Insulinresistenz

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 01.01.2022

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Erstbeschreiber

Gegen Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde von Himsworth und Kerr bei Patienten mit NIDDM (non insulin dependent diabetes mellitus) eine Insulinresistenz dokumentiert (Hanefeld 2020).

Der Begriff „Insulinresistenz“ wurde 1988 von Gerald Reaven geprägt (Fritsche 2015).

Den oralen Glukosetoleranztest (oGTT) beschrieb im Jahre 1917 erstmals Ivar Bang. Der Test findet bis heute Anwendung (Jagannathan 2020).

Definition

Unter einer Insulinresistenz (IR) versteht man eine Störung der Interaktion zwischen Insulin und seinem Rezeptor an der Zelloberfläche und / oder eine Störung der Verwertung von Glukose innerhalb der Zelle (Herold 2021).

Durch den gestörten Glukosetransport kommt es kompensatorisch zu einer vermehrten Ausschüttung von Insulin aus den Betazellen und damit zu einer reaktiven Hyperinsulinämie (Leidenberger 2009)

Einteilung

Die Insulinresistenz setzt sich zusammen aus einer hepatischen und einer peripheren Komponente. Beide können jedoch nicht isoliert gesehen werden.

  • Hepatische Insulinresistenz: Darunter versteht man eine durch Insulin nicht ausreichende Suppression der hepatischen Glukoneogenese.
  • Periphere Insulinresistenz: Bei der peripheren Insulinresistenz erfolgt auf die Ausschüttung von Insulin eine inadäquat niedrige Antwort der peripheren Gewebe, d. h. es kommt zu einer zu geringen Erhöhung des Glukoseeinstroms in Adipozyten und Muskelzellen (Nawroth 2001). Die periphere Insulinresistenz bildet die Grundlage für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms und eines Typ 2 Diabetes (Stalla 2007).

Beim Typ A Insulinresistenz- Syndrom handelt es sich um einen genetischen Defekt der Insulinsekretion (Schatz 2006).

Das Typ B Insulinresistenz- Syndrom tritt in Zusammenhang mit immunologischen Störungen auf und ist insgesamt sehr selten (Stalla 2007).

Vorkommen

Das Ausmaß einer Insulinresistenz variiert mit dem Alter. Die IR tritt vermehrt in der peripubertalen Phase und in der Postmenopause auf. Ebenso sind Frauen mit androidem Fettverteilungsmuster häufiger betroffen (Leidenberger 2009).

Kasper (2015) betont die i. d. R. größere Insulinresistenz bei Latinos.

Eine genetisch bedingte IR findet sich bei ca. 25 % der Europäer, die Hälfte davon entwickeln ein metabolischesSyndrom (Hanefeld 2020).

Ätiologie

Die Insulinresistenz kann erworben oder genetisch bedingt sein. Bei einer genetisch determinierten IR wird diese durch entsprechende Umweltfaktoren wie z. B. Adipositas, Bewegungsmangel etc. verstärkt (Stalla 2007).

Auf der Prä- Rezeptorebene spielen eine Rolle (Siegenthaler 2006):

  • Vermehrung kontrainsulinärer Hormone wie z. B.:
    • Somatotropes Hormon (STH)
    • Glukagon
    • Kortikosteroide
    • Thyroxin
    • Adrenalin
    • ACTH (Herold 2021)
  • Bildung von Antikörpern:
    • gegen Insulinrezeptoren (treten meistens im Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen wie z. B. Lupus erythematodes disseminatus auf und ist oftmals mit einer Acanthosis nigricans vergesellschaftet (Siegenthaler 2005)
    • Insulinantikörper (diese hemmen die biologische Aktivität des Insulins)
  • Bei bereits bestehendem insulinpflichtigen Diabetes mellitus vermehrte lokale Insulindegradierung durch subkutane Injektionen (Siegenthaler 2006).

 

Auf der Ebene der Zielzellen spielen eine Rolle: 

  • intraabdominelles Fettgewebe (häufigste Ursache)
  • Stress
  • Trauma
  • Infektionen
  • Fieber
  • Hypertriglyceridämie
  • Ketoazidose
  • (Prä-) Coma diabeticum (Herold 2021)
  • chronische Lebererkrankungen:

Diese können durch Rezeptor- und Postrezeptordefekte zu einer Insulinresistenz führen (Gerok 2007).

 

Es kommt im Rahmen folgender Erkrankungen häufig zur IR:

Die IR zählt laut WHO zu den Symptomen eines metabolischen Syndroms (Fritsche 2015). 

In frühen Stadien der Erkrankung bleibt die Glukosetoleranz - trotz bereits bestehender Insulinresistenz – nahezu normal, da die Inselzellen dies durch eine erhöhte Ausschüttung von Insulin kompensieren können. Der genaue molekulare Mechanismus, der zur Insulinresistenz führt, ist bislang nicht geklärt (Kasper 2015).

  • Mutationen im Insulinrezeptor 
  • Schwangerschaftsdiabetes (im Zusammenhang mit metabolischen Veränderungen)
  • Schlafapnoe- Syndrom (Kasper 2015)
  • Polyzystisches Ovarialsyndrom:

Dieses ist in 50 – 80 % der Fälle mit einer Insulinresistenz assoziiert. Der pathophysiologische Mechanismus ist bislang nicht geklärt.

Pathophysiologie

Die Insulinresistenz wird durch einen bislang nicht vollständig geklärten Defekt in der Insulinwirkung hervorgerufen (Kasper 2015).

Viszerales Fett ist – verglichen mit subkutanem Fett – metabolisch aktiver. Es gelangen durch das viszerale Fett viele freie Fettsäuren zunächst über den Kreislauf der Pfortader in die Leber und bewirken zunächst in der Leber und im weiteren Verlauf in der Muskulatur ein schlechteres Ansprechen auf Insulin (Leidenberger 2009).

Zu Beginn der Insulinresistenz kommt es zu einem vermehrten Ausschütten von Insulin in den Blutkreislauf, was die Betazellen hypertrophieren lässt. Unter Nüchternbedingungen reicht diese Kompensation zunächst aus, um den BZ im Normbereich zu halten. Wenn jedoch nach einer Mahlzeit Glukose rasch aus dem Darm absorbiert wird, kommt es zu einem relativen Insulinmangel (Roberts 2013).

Die Unfähigkeit, nach einer Mahlzeit Glukose in angemessener Weise aufzunehmen und zu entsorgen, bezeichnet man als Glukoseintoleranz (Roberts 2013).

Im weiteren Verlauf einer IR kommt es zu einer postprandialen Hyperinsulinämie, auf die eine Nüchtern- Hyperinsulinämie und schließlich eine Hyperglykämie folgen (Kasper 2015).

Klinisches Bild

Der V. a. eine Insulinresistenz sollte aufkommen bei Patienten mit:

  • Typ 2 Diabetes bei Verwandten 1. Grades
  • Patienten mit:
    • abdomineller Adipositas
    • polyzystischem Ovarialsyndrom
    • Gestationsdiabetes
    • gestörter Glukosetoleranz (Rao 2001)

Oftmals finden sich zusätzlich bei diesen Patienten eine arterielle Hypertonie, Dyslipidämie und Herz- Kreislauferkrankungen (Rao 2001)

Diagnostik

Die Diagnostik orientiert sich in erster Linie an laborchemischen Veränderungen (s. „Labor“) und den unten aufgeführten Testverfahren (Leidenberger 2009).

Oraler Glukosetoleranztest (oGTT)

  • Vorbereitungen vor dem Test:
  • Hungerzustand: Bei der Durchführung des oGTTs ist darauf zu achten, dass der Patient sich nicht im Hungerzustand befindet. Er sollte mindestens 3 Tage zuvor ≥ 150 g Kohlenhydrate / d zu sich nehmen.
  • kein Vorliegen febriler Temperaturen
  • bei Frauen nicht zum Zeitpunkt der Menstruation (von 3 d vorher bis 3 d nachher, da ansonsten falsch positive Werte auftreten können (Schäffler 2009)
  • ab 22.00 Uhr des Vortages sollte der Patient nüchtern bleiben (Herold 2020)
  • eine vorhergehende Substitution ist erforderlich bei:
    • Hypokaliämie
    • Hypomagnesiämie (Schäffler 2009)
  • Testdurchführung:

Die Testdurchführung erfolgt nach den Kriterien der WHO (Reinhardt 1994).

Zuerst wird der Nüchtern- BZ durch eine i. v.- Blutentnahme bestimmt. Anschließend trinkt der Patient 75 g Glukose bzw. bei Abklärung eines Schwangerschaftsdiabetes 50 g Glukose (Schäffler 2009). Bei Kindern erfolgt die Dosierung nach Gewicht: 1,75 g / kg KG, Höchstdosis 75 g (Eyth 2021). Der Trinkvorgang sollte maximal 5 min betragen (Eyth 2021). 

Der Patient muss anschließend weiterhin nüchtern bleiben, eine übermäßige Flüssigkeitszufuhr ist zu vermeiden (Eyth 2021), außerdem sollte körperliche Ruhe einhalten werden (Herrmann 2007). 

Die BZ- Messungen im Vollblut (Herrmann 2007) erfolgen in genau definierten Zeitabständen nach 30 min, 60 min, 90 min, 2 h, 3h und 5 h. Es werden hierbei außer Glukose auch noch Insulin und C- Peptid bestimmt.

Diese Form des Glukosetoleranztests dient der Abklärung einer postprandialen Hypoglykämie, einer Insulinresistenz bzw. eines Versagens der Betazellen (Schäffler 2009). 

  • Testauswertung:

Bei einer Insulinresistenz finden sich erhöhte basale Werte und / oder ein überschießender Anstieg sowohl von Insulin als auch von C- Peptid nach 2 h.

Normwerte für C- Peptid:

-- nüchtern ca. 0,81 – 3,85 ng / ml

-- nach 1 h und nach 2 h ca. 2,7 – 5,7 ng / ml (Schäffler 2009)

HOMA- Index: Der HOMA- Index (Homeostatic Model Assessment) bietet die Möglichkeit einer klinischen Abschätzung der Insulinresistenz. Hierbei werden Nüchterninsulin- und Nüchtern- Glukosewerte benötigt:

Nüchtern- Insulinwert multipliziert mit dem Nüchtern- Glukosewerte, dividiert durch 405

  • Auswertung:

Normbereich: < 2

Grenzbereich: 2 – 2,5

Pathologischer Bereich: > 2,5 (Leidenberger 2009)

Weitere Untersuchungsmöglichkeiten sind:

  • ISSI- 2 Index (Insulin Secretion- Sensitivity Index- 2)
  • Matsuda- Index
  • QUICKY (Quantitative Insulin Sensitivity Check Index)

Bei diesen Tests variieren die Werte für die Indizes je nach Alter, Geschlecht, Bevölkerungsgruppe, ethnische Gruppe. Von daher sind diese Testverfahren in der Praxis weniger von Bedeutung (Placzkowska 2019).

Labor

Bei Patienten mit Insulinresistenz finden sich oftmals 

  • erhöhte postprandiale BZ- Werte (Gerok 2007)
  • erhöhte Triglyceride
  • niedriges HDL (Fletcher 2004)

Komplikation(en)

Zu einem manifesten Diabetes Typ 2 kann es erst dann kommen, wenn zusätzlich zur Insulinresistenz auch noch eine Störung der B- Zellen vorliegt (Gerok 2007)

Therapie allgemein

Eine Modifikation des Lebensstils mit Gewichtsabnahme und vermehrter körperlicher Bewegung führt zu einer Verbesserung der Insulinresistenz (Kasper 2015).

  • Kohlenhydrattage: In einer Studie von Lammert (2005) hat sich gezeigt, dass Kohlenhydrattage mit 15 BE Haferschleim zu einer Verbesserung der Insulinresistenz führen. Die erforderliche Insulinmenge sank von durchschnittlich 1,43 IE / kg vor den Haferschleimtagen auf 0,76 IE / kg danach, d. h. die Insulinmenge sank um 47,6 %. Der positive Effekt war auch 4 Wochen noch nachweisbar.
  • Schlafapnoe: Bei Patienten mit Schlafapnoe- Syndrom zeigt sich allein unter einer Behandlung mit kontinuierlichem Atemwegsdruck eine Verbesserung der Insulinempfindlichkeit (Kasper 2015).

Interne Therapie

Es gibt Medikamente, die die Insulinempfindlichkeit erhöhen:

  • Biguanide wie z. B. Metformin: Biguanide unterdrücken die körpereigene Glukoseproduktion und verstärken die Insulinwirkung in der Leber.
  • Glitazone (Thiazolidindione [TZD]) wie z. B. Rosiglitazon: Sie unterdrücken die körpereigene Glukoseproduktion, verstärken die Insulinwirkung in der Leber und darüber hinaus verbessern sie die insulinvermittelte Glukoseaufnahme im Fett- und Muskelgewebe (Kasper 2015). Patienten mit einem Insulinbedarf von > 1 IE / kg / d sollten auf eine Kombinationstherapie mit zusätzlichem Metformin oder TZD eingestellt werden (Kasper 2015). Werner (2021) konnte in einer aktellen Studie zeigen, dass eine ausreichend hohe Zufuhr an Magnesium bzw. eine Mg- Supplementation ein weiteres Fortschreiten der IR verhindern kann.

Prognose

Die Insulinresistenz spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung eines metabolischen Syndroms bzw. eines Diabetes mellitus. Von daher ist es wichtig, eine IR frühzeitig zu erkennen, um therapeutisch eingreifen zu können (Placzkowska 2019).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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  6. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 738
  7. Herrmann F et al. (2007) Endokrinologie für die Praxis: Diagnostik und Therapie von A – Z. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 37, 250
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  12. Nawroth P P et al. (2001) Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 676
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  18. Schatz H (2006) Diabetologie kompakt: Grundlagen und Praxis. Georg Thieme Verlag Stuttgart 18
  19. Siegenthaler W et al. (2006) Klinische Pathophysiologie. Thieme Verlag 84 - 88
  20. Stalla G K et al. (2007) Therapielexikon Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten. Springer Verlag Heidelberg 565 – 566
  21. Werner T et al. (2021) Magnesium bei Insulinresistenz, Prädiabetes, metabolischem Syndrom und Typ 2 – Diabetes. Nieren- und Hochdruckkrankheiten 50 (8) 334 - 340
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