Neuropathie, diabetische E14.40+G63.2*

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 29.09.2022

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Synonym(e)

Diabetische Neuropathie; Polyneuropathia diabetica

Erstbeschreiber

Bereits im 17. Jahrhundert beschrieb der Chirurg Thomas Willis (1621 – 1675) die Symptome einer diabetischen Neuropathie (Gerabek 2011). Aber erst Rundles nahm das Krankheitsbild in seiner klinischen Entität wahr und gab im Jahre 1945 eine Beschreibung des Krankheitsbildes heraus (Mogensen 1989).

Definition

Unter einer diabetischen Neuropathie versteht man sämtliche diabetesbedingten Störungen des peripheren sensomotorischen und des autonomen Nervensystems (Siegenthaler 2006) mit Schädigungen des cholinergen, noradrenergen und peptidergen Systems (Kasper 2015). Es handelt sich dabei um eine Ausschlussdiagnose (Häring 2011).

Einteilung

Einteilung der diabetischen Neuropathien nach Thomas und Tomlinsen:

  • Symmetrische Neuropathien:
  • Fokale und multifokale Neuropathien:
    • kraniale Neuropathie
    • Mononeuropathie des Stammes (diabetische Radikulopathie) und der Extremitäten
    • asymmetrische proximale Neuropathie der unteren Extremität (diabetische Amyotrophie)
  • Mischformen (Bundesärztekammer 2016) 

Zur diabetischen Neuropathie zählen:

  • 1. Periphere sensomotorische Polyneuropathie: Darunter versteht man eine distal- symmetrische sensomotorische Polyneuropathie (Ziegler 2020), die laut Neundörfer (2007) immer mit anderen Folgeerkrankungen wie z.B. der diabetischen Nephropathie oder der diabetischen Retinopathie gemeinsam auftritt. Nähere Angaben s. d.
  • 2. Autonome diabetische Neuropathie (ADN). Die ADN betrifft das vegetative Nervensystem, sowohl das sympathische als auch das parasympathische. (Herold 2020) Zur ADN zählen:
    • 2.1. kardiovaskuläre ADN
    • 2.2. ADN des Magen- Darmtraktes
    • 2.3. ADN des Urogenitalsystems
    • 2.4. ADN des neuroendokrinen Systems
    • 2.5. ADN der Thermoregulation
    • 2.6. ADN der Pupillen
    • 2. 7. ADN des Respirationstraktes
  • 3. seltene Manifestationen:
    • 3.1. diabetische Schwerpunktpolyneuropathie
    • 3.2. periphere N. facialis- Parese
    • 3.3. Parese der Augenmuskeln
    • 3.4. diabetische Radikulopathie (Herold 2020)
    • 3.5. diabetische Amyotrophie (Claus 1996)

Nach dem Consensus Statement von 1988 differenziert man zwischen einer subklinischen ADN, die lediglich durch Tests nachweisbar ist und einer klinischen ADN, die sich in Symptomen äußert (Häring 2011).

Vorkommen/Epidemiologie

Die diabetische Neuropathie tritt sowohl beim Diabetes Typ 1 als auch beim Diabetes Typ 2 auf und korreliert mit der Diabetesdauer und der Blutzuckereinstellung (Kasper 2015). Die Prävalenz beim Typ 1 liegt zwischen 8 – 54 % und beim Typ 2 zwischen 13 - 46 % (Bundesärztekammer 2016).

- Periphere sensomotorische Polyneuropathie: Die dPNP tritt bei jedem dritten Diabetiker auf (Ziegler 2020) und stellt mit 80 % die häufigste Form der diabetischen Neuropathie dar (Herold 2020).  Bei bis zu 25 % (Gerber [2019] spricht von 20 %) der betroffenen Patienten stellen sich Schmerzen ein, während bis zu 50 % symptomlos bleiben (Ziegler 2020). Man findet die dPNP häufiger bei Männern als bei Frauen. Je länger der Diabetes klinisch manifest ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten einer dPNP (Neundörfer 2007).

- Autonome diabetische Neuropathie: Die autonome diabetische Neuropathie tritt mit ca. 30 % am zweithäufigsten auf (Berlit 2012). 

-Die kardiovaskuläre ADN ist bei 15 % der Diabetiker bereits bei Diagnosestellung nachweisbar und bei > 50 % nach 20 jähriger Dauer der Erkrankung.

-Die erektile Impotenz betrifft – abhängig von der Erkrankungsdauer und dem Alter des Patienten – bis zu 50 % der Diabetiker (Herold 2020). Die Inzidenz ist doppelt so hoch wie bei Nicht- Diabetikern (Bundesärztekammer 2016). 

-Die diabetische Amyotrophie tritt bei 5 % der Diabetiker auf (Berlit 2012) und betrifft häufiger das männliche Geschlecht und nicht insulinpflichtige Diabetiker (Patten 2013).

Ätiopathogenese

Bei der Entwicklung einer diabetischen Neuropathie spielen eine Rolle:

  • Hyperglykämie (Diabeteseinstellung)
  • Diabetesdauer
  • Adipositas (insbesondere viszerale Adipositas [Bundesärztekammer 2016])
  • Dyslipidämie

Die Dyslipidämie spielt insbesondere eine große Rolle beim Diabetes Typ 2 (Baum 2019).

Ein Diabetes mellitus erhöht zwar das Low- Density- Lipoprotein (LDL) selbst nicht, aber die kleinen LDL- Partikel, die insbesondere beim Typ 2 vorhanden sind, werden leichter glykiert und sind dadurch atherogener und somit anfälliger für die Oxidation (Kasper 2015). 

Bei einer zu raschen Senkung des HbA1c- Wertes besteht allerdings die Gefahr einer iatrogen induzierten Small- Fiber- Neuropathie. Tierexperimentell fanden sich Hinweise auf intraneurale zellvermittelte Entzündungsvorgänge, die zu einer Degeneration der terminalen Nervenfasern führen. Verstärkt wurde dies im Tierexperiment durch einen Eisenmangel (Baum 2019).

Pathophysiologie

Bislang ist die Pathophysiologie der diabetischen Neuropathie nicht eindeutig geklärt. Es spielen sicherlich verschiedene Faktoren eine Rolle. Die Degeneration terminaler Nervenzellen wird in 1. Linie durch die Hyperglykämie ausgelöst (Baum 2019). Bei der Erkrankung gehen sowohl myelinisierte als auch unmyelinisierte Nervenfasern verloren (Kasper 2015).

Manifestation

Die diabetische Neuropathie ist abhängig von der Stoffwechseleinstellung und der Diabetesdauer. Nach 10 Jahren leiden bereits 50 % der Diabetiker an einer Neuropathie (Herold 2020).

Lokalisation

Die sensomotorische diabetische Neuropathie tritt symmetrisch im Bereich der unteren Extremitäten auf und äußert sich durch Parästhesien, Schmerzen, Taubheitsgefühl. Gehäuft finden sich Sensibilitätsstörungen, motorische Störungen hingegen sind seltener. 

Die autonome diabetische Neuropathie führt zu Störungen der autonomen Innervation verschiedener Organe und Systeme (Siegenthaler 2006).

Klinisches Bild

1. Periphere sensomotorische Polyneuropathie: Bis zu 50 % der Patienten sind symptomlos, von daher ist die dPNP auch heutzutage immer noch unterdiagnostiziert (Ziegler 2020).

Typische neuropathische Symptome sind:

  • Parästhesien (Kribbeln, Stechen, Brennen im Bereich der Fußsohle, des Vorfußes bzw. des gesamten Fußes, sog. „Burning feet“ [Grifka 2007])
  • Schmerzen
  • Taubheitsgefühl insbesondere im Bereich der Füße und Unterschenkel (Ziegler 2020)

2. Autonome diabetische Neuropathie (ADN): Die Symptome einer ADN sind abhängig von der Lokalisation.

2.1. kardiovaskuläre ADN: Die typischen Beschwerden der Patienten mit kardiovaskulärer ADN sind:

  • Ruhetachykardie durch Vagusschädigung
  • asympathikotone orthostatische Hypotonie durch Schädigung des Sympathikus’ mit fehlender reflektorischer Tachykardie bei Stehbelastung und Absinken sowohl des systolischen als auch diastolischen Blutdrucks (Herold 2020)
  • Belastungsintoleranz (Häring 2011)
  • schmerzloser Myokardinfarkt
  • schmerzlose Myokardischämie
  • Herzfrequenzvariabilität vermindert bis hin zur Frequenzstarre während
    • Ruhe- EKG
    • 24 h- EKG 
    • maximaler Inspiration und Expiration (normalerweise liegt die Differenz der Herzfrequenz < 9 / min)
    • Orthostase- Test
    • Valsalva- Pressversuch (Herold 2020)
  • QTc- Verlängerung (Bundesärztekammer 2016)
  • aufgehobene oder umgekehrte zirkadiane Blutdruckkurve mit erhöhten Blutdruckwerten nachts (sog. Non- dipper)
  • perioperative Instabilität (Häring 2011)

2.2. ADN des Magen- Darmtraktes (hierbei kommt es selten zu einer parasympathischen Schädigung):

  • Gastroparese mit Druck im Oberbauch und Völlegefühl, sowie postprandialer Hypoglykämie
  • Ösophagusmotilitätsstörung
  • Störung der Kontraktilität der Gallenblase mit vermehrter Bildung von Gallensteinen (Bundesärztekammer 2016)
  • anorektale Dysfunktion mit Inkontinenz
  • postprandiale Diarrhoe mit wechselnden Phasen einer Obstipation durch Motilitätsstörungen in den unteren Darmabschnitten (Siegenthaler 2006; Herold 2020)

Diabetes Typ 1 Patienten sollten bei typischen Symptomen auch immer auf eine Zöliakie hin untersucht werden, da diese überdurchschnittlich häufig bei ihnen auftritt (Kasper 2015).

2.3. ADN des Urogenitalsystems (hierbei kommt es häufig zu einer parasympathischen Schädigung):

  • erektile Dysfunktion mit Ausbleiben der nächtlichen bzw. morgendlichen spontanen Erektion
  • Blasenentleerungsstörungen bei Blasenatonie mit Restharnbildung und dadurch bedingter Prädisposition für rezidivierende Harnwegsinfekte (Herold 2020)
  • Inkontinenz und Abnahme der Blasenkapazität durch verzögerte Blasenkontraktilität (Kasper 2015)

2.4 ADN des neuroendokrinen Systems:

  • verminderte Wahrnehmung einer Hypoglykämie durch Reduktion bzw. Fehlen einer hormonellen Gegenreaktion bei bestehender Hypoglykämie
  • Ausschüttung der Katecholamine unter körperlicher und orthostatischer Belastung vermindert (Herold 2020)

2.5. ADN der Thermoregulation: ADN der Thermoregulation führt zu:

  • Vasodilatation
  • verminderter Schweißsekretion 

Es bestehen durch die verminderte Schweißsekretion und Vasodilatation der für Diabetiker typische trockene und warme diabetische Fuß [Herold 2020]). Durch die Störung des sympathischen Nervensystems kann es zusätzlich zu einer Hyperhidrose der oberen Extremitäten kommen (Kasper 2015).

2.6. ADN der Pupillen: Hierbei bestehen gestörte Pupillenreflexe und eine herabgesetzte Helligkeitsadaption (Häring 2011). Spontane Schwankungen des Pupillendurchmessers sind – im Vergleich zu Gesunden – nur vermindert feststellbar. Bei einer im Vordergrund stehenden sympathischen Schädigung besteht eine Miosis (Bundesärztekammer 2016).

2. 7. ADN des Respirationstraktes: Der Atemantrieb ist vermindert bei Hypoxämie und Hyperkapnie. Es kann außerdem zu einer Apnoe kommen und zu einem Atemstillstand (Häring 2011).

3.1. diabetische Schwerpunktpolyneuropathie: Bei der diabetischen Schwerpunktpolyneuropathie können auftreten:

  • asymmetrische proximale Schmerzen in der Hüftregion und im Bereich des vorderen Oberschenkels mit Schwerpunkt der vom N. femoralis versorgten Muskeln M. iliopsoas und M. quadriceps
  • Abschwächung des ipsilateralen PSR
  • Parese des M. quadriceps ist möglich (Herold 2020)
  • Fehlen von Sensibilitätsstörungen im Bereich des M. femoralis (Berlit 2012)

3.2. periphere N. facialis- Parese: Bei dieser sind vorhanden:

  • Stirnpartie glatt bis faltenlos
  • Augenbraue hängt leicht
  • Lidschluss ist defizitär
  • Nasenrunzeln gestört
  • Mundwinkelhebung und Mundspitzen nur eingeschränkt möglich
  • Verlust des Pfeifens
  • Wangen können nur vermindert aufgeblasen werden
  • Probleme bei der Aussprache „P“
  • Anspannung des Platysmas nicht möglich (Hopf 2006)

3.3. Parese der Augenmuskeln: Hierbei treten Doppelbilder auf (Herold 2020).

3.4. diabetische Radikulopathie: Bei der diabetischen Radikulopathie kommt es zu gürtelförmigen Schmerzen und Sensibilitätsstörungen im Bereich des Stammes (Herold 2020).

3.5. diabetische Amyotrophie (Claus 1996): Hierbei treten durch die überwiegend unilateral auftretende lumbosakrale Plexopathie auf:

  • heftigste Schmerzen vom Lumbosakralbereich bis in die Hüfte und in die Vorder- und Innenseite des Oberschenkels ausstrahlend 
  • Patellarsehnenreflex nicht auslösbar
  • nur geringgradige sensible Störungen (Claus 1996)
  • rascher Gewichtsverlust 
  • schlechter Allgemeinzustand 
  • nach Schmerzrückgang eine sich rasch entwickelnde fortschreitende Schwäche und Atrophie des M. quadriceps (Patten 2013)

 

Diagnostik

Bei der Diagnostik einer diabetischen Neuropathie spielen klinische Symptome, klinische Befunde und neurophysiologische Tests eine große Rolle (Siegenthaler 2006).

Bei der Anamnese sollten insbesondere die typischen Symptome einer ADN erfragt werden (Bundesärztekammer 2016).

  • 2.1. kardiovaskuläre ADN (KADN)
    • Ruhe- EKG
    • Langzeit- EKG
    • Prüfung des HRV durch entsprechende Tests (erfasst die parasympathische Funktion [Bundesärztekammer 2016])
    • Orthostase- Test zur Erfassung der sympathischen Komponente (Bundesärztekammer 2016)
    • MIBG- Szintigraphie = Metajodobenzylguanidin- Szintigraphie (Claus 1996)
  • 2.2. ADN des Magen- Darmtraktes
    • Sonographie
    • Magenentleerungsszintigraphie
    • 13 C- Oktansäure- Atemtest (Herold 2020)
    • Ösophagogastroduodenoskopie
    • 24- Stunden- Ösophagus- Impedanzmessung 
    • Hinton- Test zur Bestimmung der Kolon- Transitzeit
    • (MRT-) Defäkographie
    • anorektale Manometrie (Bundesärztekammer 2016)
  • 2.3. ADN des Urogenitalsystems
    • Zystometrie
    • urodynamische Untersuchungen (Kasper 2015)
    • Uroflowmetrie
    • Restharnbestimmung
    • Bestimmung der Gesamt- Testoronkonzentration (Bundesärztekammer 2016)
  • 2.4. ADN des neuroendokrinen Systems
    • Bestimmung der Katecholamine
    • engmaschige Blutzuckerkontrollen (insbesondere auch des nachts [Bundesärztekammer 2016])
  • 2.5. ADN der Thermoregulation
    • Schweißtest
    • Bestimmung der sympathischen Hautantwort
    • Ninhydrin- Test (Bundesärztekammer 2016)
  • 2.6. ADN der Pupillen: Die Diagnostik erfolgt mittel Pupillometrie (hierbei findet sich eine herabgesetzte Mydriasegeschwindigkeit [Herold 2020]).
  • 2.7. ADN des Respirationstraktes
    • Schlaflabor
    • Lungenfunktion (Ziegler 2020)
  • 3.1. diabetische Schwerpunktpolyneuropathie
    • motorische Femoralisneurographie (Vogel 2006)
  • 3.2. periphere N. facialis- Parese
    • die Stirnmuskulatur ist – im Gegensatz zur zentralen Fazialisparese – mitbetroffen
    • MRT (Bähr 2003)
  • 3.3. Parese der Augenmuskeln
    • klinische Untersuchung mit Bulbusstellung und Augenfolgebewegungen
    • Doppelbildprüfung mit der Rot- Grün- Brille
    • MRT (Bähr 2014)
  • 3.4. diabetische Radikulopathie
    • CT / MRT zur differentialdiagnostischen Abklärung (Henke 2020)
  • 3.5. diabetische Amyotrophie
    • Abklärung beim Neurologen (Lehnert 2014)

Lumbalpunktion: Eine Liquoruntersuchung ist bei differentialdiagnostischen Schwierigkeiten angebracht. Man findet typischerweise bei der diabetischen Neuropathie eine leichte Erhöhung des Gesamteiweißes (Hinweis auf eine Mitbeteiligung der Nervenwurzeln) und eine normale Zellzahl (Claus 1996).

Elektromyographie (EMG) : Mit Hilfe des EMGs kann frühzeitig – ohne klinische Hinweise auf eine Parese – die Mitbeteiligung der motorischen Fasern nachgewiesen werden (Claus 1996)

Elektroneurographie (ENG): Die motorische und sensible Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) ist oftmals normal bis leicht verlangsamt. Die sensible NLG ist früher pathologisch verändert als die motorische (Siegenthaler 2006).

Differentialdiagnose

  • Neuropathie anderer Genese wie z. B. äthyltoxisch, autoimmun etc. (Häring 2011)
  • Zöliakie (Kasper 2015)
  • Wurzelirritation L 4
  • Guillain- Barré- Syndrom

(Claus 1996)

  • nicht- diabetische Polyneuropathie wie z. B.:(Sommer 2019)
  • periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
  • muskuläre Imbalancen bei Afferenzstörung (Geber 2019)
  • paraneoplastische sensorische PNP (sog. Denny- Brown- Syndrom)
  • Amyloidneuropathie
  • andere Ursachen einer Polyneuropathie wie z. B. Alkohol, Anorexie, Medikamente etc. (Neundörfer 2007)

Komplikation(en)

Therapie

Die bisherigen therapeutischen Maßnahmen sind bislang allesamt unbefriedigend. 

Es sollte eine verbesserte Blutzuckereinstellung angestrebt werden, die Risikofaktoren wie z. B. arterielle Hypertonie, Hypertriglyzeridämie sind entsprechend zu therapieren. Ernährungsberatung bei Adipositas, Einstellen des Rauchens und Vermeiden von Neurotoxinen wie z. B. Alkohol sind dringend erforderlich. Eventuelle Sublimierung von B 12, Folsäure und Eisen (Baum 2019) ist empfehlenswert (Kasper 2015).

Der Patient sollte angehalten werden, die Füße täglich zu kontrollieren, Schwielen und Geschwüre sollten durch entsprechendes Schuhwerk vermieden werden (Kasper 2015).

  • ADN des Magen- Darmtraktes:

Die Patienten sollte häufige kleine Mahlzeiten zu sich nehmen, die leicht verdaulich und fett- bzw. ballaststoffarm sind (Kasper 2015).

  • ADN des Urogenitalsystems:
    • Selbstkatheterisierung 
    • Phosphodiesterase Typ 5 (die Wirksamkeit ist allerdings bei Diabetikern herabgesetzt)
    • vaginale Gleitmittel bei betroffenen Frauen (Kasper 2015)
  • Diabetische Schwerpunktpolyneuropathie: In der Akutphase sollten Analgetika eingesetzt werden sowie Krankengymnastik zur Rehabilitation (Berlit 2012).

Interne Therapie

Ausführliche Angaben zur Diabetischen Polyneuropathie s. d. 

Bei Schmerzen ist eine entsprechende Einstellung mit Medikamenten erforderlich wie z. B. mit:

  • NSMRI wie z. B. Amitriptylin: Dosierungsempfehlung: Initial 10 mg / d, alle 4 Tage Steigerung der Dosis um 10 – 25 mg bis auf die wirksame Dosis, diezwischen 25 – 75 mg / d liegt (Bundesärztekammer 2016).
  • SNRI wie z. B. Duloxetin: Dosierungsempfehlung: Startdosis mit 30 mg / d, anschließende Steigerung nach 7 – 14 Tagen auf die Zieldosis von 60 mg / d (Bundesärztekammer 2016).
  • Gabapentin: Die Startdosis sollte bei 30 mg liegen, nach 7 – 14 Tagen Steigerung bis auf die Zieldosis von 60 mg / d. Die Einnahme sollte als Einmaldosis morgens erfolgen (Bundesärztekammer 2016).
  • Kalziumkanal- Alpha2- Delta Modulatoren wie z. B. Pregabalin: Die Startdosis liegt zwischen 75 – 150 mg / d, die Zieldosis bei 300 – 600 mg / d. Die Aufdosierung kann bei jüngeren Patienten i. d. R. rasch erfolgen, bei Älteren sollte eine schrittweise Steigerung alle 3 Tage durchgeführt werden(Bundesärztekammer 2016).
  • Opioide wie z. B. Tramadol: Dosierungsempfehlung: 2 – 3 x / d 100 – 200 mg  (Kasper 2015 / Häring 2011)
  • Valproat: Valproat sollte wegen des unzureichenden Nachweises einer analgetischen Wirkung bei diabetischer Neuropathie und unter Berücksichtigung schwerwiegender Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden (Bundesärztekammer 2016).
  • NSAR: Auch NSAR sollten bei der diabetischen Neuropathie nicht eingesetzt werden, da keine sicheren Studien zur Wirksamkeit vorliegen (Bundesärztekammer 2016).
  • Tilidin / Naloxon: Auch für Tilidin bzw. liegen keine kontrollierten Studien bei diabetischer Neuropathie vor. Es wird aber dennoch in den Leitlinien empfohlen. Dosierungsempfehlung: 2 – 3 x / d 50 – 200 mg (Bundesärztekammer 2016).

Es steht nicht allein die Schmerzreduktion im Vordergrund der Behandlung, sondern ebenso 

  • eine Verbesserung des Schlafs
  • Verbesserung der Lebensqualität
  • Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
  • Erhaltung der sozialen Aktivitäten

Wenn sich nach 12 Wochen Schmerztherapie keine befriedigende Verbesserung eingestellt hat, empfiehlt sich die Vorstellung in einer Schmerzambulanz (Bundesärztekammer 2016).

Hyperlipidämie: Die Zielwerte für Lipide liegen beim Diabetiker:

  • > 40 Jahre und männlich:
    • LDL < 2,6 mmol / l (100 mg / dl)
    • HDL > 1 mmol / l (40 mg / dl)
    • Triglyceride < 1,7 mmol / l (150 mg / dl)
  • > 40 Jahre und weiblich:
    • LDL < 2,6 mmol / l (100 mg / dl)
    • HDL > 13 mmol / l (50 mg / dl)
    • Triglyceride < 1,7 mmol / l (150 mg / dl)

Die medikamentöse Behandlung richtet sich nach dem Muster der Lipoprotein- Anomalien. HMG- CoA- Reduktase- Hemmer sind das Mittel der Wahl zur Senkung der LDL- Werte. Zusätzlich können Fibrate oder ein anderer Lipidsenker wie z. B. Ezetimib, Niacin etc. eingesetzt werden. 

Unabhängig vom LDL- Wert empfiehlt die Amerikanische Diabetes- Gesellschaft ADA die Gabe eines Statins bei Patienten mit KHK bzw. mit KHK- Risikofaktoren (Kasper 2015).

Arterielle Hypertonie: Als Zielwert sollte bei Diabetikern < 140 / 80 mmHg, bei Jüngeren < 130 / 80 mmHg angestrebt werden. AnMedikamenten werden ACE- Hemmer (Angiotensin Converting Enzyme ) oder ARB (Angiotensin- II-Rezeptorblocker)empfohlen (Kasper 2015).

Kardiovaskuläre ADN: Medikamente, die durch Zunahme der Herzfrequenzvariabilität (HRV) den autonomen Tonus günstig beeinflussen können, sind:

Zu den Medikamenten, die die Sinustachykardie günstig beeinflussen, zählen:

- Beta- 1- selektiven Betarezeptorenblocker wie z. B. Bisoprolol, Metoprolol, Nebivolol (Bundesärztekammer 2016)

 

  • Orthostatische Hypotonie:

Die Behandlung der orthostatischen Hypotonie ist schwierig. Hierbei können verabreicht werden:

  • Clonidin
  • Fludrocortison
  • Midodrin (Mittel der 1. Wahl [Häring 2011])
  • Octreotid
  • Yohimbin

Die Medikamente verfügen jedoch teilweise über erhebliche Nebenwirkungen und sind nur begrenzt erfolgreich. Allgemeine Maßnahmen wie z. B. ausreichende Salzzufuhr, Vermeidung von Dehydrierung, Kreuzen der Beine im Stehen, Bevorzugung einer hockenden Position etc. (Bundesärztekammer 2016) sollten dem Patienten empfohlen werden (Kasper 2015).

 

  • ADN des Magen- Darmtraktes:

Medikamentös wurde Metoclopramid eingesetzt. Allerdings wird von einer langfristigen Behandlung abgeraten (Kasper 2015).

Verlauf/Prognose

Die symptomatische autonome diabetische Neuropathie ist nicht nur mit einer reduzierten Lebensqualität verbunden, sie ist auch mit einer ungünstigen Prognose assoziiert (Häring 2011). Die Sterblichkeit nach einem Myokardinfarkt ist erhöht, ebenso stellt die autonome Dysfunktion einen Risikofaktor für einen Apoplex dar (Bundesärztekammer 2016).

In der DCCT- Studie (Diabetes Control and Complications Trial) hat sich gezeigt, dass eine verbesserte glykämische Einstellung die Neuropathie um bis zu 60 % reduzieren kann (Kasper 2015).

Die Prognose der diabetischen Schwerpunktpolyneuropathie ist gut (Berlit 2012). 

Bei der kardiovaskulären ADN ist die Mortalität durch ventrikuläre Extrasystolen bis hin zum Kammerflimmern um das Vierfache erhöht (Herold 2020).

Die durch den Diabetes ausgelöste periphere Fazialisparese hat eine gute Prognose (Hopf 2006).

Die diabetische Amyotrophie bildet sich i. d. R. nach ca. 6 Monaten Krankheitsdauer wieder zurück, wobei die komplette Rückbildung bis zu 24 Monate dauern kann (Patten 2013).

Hinweis(e)

Screeninguntersuchungen auf eine diabetische Neuropathie sollten bei Diabetikern Typ 2 zum Zeitpunkt der Erstdiagnose erfolgen und bei Typ 1 spätestens 5 Jahre nach Diagnosestellung.

Anschließende Screenings werden 1 x jährlich empfohlen. 

Diese sollten beinhalten:

  • Anamnese mit Erfassung der Diabetes- speziellen Daten
  • Erfassung der Risikofaktoren
  • Inspektion (Hautfarbe, trophische Störungen, Hauttemperatur, Fußdeformitäten, Verletzungen, Fußulkus)
  • Screening auf Komplikationen wie z. B. periphere AVK, Fußulkus
  • einfache neurologische Untersuchung wie z. B. Reflexstatus, Vibrationsempfinden, Druck- und Berührungsempfinden
  • Erfassung neuropathischer Plus- und Minussymptome wie z. B. Schmerzen, Schmerzintensität, Schmerzlokalisation und schmerzauslösende Situation, Taubheitsgefühl, Krämpfe, sensible Reizerscheinungen mit Hilfe eines validierten Fragebogens
  • Ruhetachykardie
  • gestörte Hypoglykämiewahrnehmung
  • Schweißsekretionsstörungen
  • Blasenfunktionsstörung
  • sexuelle Störungen
  • Störungen im gastrointestinalen Bereich
  • Blutglukoseschwankungen, die anderweitig nicht erklärbar sind

(Bundesärztekammer 2016)

 

Bei V. a eine diabetische Neuropathie oder deren Nachweis sind wenigstens halbjährliche Kontrolluntersuchungen erforderlich, bei zusätzlich bestehender pAVK oder Fußdeformitäten wird ein Untersuchungsabstand von 3 Monaten empfohlen (Bundesärztekammer 2016).

 

 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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Zuletzt aktualisiert am: 29.09.2022