Net des Magens D44.9

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 27.07.2018

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Synonym(e)

Gastric carcinoids; Neuroendokriner Tumor des Magens

Definition

Epithelialer Tumor, ausgehend von den enterochromaffinen Zellen (EC-Zellen) des DENS (difffuses neuroendokrines System), die sich durch die Produktion von Gewebshormonen und Enzymen wie Serotonin, Kallikrein, Tachykininen und Prostaglandinen kennzeichnen.

Unterschieden werden 4 Typen der neuroendokrinen Magenneoplasien. Ausgangspunkt für die Klassifizierung der NETs des Magens ist, dass alle NETs ein malignes Potenzial mit der Möglichkeit zur Metastasierung besitzen. Hierbei besteht eine direkte Beziehung von ihrer histologischen Differenzierung, Größe, Invasivität, proliferativen Aktivität zu ihrer Zellbiologie und zu ihrer klinischen Sympomtatik.

Ergänzt wurde diese Klassifikation durch die Einführung einer Stadieneinteilung nach TNM und einer Gradierung der neuroendokrinen Neoplasien auf der Basis ihrer proliferativen Aktivität in G1 bis G3

Einteilung

Typ 1

Etwa 70–80% aller NETs des Magens. Der Typ 1 tritt immer im Zusammenhang mit einer (autoimmunen) chronisch atrophischen Korpusgastritis und einer damit gelegentlich verbundenen perniziösen Anämie auf. Betroffen sind in der Mehrzahl (>80%) Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren.

Klinisch: multiple polypöse Schleimhautvorwölbungen im Korpus und Fundus <1cm. Ein Hormonhypersekretionssyndrom entwickelt sich nicht. Mikroskopisch finden sich gut differenzierte, trabekulär bis azinär aufgebaute Tumoren. In > 90% der Fälle sind nur die Mukosa und Submukosa infiltriert. Der Proliferationsindex (Ki67/MIB1-Index) < 2% (G1). Immunhistologisch (und auch ultrastrukturell) lassen sich ECL- (Histamin-) Zellen und nur einzelne EC- (Serotonin-) Zellen oder Somatostatinzellen nachweisen. Die ECL-Zellen sind stark Chromogranin-A positiv, exprimieren VMAT2 (vesikulärer Monoamintransporter 2) und sind meist auch positiv für den Somatostatinrezeptor SSTR2.

Bei Tumoren > 1cm werden zum Zeitpunkt der Diagnose in 2–9% Lymphknotenmetastasen nachgewiesen. Todesfälle als Folge eines Typ-1-NET sind bislang nicht beschrieben worden. Die 5- und 10-Jahres-Überlebensraten unterscheiden sich nicht von jenen der Allgemeinbevölkerung (Borch K et al. 2005; Hou W et al. 2007).

 

Typ 2

Etwa 5–6% aller Magen-NET entfallen auf diesen Typ. Er ist assoziiert mit einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN1) und einem Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES) als Folge eines duodenalen Gastrinoms. 

Klinisch: Nachweis multipler polypoider Tumoren im Korpus- und Fundusbereich. Tumorgrößen häufig > 1 cm. Männer und Frauen sind gleichhäufig betroffen; das mittlere Alter liegt bei 45 Jahren. Mikroskopisch finden sich gut differenzierte und trabekulär gestaltete Tumoren. Proliferationsindex meist < 2% (G1). Immunhistologisch bestehen sie aus ECL-Zellen (VMAT2-Positivität). Korpusmukosa ohne Atrophie (im Gegensatz zu Typ 1). Durch das gleichzeitig bestehende duodenale Gastrinom u , und der damit verbundenen Hypergastrinämie des gleichzeitig bestehenden duodenalen Gastrinoms, besteht eine Hyperplasie der Haupt- und Belegzellen.

Das Risiko für Lymphknotenmetastasen ist hoch, wenn die Tumoren > 1 cm, Angioinvasion vorliegt und / oder die muskuläre Wandschicht infiltrieren.

Todesfälle als Folge eines Typ-2-NET wurden in < 10% der Fälle beschrieben.

 

Typ 3

Etwa 14–25% der Magen-NETs. Dieser Typ ist mit keiner weiteren Erkrankung assoziiert. Das mittlere Alter der Patienten liegt bei 50 Jahren. M:w=1:1.

Klinisch: Solitär auftretender, polypoider Tumor > 1cm (Zeitpunkt der Diagnosestellung). Keine spezielle Lokalisation im Magen. Mikroskopisch finden sich solide und trabekuläre Muster. Proliferationsrate > 2% (G2). Tumorzellen infiltrieren frühzeitig die Muscularis propria und/oder zeigen Angioinvasion. Häufig Lymphknoten- und Lebermetastasen.

Immunhistologisch sind die meisten Tumorzellen für VMAT2 (ECL-Zellen) reaktiv. Im Gegensatz zum Typ 1 und Typ 2 findet sich in der Korpusschleimhaut des Magens keine ECL-Zell-Hyperplasie. Todesfälle als Folge eines Typ-3-NET wurden in 25–30% der Patienten beobachtet. 5-Jahres-Gesamtüberleben < 50%  (Ruszniewski P et al. 2006) 

 

Typ 4

Seltener, schlecht differenzierter, sporadischer neuroendokriner Tumor des Magens (neuroendokrines Karzinom des Magens = NEK). NEKs können in allen Bereichen des Magens auftreten.

Klinisch: Meist zum Zeitpunkt der Diagnose bereits ulzerierte und metastasierte, 5-7cm große, sporadische Geschwulst (Rindi G et al. 1999) . Betroffen sind vor allem ältere (>60 Jahre) Männer.

Mikroskopisch finden sich solide Karzinome; erinnern an klein- oder großzellige Bronchialkarzinome Tumorparenchym ist reich an Mitosen; Proliferationsrate > 20–30% (G3). Angioinvasion und tiefe Wandinfiltration sind nachweisbar. Immunhistologisch färben die Tumorzellen positiv für Synaptophysin, vereinzelt für Chromogranin A. Nicht nachweisbar ist eine Reaktivität für VMAT2.

Schlecht differenzierte NEK des Magens enthalten neben der neuroendokrinen Komponente gelegentlich auch eine Plattenepithel- und/oder eine Adenokarzinomkomponente, sodass der Übergang zu den gemischten exokrin-endokrinen Karzinomen fließend sein kann.

Prognose ist schlecht. Geschwülste werden häufig erst im fortgeschrittenen metastasiertem Stadium.50% der Patienten verstirbt innerhalb von 12 Monaten an der Erkrankung (Ruszniewski P et al. 2006).

 

Exokrin-endokrine Mischtumoren

Karzinome des Magens, die zusätzlich zu ihrer glandulären, schleimproduzierenden (exokrinen) Komponente eine endokrine Zellpopulation enthalten, die mehr als 30% des Tumorgewebes ausmacht, oder die aus einem glandulär-schleimproduzierenden Adenokarzinom neben einem neuroendokrinen Karzinom („Kollisionstumor“) bestehen, werden als exokrin-endokrine Mischtumoren bezeichnet.

Klinisches Bild

Die meisten der Typ-1- und Typ-2-NET des Magens sind asymptomatisch und werden bei einer Gastroskopie zufälligerweise entdeckt (Landry CS et al. 2009). Die symptomatischen NET gehören überwiegend dem Typ 3 und Typ 4 an und werden durch Oberbauchbeschwerden, gastroduodenale Blutungen, Diarrhö, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust auffällig. Ein Karzinoidsyndrom mit protrahierten Flush-Anfällen und Diarrhö ist eine Rarität im Zusammenhang mit einem sporadischen NET des Magens und auf die Sekretion von Serotonin, Histamin und möglicherweise 5-Hydroxytryptophan durch die Tumorzellen zurückzuführen.

Labor

Bestimmung von Serum-Gastrin und Serum-Chromogranin A.

Diagnose

Klinik, Histologie, Nachweis einer möglichen Metastasierung.

Therapie allgemein

Gut differenzierte NET des Magens vom Typ 1, Typ 2 oder Typ 3

Gut differenzierte NET des Magens vom Typ 1, Typ 2 oder Typ 3, die auf die Mukosa/Submukosa beschränkt sind, einen Durchmesser bis zu 1 cm besitzen, eine niedrige proliferative Aktivität (<2%, G1) zeigen und nicht angioinvasiv sind, können als NET ohne Risikofaktoren bezeichnet werden. Sie können endoskopisch abgetragen oder nur endoskopisch-bioptisch überwacht werden. In jedem Fall werden Kontrollgastroskopien alle 12 Monate angeraten.

Sind die Typ-1- und Typ-2-NET zwischen 1 und 2 cm groß und zeigen sonst keine weiteren Risikofaktoren, wird eine endoskopische Abtragung durch Mukosektomie empfohlen (aktuelle Leitlinie). Prognoserelevante Tumorrezidive nach Polypektomie oder Mukosektomie wurden bislang nicht beobachtet. Liegen Risikofaktoren in Form einer Angioinvasion, Infiltration der muskulären Wandschicht, Lymphknotenmetastasen und/oder einer Proliferation über 2% (G2 oder G3) vor, wird zur Operation geraten.

Gut differenzierte NET  mit Risikofaktoren

In den USA werden gut differenzierte (G1 und G2), nichtmetastasierte Magen-NETs (Karzinoide) vom Typ 1 und Typ 2 bis zu einem Durchmesser von 3 cm häufig konservativ oder minimal-invasiv behandelt. In Europa und Japan werden bei gut differenzierten Magen-NET, die die Submukosa überschreiten oder über 2 cm groß sind und in den meisten Fällen auch gleichzeitig eine Angioinvasion und erhöhte Proliferation (>2%) zeigen („NET mit Risikofaktoren“), operative  Verfahren vorgezogen (Hou W et al. 2007).

Bei gut differenzierten Magen-NET mit > 2 cm und Lymphknotenmetastasen ist ein chirurgisches Vorgehen indiziert. Hierbei ist die totale Gastrektomie einer Magenteilresektion vorzuziehen. Bei Vorliegen einer Metastasierung der Leber, so besteht eine Palliativsituation, bei der eine „Debulking-Chirurgie“ und die Ablation/Resektion der Lebermetastasen erfolgen sollte.

 

Schlecht differenzierte  neuroendokrine Magenkarzinome

Schlecht differenzierte (G3) NEK des Magens müssen nach onkologischen Standards reseziert werden, wenn es das Stadium noch erlaubt, oder erhalten eine Chemotherapie, die der Behandlung eines kleinzelligen Karzinoms der Lunge entspricht (Nilsson O et al. 2006) .

Bei primär resezierten schlecht differenzierten neuroendokrinen Karzinomen wird in der Regel zu einer postoperativen Chemotherapie geraten (Nilsson O et al. 2006) .Ob das G3-Karzinom nodal positiv oder negativ ist, ist für die Indikation zur Chemotherapie nicht ausschlaggebend. Lebermetastasen können selbst bei nodal-negativen neuroendokrinen G3-NEK auftreten.

Exokrin-endokrin differenzierte  Magenkarzinome

Bei diesen Tumoren gilt der Grundsatz, dass die Prognose durch den exokrinen Anteil des Karzinoms bestimmt wird, es sei denn, es liegt zusätzlich ein niedrig differenziertes neuroendokrines Karzinom vor. Dies bedeutet, dass sich das therapeutische Vorgehen dabei ganz nach den Leitlinien zur Behandlung des gewöhnlichen Adenokarzinoms des Magens richtet.

Verlauf/Prognose

Die NETs des Magens werden meist in einem frühen, gut behandelbaren Stadium (mit Tumordurchmesser <1 cm) festgestellt. Dies hat zu einer deutlichen Prognoseverbesserung geführt. So stieg das 5-Jahres-Überleben dieser Patienten von 51% in  den 1970er Jahren auf 71% an (Landry et al. 2009). Der Anteil der fernmetastasierten Karzinome (zum Diagnosezeitpunkt) nahm im selben Zeitraum von etwa 20% auf 6,5–7,9% ab (Modlin IM et al. 2008).

Prophylaxe

Die endoskopische „En-passant-Früherkennung“ führt ganz offensichtlich zu einer deutlichen Prognoseverbesserung bei Patienten mit NET des Magens.

Tabellen

pTNM-Klassifikation der neuroendokrinen Neoplasien des Magens (NET des Magen)

T – Primärtumor

  • TX Primärtumor kann nicht beurteilt werden
  • T0 Kein Anhalt für Primärtumor
  • Tis Carcinoma in situ, schwere Dysplasie (<0,5 cm)
  • T1 Tumor infiltriert Lamina propria oder Submukosa und ≤1 cm
  • T2 Tumor infiltriert Muscularis propria oder Subserosa oder >1 cm
  • T3 Tumor infiltriert die Serosa
  • T4 Tumor infiltriert andere Organe. Bei multiplen Tumoren für jedes T (m) hinzufügen

 

N – regionäre Lymphknoten

  • NX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
  • N0 Keine regionären Lymphknotenmetastasen
  • N1 Regionäre Lymphknotenmetastasen

 

M – Fernmetastasen

  • MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden
  • M0 Keine Fernmetastasen
  • M1 Fernmetastasen

 

WHO-Klassifikation der NETs/proliferationsbasiertes Grading:

  • Hoch/gut differenziertes neuroendokriner Tumor (G1) –Ki-67-Index: =/<2%
  • Hoch/gut differenziertes neuroendokriner Tumor (G2) –Ki-67-Index: 3-20%
  • Gering/gut differenziertes neuroendokriner Tumor (G3) =NEC –Ki-67-Index > 20% (großzellige du kleinzellige  Variante)

 

Klinische Stadien: 

  • Stadium 0 Tis N0 M0
  • Stadium I T1 N0 M0
  • Stadium IIa T2 N0 M0 IIb T3 N0 M0
  • Stadium IIIa T4 N0 M0
  • Stadium IIIb Jedes T N1 M0
  • Stadium IV Jedes T Jedes N M1

Nachsorge

Verlaufskontrolle erfolgen sollte. Die Zeitabstände der bildgebenden und laborchemischen Verlaufskontrolle sollten sich an der proliferativen Aktivität des Tumors orientieren. Bei NET G1 sollte diese zunächst alle 6–12 Monate erfolgen, bei NET G2 alle 6 Monate, während bei NET/NEC G3 initial mindestens alle 3 Monate eine bildgebende Diagnostik erfolgen sollte.

 

 

 

Literatur
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  1. Borch K et al. (2005) Gastric carcinoids: biologic behavior and  prognosis after differentiated treatment in relation to type. Ann  Surg 242:64–73 
  2. Hou W et al. (2007) Treatment of gastric carcinoids. Curr Treat Options Gastroenterol  10:123–133
  3. Ito T et al. (2007) Preliminary  results  of a Japanese nationwide  survey of neuroendocrine gastrointestinal tumors.  J Gastroenterol  42:497-500 
  4. Landry CS et al. (2009) A proposed staging system for gastric carcinoid tumors  based on an analysis of 1,543 patients. Ann Chirurg  Oncol 16:51–60 11.
  5. Modlin IM et al. (2008) Gastroenteropancreatic neuroendocrine tumours. Lancet  Oncol 9:61–72
  6. Nilsson O et al. (2006) Poorly differentiated carcinomas of the foregut  (gastric, duodenal and pancreatic). Neuroendocrinology 84:212–215
  7. Perren A et al. (2010): Klassifikation und Pathologie gastroenteropankreatischer neuroendokriner Tumoren. Viszeralmed 26: 234-240

  8. Rindi G et al. (1999) ECL cell tumor and poorly differentiated endocrine carcinoma of the stomach: prognostic evaluation by pathological analysis. Gastroenterology 116:532–542
  9. Ruszniewski P et al.(2006)Well-differentiated gastric tumors/carcinomas.  Neuroendocrinology 84:158–164
  10. Scherübl H et al. (2003) Neuroendokrine gastrointestinale Tumore. Diagnostik und Therapie. Dtsch Med Wochenschr 128: 81–83

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