Paragangliome D35.-

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 12.06.2020

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Synonym(e)

Chemodektrome; Chromaffine Tumoren, Extra-adrenal pheochromocytoma; Chromaffinzelltumor; Extra-adrenale Phäochromzytome; Extraadrenale Phäochromzytome; Masson-Tumoren (ältere Bezeichnung für periphere Glomustumoren); Paragangliome, zentrale Glomustumoren (ältere Bezeichnung für Paragangliome); PCCs, PGLs; Pheochromocytoma and Paraganglioma

Definition

Paragangliome (PGLs) sind seltene, primär gutartige, einzigartige, neuroendokrine Tumoren im extra-adrenalen sympathischen und parasympathischen paraganglionären System. Paragangliome können an jeder anatomischen Stelle mit chromaffin-haltigem autonomem Gewebe von der Schädelbasis bis zum Becken auftreten.

Adrenale Paragangliome werden als Phäochromzytome (PCCs) bezeichnet.

Extra-adrenale Paragangliome werden üblicherweise „nur“ als Paragangliome bezeichnet (DeLellis RA et al. 2004). Extra-adrenale Paragangliome werden je nach Art der Paraganglien, aus denen sie stammen, als

  • sympathische Paragangliome
  • oder als
  • parasympathische Paragangliome bezeichnet.

Einteilung

Je nach betroffenem Ganglion unterscheidet man:

  • Adrenale Paragangliome (Phäochromozytome)
  • Extraadrenale Paragangliome

Je nach Lokalisation und Ursprungsort der extra-adrenalen Paragangliome werden unterschieden:

  • Paraganglioma caroticum (Karotisgabeltumor): in der Adventitia der Aufteilungsstelle der A. carotis communis lokalisiert; diese Form mach etwa 60% aller Paragangliome aus.
  • Paraganglioma jugulare: am parasympathischen Paraganglion in der Fossa jugularis
  • Paraganglioma tympanicum: im Mittelohr, in den Nervus tympanicus eingelagertes Paraganglion. Bemerkung: Die Paragangliome der beiden Paraganglien des Mittelohrs (Glomus tympanicum und Glomus jugulare) sind die häufigsten Tumoren des Mittelohrs.
  • Vagales Paragangliom: am Foramen jugulare der Schädelbasis lokalisiert
  • Paraganglioma aorticum (mediastinale Paragangliome): im vorderen Mediastinum, an Arteria pulmonalis oder Aorta lokalisiert (ausgehend von den Corpora paraaortica dem sog. Zuckerkandl -Organ nahe der Bifurkation der Aorta).
  • Bauchhöhlengangliome (retroperitoneale Paragangliome): an der Bauchaorta lokalisiert
  • Innere Organe (viszerale Paragangliome): an den inneren Organen - vor allem in der Harnblase lokalisiert
  • Periphere Paragangliome (Glomustumore auch Masson-Tumore genannt): von arteriovenösen Anastomosen ausgehend (häufig auch in der Haut lokalisiert, z.B. subunguale Lokalisation s.u. Glomustumor- Dermatologie)

Hereditäre Paragangliome (Multiple Glomustumoren): Autosomal-dominant vererbt mit multiplen Glomustumoren in Haut und inneren Organen

Vorkommen/Epidemiologie

Phäochromozytome und Paragangliome sind seltene Tumoren. Ihre Prävalenz ist unbekannt, wurde jedoch in den USA auf 1: 6500 bis 1: 2500 geschätzt (Ariton M et al. 2000).  Paragangliome stellen die häufigsten Tumoren des Mittelohrs dar; ♀ > ♂ (2:1).

Ätiopathogenese

Sympathische Paragangliome entstehen aus chromaffinen-Zellen von Paraganglien entlang der sympathischen Ketten und sind normalerweise in Brust, Bauch oder Becken lokalisiert. Sympathische Paragangliome (PGLs/PCCs) produzieren meist Katecholamine (Karagiannis A et al. 2007). Eine Hypersekretion von Katecholaminen kann mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden sein.

Parasympathische Paragangliome entstehen aus den peripheren arteriovenösen Anastomosen (Glomerula), die v.a. entlang der parasympathischen Nerven im Kopf, Hals und oberen Mediastinum verteilt sind und werden daher auch meist als Kopf-Hals-Paragangliome bezeichnet. Nicht selten sind sie auch im Bereich der Fingerspitzen und dort subungual lokalisiert (subunguale Paragangliome/subunguale Glomustumoren). Parasympathische Paragangliome produzieren meist keine Katecholamine.

Bis zu 40% der PCCs / PGLs sind mit Keimbahnmutationen in Suszeptibilitätsgenen assoziiert.

Paragangliome können auch familiär gehäuft auftreten (autosomal-dominanter Erbgang).

Manifestation

Die Tumoren können in jedem Alter auftreten, haben jedoch die höchste Inzidenz zwischen 40 und 50 Jahren bei einer ungefähr gleichen Geschlechtsverteilung (Mannelli M et al. 2009).

In einer größeren spanischen Studie an 693 nicht ausgewählten Phäochromozytom / Paragangliom-Patienten wurden bei 69% der Patienten ein Phäochromozytom, bei 15% ein sympathisches Paragangliom und bei 22% ein parasympathisches Paragangliom nachgewiesen (Cascon A et al. 2009).

Ein kleinerer Teil erwies sich als Mischtyp.

Lokalisation

Die meisten Lokalisationen ergeben sich aus den Namen der Paragangliome. Weitere Lokalisationen sind das hintere Mediastinum, der Pharynx, die Lunge, die Orbita, die Nasenhöhle, die Nieren, die Gallenblase, die Harnblase)

Klinisches Bild

Sympathische Paragangliome (PGLs/PCCs) produzieren Katecholamine (Karagiannis A et al. 2007). Eine Hypersekretion von Katecholaminen kann mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden sein. Katecholamine-produzierende können sich als „Phäochromozytom-Syndrom“ manifestieren.

Die Paragangliome des Mittelohrs (Paraganglioma tympanicum und das Paraganglioma jugolare) erzeugen initial meist keine Beschwerden; später treten jedoch pulssynchrone Ohrgeräusche auf. Otoskopisch sind die Geschwulstformationen durch das Trommelfell sichtbar und bewegen sich pulssynchron. Ist ein Paragangliom in der Nähe des Zungennervs lokalisiert, kann er Geschmacksstörungen oder Schluckstörungen hervorrufen. Fortgeschritten Paragangliome des Mittelohrs können die umgebenden Knochenstrukturen infiltrieren (Infiltration des Foramen jugulare: Hirnnerven IX bis XI =Foramen-jugulare-Syndrom).

Diagnostik

Blut- und Urinuntersuchung zur Bestimmung der Katecholaminausscheidung.

Radiologische Verfahren wie MRT, CT, Angiographie.

Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Somatostatin-Szintigraphie: Abgrenzung zu anderen Gefäßprozessen.

Evtl. Positronenemissionstomographie (PET): Nachweis von multilokulärem Wachstum des Glomustumors.

Histologie

Sympathische Paragangliome entsprechen in ihrem feingeweblichem Aufbau einem Phäochromozytom. Sie weisen mit 40% einen deutlich höhere Malignitätsrate auf als die Phäochromozytome des Nebennierenmarks.

Die Paragangliome der beiden Paraganglien des Mittelohrs (Glomus tympanicum und Glomus jugulare) bilden stark vaskularisierte und von Gitterfasern umgebene Zellballen (so genanntes „Zellballenmuster“)mit einem angiomatösen oder einem angiomatösen Muster. Mitosen und Nekrosen fehlen. Die nestartig angeordneten Zellverbände sind von S100-Protein-positiven Sustentakularzellen (SZ) umgeben, die mittels ihrer Zellfortsätze ein Netzwerk mit stacheldrahtähnlicher Morphologie ausbilden. In adrenalen und extraadrenalen Paragangliomen korreliert die Prävalenz von SZ invers mit der Prognose der Patienten.

Immunhistologisch sind Paragangliome NSE- und Chromatogranin-positiv. Weiterhin lassen sich unregelmäßig Serotonin, Gastrin, Somatostatin, ACTH, GRP (Gastrin relatated Peptide) nachweisen.

Therapie

Entfernung des Tumors (über verschiedene Zugangswege möglich). Die Behandlung der Paragangliome des Mittelohrs hängt nicht nur von individuellen Eigenschaften des betroffenen Patienten ab, sondern auch von der Art des Tumors. In vielen Fällen kommt eine operative Entfernung in Frage. Beim Paraganglioma jugulare ist sie mit einer Erfolgsrate von 96 Prozent sehr aussichtsreich; bleibende Schäden sind jedoch möglich.

Paragangliome, die den Knochen infiltriert haben, sind oft nur schwer vollständig operativ zu entfernen. 10 bis 40% der Tumore sind maligne; die genaue Zahl schwankt in Abhängigkeit davon, welches Paraganglion betroffen ist. Ohne erfolgreiche Behandlung können sie streuen beziehungsweise metastasieren und so weitere Organe befallen (Taïeb D et al. 2014).

Verlauf/Prognose

Die Mehrzahl der Phäochromozytome und Paragangliome sind gutartig. Malignität, definiert als das Auftreten von Fernmetastasen und tritt bei  5–13% der Phäochromozytome auf. 15–23% der Patienten mit sympathischen Paragangliome und 2–20% (je nach Standort) der parasympathischen Paragangliome müssen mit Fernmetastasen rechnen (am häufigsten in Knochen-, Leber- und Lunge - Chrisoulidou A et al. 2007). Die Prognose für malignes PCC und Paragangliom ist schlecht, mit einer 5-Jahres-Mortalitätsrate > 50% (Chrisoulidou A et al. 2007).  Weiterhin ist die Prognose der unterschiedlichen Paragangliome durch ihre unterschiedlichen Lokalisationen geprägt.

Vagale Paragangliome: Diese Paragangliom-Form tritt in der oberen Zervikalregion in unmittelabrer Nachbarschaft de N. vagus auf. Diese Paragangliom-Variante rezidiviert und metastasiert in 15-20% der Fälle.

Das Paragangioloma aorticum zeichnet sich durch ein invasives Wachstum auf. Es geht mit einer Mortalitätsrate von etwa 50% einher. Die Neubildung betrifft v.a. Männer zwischen 40 und 50 Jahren. Das Tumorwachstum erstreckt sich von der Höhe des linken Vorhofs bis hin zur Aorta descendens.

Literatur
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  1. Altinel D et al. (2017) Transungual resection of subungual glomus tumour. BMJ Case Rep 4:bcr2017221211.
  2. Ariton M et al. (2000) Pheochromocytoma: clinical observations from a Brooklyn tertiary hospital. Endocrine Practice 6: 249–252.
  3. Carney JA (1999) Gastric stromal sarcoma, pulmonary chondroma, and extra-adrenal paraganglioma (Carney Triad): natural history, adrenocortical component, and possible familial occurrence. Mayo Clin Proc 74: 543-552.
  4. Cascon A et al. (2009b) Genetics of pheochromocytoma and paraganglioma in Spanish patients. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 94: 1701–1705.
  5. Chabowski M et al. (2016) Glomus Tumor of the Stomach - A Case Report and A Literature Review. Pol Przegl Chir 88:356‐358.
  6. Chrisoulidou A et al. (2007) The diagnosis and management of malignant phaeochromocytoma and paraganglioma. Endocrine-Related Cancer 14: 569–585.
  7. DeLellis RA et al. (2004) World Health Organization Classification of Tumours: Pathology and Genetics of Tumours of Endocrine Organs. Lyon, France: IARC Press; S 147–166.
  8. Fishbein L (2016) Pheochromocytoma and Paraganglioma: Genetics, Diagnosis, and Treatment. Hematol Oncol Clin North Am 30:135‐150.
  9. Karagiannis A et al. (2007) Pheochromocytoma: an update on genetics and management. Endocrine-Related Cancer 14: 935–956.
  10. Mannelli M et al. (2009) Clinically guided genetic screening in a large cohort of italian patients with pheochromocytomas and/or functional or nonfunctional paragangliomas. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 94: 1541–1547.
  11. Neumann HPH et al. (2019) Pheochromocytoma and Paraganglioma. N Engl J Med 381:552‐565.
  12. Taïeb D et al. (2014) Current Approaches and Recent Developments in the Management of Head and Neck Paragangliomas. Endocrine Reviews 35:795-819.
  13. Toti L et al. (2019) Rare malignant glomus tumor of the stomach with liver metastases. Radiol Case Rep 14:463‐467.

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