IgA-Nephropathie im Operationspräparat der befallenen Niere beschrieben

Tubulointerstitielle Störungen:

  • Tubulointerstitielle Nephritis bei Multiplem Myelom (Myelomniere)
  • Hyperkalzämische Nephropathie: Tumorassoziierte Hyperkalzämien, bedingt durch ein Multiples Myelom bzw. solide Tumoren mit Skelettmetastasen oder durch endokrin aktive Tumore mit ektoper Produktion von Parathormon oder parathormonähnlichen Peptiden können eine hyperkalzämische Nephropathie verursachen
  • Harnsäurenephropathie: Eine akute Harnsäurenephropathie kann bei Neoplasien mit hohem Zellumsatz auftreten und ist pathogenetisch primär durch eine Ausfällung im Sammelrohrsystem bedingt.

Mikrovaskuläre Erkrankungen:

  • Selten werden auch mikrovaskuläre Veränderungen der Nieren im Rahmen von Tumorerkrankungen beobachtet. Eine renale Vaskulitis kann im Zusammenhang mit hepatozellulären Karzinomen bei Hepatitis C-Infektion mit Kryoglobulinämie, aber auch Assoziationen mit Lungentumoren und Lymphomen vorkommen.

Leber (Hepatogene paraneoplastische Syndrome)

  • Cholestase:  Bekannt ist eine Cholestase als paraneoplastisches Syndrom bei Patienten mit malignen lymphohyperplastischen Erkrankungen und Nierenzellkarzinom.
  • Das „Vanishing Bile Duct Syndrome“  (VDBS) kommt kongenital oder erworben vor. Zu den erworbenen Ursachen zählen zum Beispiel Autoimmunreaktionen, die primär biliäre Zirrhose (PBC) oder die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) und Medikamente. Außerdem kann das VDBS paraneoplastisch im Rahmen eines Hodgkin-Lymphoms auftreten.

Immunsystem (Autoimmunologische paraneoplastische Syndrome; s.u. Rheumatische paraneoplastische Syndrome)

Durch Autoimmunreaktionen verursachte rheumatische bzw. rheumatoide Erkrankungen können Ausdruck von paraneoplastischen Syndromen sein. Die Krankheitsbilder sind selten, stellen jedoch eine wichtige Differenzialdiagnose zu klassischen rheumatologischen und anderen rheumatologisch akzentuierten Krankheitsbildern (z.B. systemische Sklerodermie/Dermatomyositis) dar. Durch das frühzeitige Erkennen der Syndrome gfls. mit ergänzenden Labor und Untersuchungsbefunden ist ein Diagnose einer zugrundeliegenden Malignität und gfls. eine kurative Therapie möglich.

  • Paraneoplastische Arthritis (PA): Die paraneoplastisches Arthritis ist besonders schwierig zu erkennen, da neben der Polyarthritis bei bis zu 23% ein positiver Rheumafaktor und bei 11 % der Patienten positive anti-citrullinierte Proteine (ACPAs) vorliegen (Kisacik B et al. 2014).
  • Palmare Fasziitis mit Polyarthritis (PFPAS): Das seltene PFPAS-Syndrom bietet im Vergleich zur paraneoplastische Arthritis durch die assoziierte Inflammation der palmaren/plantaren Faszien ein klar abgrenzbares Erscheinungsbild. Ursprünglich wurde das Palmare Fasziitis- mit Polyarthritis-Syndrom mit einem Ovarialkarzinom in Verbindung gebracht (> 50% der Patienten). Es ist inzwischen jedoch auch mit mehreren anderen malignen Erkrankungen assoziiert z.B. Adenokarzinom der Lunge, nicht-kleinzelliges Karzinom der Lunge (Okumura H et al. 2022; Manger B et al. 2014; Sheehy C et al. 2007).
  • Pankreatische Pannikulitis mit Polyarthritis (PPP): Mit PPP wird ein Syndrom bezeichnet, bei dem eine Polyarthritis zusammen mit Pannikulitis, die einem Erythema nodosum ähnelt assoziiert ist. PPP tritt häufig bei Patienten mit Pankreatitis und stark erhöhten Lipasewerten auf. Beim Azinuszellkarzinom des Pankreas kommt es häufig zum PPP mit hohen Lipasewerten. Hier geht das PPP-Syndrom mit einer schlechten Prognose einher (Zundler S et al. 2016).
  • Remitting seronegative symmetrical synovitis with pitting edema (RS3PE): Klinisch präsentieren sich die RS3PE-Patienten mit meist akut aufgetretenen, beidseitigen, massiven, kissenartigen Schwellungen der Hand- und/oder Fußrücken, mit assoziierter Synovitis der Hand- und Fingergelenke (die rheumatologische Komponenten ist häufig maskiert). Das paraneoplastische RS3PE leigt bei etwa 30% dieser Patienten vorl (Li H et al. (2015).
  • Tumorinduzierte Osteomalazie (TIO): Das Syndrom wird durch seltene mesenchymale ossäre Tumorentitäten (40%) oder Weichtteiltumore (55%) verursacht, wobei etwa 8% maligne sind.
  • Hypertrophe Osteoarthropathie (Marie-Bamberger) (HOA): Diese klassische Paraneoplasie wird insbesondere durch thorakale Malignome und insbesondere Bronchialkarzinome hervorgerufen. Durch vermehrte Produktion von vascular endothelial growth factor (VEGF) kommt es zur Differenzierung des Periosts zu Osteoblasten.
  • Malignom-assoziierte Myositis (CAM): Inflammatorische Myopathien (IIM) umfassen eine heterogene Gruppe von Muskelerkrankungen (Lundberg IE et al. 2017) und gehen mit einem unterschiedlichen Malignomrisiko einher. Die Untergruppe der Dermatomyositiden geht im Unterschied zu den anderen teilweise schlecht definierten IIM mit einem deutlichen erhöhten Malignomrisiko einher  (Qiang JK et al. 2016). Das Malignomrisiko von Dermatomyositis Patienten mit Anti-TIF1γ ist um das 27-fache erhöht (Trallero-Araguás E et al. (2012). TIF-1γ ubiquitiniert das Tumorsuppressorgen p53, reguliert es dadurch herunter, was zu einer verminderten Apoptose von Tumorzellen führt.
  • Systemische Sklerodermie können sich bei Patienten mit hämatologischen Tumorerkrankungen, wie chronische myelomonozytäre Leukämie oder bei Tumoren des Kolon, des Pankreas oder der Prostata entwickeln.
  • Systemische Sklerodermie oder systemischer Lupus erythematodes können auch bei Patienten mit Lungen- und gynäkologischen Tumoren auftreten.

Augen (Okuläre paraneoplastische Syndrome): Ursächlich sind wahrscheinlich zirkulierende Tumorproteine, die retinalen Proteinen ähneln und dadurch eine Immunreaktion gegen retinales Gewebe auslösen.

  • CAR-Syndrom (Cancer-assoziierte Retinopathie): Assoziation mit kleinzelligem Lungenkarzinom (small-cell lung carcinoma)
  • MAR-Syndrom (Melanom-assoziierte Retinopathie): Melanom-induzierte Immunantwort gegen retinale vorwiegend den Stäbchen nachgeschaltete, sog. On-depolarisierende Bipolarzellen.  
  • Diffuse uveale melanozytäre Proliferation: Assoziation mit Lungenkarzinomen 

Therapie

Die erfolgreichste Behandlung besteht in der Kontrolle und gfls. Entfernung eines zugrunde liegenden Primarius , doch können einige Symptome auch durch bestimmte Arzneimittel (z. B. Cyproheptadin oder Somatostatin-Analoga bei karzinoiden Syndromen, Bisphosphonate und Kortikosteroide bei Hyperkalzämie) kontrolliert werden.

Literatur
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