Nierenvenenthrombose I82.3

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 29.04.2021

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Synonym(e)

Nierenvenenverschluss; Thrombus der Nierenvene; Thrombus der V. renalis; Verschluss der V. renalis

Erstbeschreiber

Erstmals wurde die Nierenvenenthrombose (NVT) von Rayer im Jahre 1840 beschrieben (Jorch 2010).  Einen Zusammenhang zwischen NVT und Amyloidose beschrieb als Erster Schauwecker 1930, einen Zusammenhang zwischen NVT und Myelom 1935 Siegmund (Zollinger 1966).

Definition

Die Nierenvenenthrombose ist definiert als eine Thrombose der Nierenvene mit der Gefahr des Verlustes der Nierenfunktion (Manski 2019). Sie stellt i. d. R. eine Komplikation einer begleitenden chronischen Grunderkrankung dar (Segerer 2014).

 

 

Einteilung

Die NVT wird unterteilt in eine:

  • akute Verlaufsform (tritt überwiegend mit schweren bilateralen Parenchymschäden bei Kleinkindern auf [Remmele 2013])
  • chronische Verlaufsform (findet sich bei älteren Kindern bzw. Erwachsenen) (Kuhlmann 2015).

Vorkommen/Epidemiologie

Bei 0,09 % aller Autopsien wird eine NVT als terminales Ereignis gefunden. Eine chronische Verlaufsform kann bei 0,04 % der Obduzierten nachgewiesen werden (Remmele 2013).

Die NVT ist bei Neugeborenen mit einer Inzidenz von 2,2 auf 100.000 Lebendgeburten eine seltene Erkrankung. Der Anteil männlicher Patienten liegt bei ca. 67 % (Jorch 2010).

Bei Patienten mit nephrotischem Syndrom hingegen treten durch eine Hyperkoagulabilität in bis zu 25 % der Fälle im Laufe der Erkrankung eine Thrombose und / oder thromboembolische Komplikationen auf (Kuhlmann 2015). 

Ätiopathogenese

Die Ursachen einer Nierenvenenthrombose lassen sich in 3 große Gruppen einteilen:

  • 1. Endothelschädigung:
    • Homozystinurie
    • endovaskuläre Interventionen
    • chirurgische Eingriffe mit vaskulärer Endothelschädigung (Kasper 2015)
  • 2. venöse Stase:
    • Dehydratation (häufigste Ursache in der Pädiatrie)
    • Risikofaktoren bei Neugeborenen und Säuglingen sind:
      • schwere Geburten 
      • Asphyxie
      • zyanotische Herzvitien
      • Hypotonie (Manski 2019)
    • Kompression (z. B. durch abdominelle Neoplasien, Ormond- Krankheit [Kasper 2015])
    • Kinking der Nierenvenen (Lageveränderung von Gefäßen durch z. B. Fehlhaltung, Arteriosklerose etc. [Schild 2003])
    • bei Z. n. Nierentransplantation:
      • zu enge venöse Anastomose
      • extraluminale Kompression durch z. B. ein Hämatom oder eine Lymphozele (Hegele 2015)
  • 3. Thrombophilie:
    • Antiphospholipidsyndrom
    • Thrombophilie z. B. beim: 
      • nephrotischen Syndrom
      • membranöser Glomerulonephritis
      • Mangel an Antithrombin, Protein S, Protein C
      • Faktor- V- Leiden- Mutation
      • Einnahme oraler Kontrazeptiva (Kasper 2015)

Pathophysiologie

Bei Säuglingen entwickelt sich die Thrombose von der Peripherie her nach zentripetal (sog. periphere Thrombose), bei älteren Kindern oder Erwachsenen von der Nierenvene ausgehend zentrifugal in die Peripherie hin (zentrale Thrombose).

(Hofmann 2005)

Zur Thromboseneigung beim nephrotischen Syndrom kommt es durch eine Hyperkoagulabilität, die bedingt ist durch:

  • den renalen Verlust von Antithrombin III (dieser führt zu einer niedrigen Konzentration der Inhibitoren in den Nierenvenen)
  • Thrombozytose
  • gesteigerte Thrombozytenaggregation
  • gesteigerte hepatische Proteinsynthese bei renalem Eiweißverlust und damit auch gesteigerte Synthese von Gerinnungsfaktoren (Kuhlmann 2015)

Manifestation

Die linke Niere ist von einer Thrombose häufiger betroffen als die rechte. In 2/3 der Fälle besteht eine bilaterale Thrombose (Kasper 2015).

Klinisches Bild

Bei der chronischen Verlaufsform finden sich i. d. R. keine klinischen Symptome (Kuhlmann 2015).

Bei der akuten Form können auftreten:

  • Flankenschmerzen
  • mitunter druckdolenter Tumor durch Vergrößerung der Niere im Bereich der Flanke tastbar (Manski 2019)
  • Makrohämaturie (Kuhlmann 2015)
  • Klopfschmerz (Kasper 2015)
  • Schwellung des linksseitigen Hodens (Herold 2021) bzw. des linken Ovars bei linksseitiger Thrombose (Keller 2010)
  • Funktionsverschlechterung der Nierenleistung bei transplantierter Niere (Hegele 2015)
  • Anurie bei beidseitiger Thrombose (Hofmann 2005)

Bildgebung

Sonographie

Typische, aber nicht spezifische Befunde einer NVT sind:

  • Vergrößerung des Nierenvolumens auf das 2 – 3 fache der ursprünglichen Größe
  • hohe Echogenität
  • Verminderung der kortikomedullären Differenzierung
  • insgesamt unruhige Textur

(Hofmann 2005)

  • Pendelfluss nachweisbar (Risler 2008)
  • Ausdehnung des Thrombus bis in die V. cava möglich (Manski 2019)

Bei Z. n. Nierentransplantation:

  • einseitige Vergrößerung der Nieren
  • vermehrt echogene Nieren
  • verstärkte Darstellung von Kapselgefäßen

(Risler 2008) 

  • Zunahme der Größe des Transplantates
  • betonte Markpapillen (Keller 2010)

Farbdopplersonographie

  • Der Nierenvenenfluss ist reduziert (bei Säuglingen) oder fehlt ganz (bei älteren Kindern bzw. bei Erwachsenen)
  • der Widerstandsindex der arteriellen Strombahn steigt auf  ≥ 1 und damit wird der diastolische Fluss negativ (Hofmann 2005)

Bei Z. n. Nierentransplantation:

  • Abfall des Resistance- Index
  • Blutstau, der sich über die renalen Gefäße rückwärts bis in die Nierenarterie fortpflanzt mit:
    • Flussbeschleunigung um mehr als das 2,5 fache des poststenotischen Wertes bzw. > 180 cm / sec (Keller 2010)

Computertomographie

Die CT ist mit einer Sensitivität von 100 % das sicherste diagnostische Mittel (Kasper 2015). 

Labor

  • Proteinurie (Herold 2021)
  • Hämaturie
  • Verminderung der GFR (Kuhlmann 2015)

Differentialdiagnose

  • hämolytisch- urämisches Syndrom (beim Säugling mit beidseitiger NVT [Hofmann 2005])

Komplikation(en)

Therapie

Therapeutisch sollte eine umgehende Antikoagulation mit Vollheparinisierung erfolgen (Manski 2019). 

Auch eine endovaskuläre Thrombolyse kann erwogen werden. Dies i. d. R. aber nur schweren Fällen vorbehalten (Kasper 2015).

Im Anschluss an die akute Symptomatik ist eine Marcumarisierung erforderlich, wobei sich deren Dauer nach dem Kreatininwert und dem Risikoprofil richtet (Manski 2019).

Dosierungsempfehlung:

Bei Quick- bzw. INR- Werten, die initial im Normalbereich liegen, kann beim Erwachsenen mit folgender Dosierung begonnen werden:

  • Marcumar 3 mg 2 x 1 Tbl. /d in den ersten 3 Tagen, anschließend Dosisanpassung nach Ergebnis des INR- Wertes (Herold 2018).

Die parallele Behandlung der auslösenden Erkrankung ist obligatorisch (Kasper 2015)

Operative Therapie

Sollte es im Verlauf einer NVT zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen, ist eine Nephrektomie erforderlich (Kasper 2015).

Bei Z. n. Nierentransplantation:

Falls es sich bei Z. n. transplantierter Niere um eine deutliche venöse Abflussbehinderung handelt, ist eine operative Revision angezeigt (Hegele 2015).

Verlauf/Prognose

Bei Neugeborenen zeigt sich eine irreversible Nierenschädigung bei 70,6 % der Betroffenen und bei 3,0 % besteht die Notwendigkeit einer ständigen Nierenersatztherapie (Jorch 2010).

Die Letalität beim Kleinkind liegt zwischen 65 % - 95 %. Die chronische Verlaufsform, die überwiegend bei Erwachsenen auftritt, kann zu einer tödlichen Lungenembolie führen (Remmele 2013).

Unbehandelt oder bei einem Nicht- Ansprechen der Therapie kommt es innerhalb weniger Wochen zu einer Schrumpfung der Niere, die sonographisch nach wenigen Monaten mitunter kaum noch von der Umgebung abzugrenzen ist (Hofmann 2005).

Bei Z. n. Nierentransplantation:

Nach einer operativen Behandlung der transplantierten Niere besteht oftmals ein Funktionsverlust des Transplantates (Hegele 2015).

Prophylaxe

Man kann Patienten mit den o. g. Erkrankungen bzw. Risikofaktoren oder mit rezidivierenden Thrombosen zur Prävention einen V. cava- Filter eingesetzten (Kasper 2015).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 525
  2. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 658
  3. Herold G et al. (2018) Innere Medizin. Herold Verlag 634
  4. Hofmann V et al. (2005) Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie: Lehrbuch und Atlas. Thieme Verlag 476 - 477
  5. Jorch G et al. (2010) Neonatologie: Die Medizin des Früh- und Reifgeborenen. Georg Thieme Verlag 382 - 383
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1847 – 1848, 1863
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2275 - 2276, 2294 
  8. Keller C K et al. (2010) Praxis der Nephrologie. Springer Verlag 3, 34, 108, 186
  9. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 104 - 105
  10. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 243
  11. Remmele W et al. (2013) Pathologie 5: Männliches Genitale – Niere – Ableitende Harnwege und Urethra – Skelettsystem – Gelenke, Sehnen und Sehnengleitgewebe, Bursen, Faszien – Haut. Springer Verlag 150
  12. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 124
  13. Schild H (2003) Angiographie. Thieme Verlag 335 
  14. Schwiegk H et al. (2013) Nierenkrankheiten Springer Verlag 631
  15. Segerer K., Wanner C. (2014) Niereninfarkt und Nierenvenenthrombose. In: Steffel J et al. Niere und Ableitende Harnwege. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. 171 - 174 https://doi.org/10.1007/978-3-642-28236-2_21
  16. Zollinger H U et al. (1966) Niere und ableitende Harnwege Springer Verlag 131

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