Insulinpumpentherapie

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022

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Synonym(e)

CSII; Kontinuierliche subkutane Insulininfusion

Erstbeschreiber

Bereits im Jahre 1963 entwickelte der Arzt Arnold Kadish in Los Angeles den „Mill Hill Infusor“, eine Insulin- und Glukagonpumpe, die über eine i. v.- Zufuhr verfügte. Sie hatte noch die Ausmaße eines Rucksacks und war wegen des Infektionsrisikos für den Alltagsgebrauch nicht verwendbar (Thomas 2010).

Mitte der 70 er Jahre entwickelten dann Forscher aus Großbritannien kleine Spritzenpumpen, die Insulin oder andere Medikamente s. c. in konstanter Menge zuführen konnten.

Anfang der 80 er Jahre kamen spezielle Insulinpumpen in Deutschland auf den Markt wie z. B. 1980 die sog. CPI 9100, die erstmals über eine programmierbare Basalrate verfügte. Mit der Betatron II wurde schließlich auch die Einstellung alternativer Basalraten möglich.

Den Durchbruch brachte der Hoechst- Infusor MRSI mit einer 24- stufigen Basalrate. Die Programmierung der Basalraten fand zunächst noch über ein externes Programmiergerät in der Praxis statt (Thomas 2010).

Ende der 90 er Jahre wurde eine Pumpe entwickelt, die verschiedene Bolus- Optionen aufwies, eine direkte Verbindung mit einem Blutzuckermessgerät hatte bzw. optional mit einem kontinuierlichen Glukosemonitoring verbunden werden konnte: die auch heute verwendete CSII (Thomas 2010).

Definition

Unter der Insulinpumpentherapie versteht man eine Form der Insulinbehandlung, bei der mittels externer Pumpe dem Patienten kontinuierlich Insulin infundiert wird (Herold 2021).

Einteilung

Die Insulinpumpentherapie (CSII = continuous subcutaneous insulin infusion [Kasper 2015]) zählt – ebenso wie die ICT - zur intensivierten Insulintherapie (Herold 2021).

Allgemeine Information

Voraussetzungen für eine CSII

  • Die Patienten müssen kooperativ sein
  • die Möglichkeit und Bereitschaft mehrmaliger täglicher Stoffwechselkontrollen muss gegeben sein (mindestens 4 / d, i. d. R. aber häufiger)
  • intensive Diabetesschulung
  • ICT- Schulung bei Pumpenausfall (Herold 2021)
  • SMBG (self- monitoring blood glucose)- Schulung (Kasper 2015)
  • Management einer Hypoglykämie sollte bewältigt werden können
  • Möglichkeit zur Selbstbestimmung der Ketone bei einem BZ von > 250 mg / dl muss beherrscht werden
  • die Betreuung der Patienten durch diabeteserfahrene Ärzte muss gesichert sein (Herold 2021)

 

Pharmakodynamik

Eine externe Pumpe bewirkt eine kontinuierliche Infusion mit Insulin. An modernen Geräten ist die Basalrate für jede Stunde getrennt programmierbar und mit verschiedenen Tagesprogrammen steuerbar für z. B. Wochenende, Menstruation, Wechselschicht etc. Dadurch kann wechselnden Belastungen und einem Dawn- Phänomen gut entgegengesteuert werden.

Für den Patienten ist es möglich, sich zusätzlich zu den Mahlzeiten – in Abhängigkeit von der aufzunehmendenNahrungsmenge und dem präprandialen Blutzucker – durch das Gerät Bolusinsulin verabreichen zu lassen.

Inzwischen gibt es computergesteuerte Geräte (Closed- Loop System), die über einen autonomen Sensor, den sog. CGM verfügen, der kontinuierlich den Blutglukosewert misst und alle 5 min anzeigt. Bei hohen und niedrigen Werten erfolgt ein Alarm. Bei einem niedrigen BZ schaltet sich die Pumpe automatisch ab.

Bei Pumpen mit einem sog. „Open- Loop- System“ hingegen erfolgt die BZ- Messung manuell durch den Patienten selbst(Herold 2021).

 

 

Indikationen

  • Typ 1 Diabetes mellitus (stellt hierbei inzwischen die Standardtherapie dar [Kolassa 2014])
  • Schwangerschaft (insbesondere bei Typ 1 DM [Herold 2021])
  • Kleinkinder (Standardtherapie für Kinder < 5 Jahren [Kapellen 2013])
  • drohende Spätkomplikationen eines DM
  • Wunsch nach Progressionshemmung
  • ausgeprägtes Dawn- Phänomen mit rezidivierenden Hypoglykämien (Herold 2021)
  • gehäufte nächtliche Hypoglykämien (Lehnert 2010)
  • Störungen bei der Wahrnehmung von Hypoglykämien
  • Wunsch des Patienten nach einer flexiblen Therapie z. B. wegen Wechselschicht, gehäuftem Reisen über verschiedene Zeitzonen, Leistungssport etc. (Herold 2021)
  • insulinpflichtiger Typ 2 Diabetes mellitus (Rotbard 2017)

Laut Leitlinie ist die Insulinpumpentherapie beim Typ 2 DM aber nur selten indiziert (Bundesärztekammer 2021).

  • mit ICT nur unzureichende BZ- Einstellung möglich – trotz hoher Motivation des Patienten
  • Kinderwunsch
  • diabetische Nephropathie (Lehnert 2010)

 

Dosierung und Art der Anwendung

Verwendet werden bei der CSII ausschließlich Normalinsulin oder schnell wirksames Analoginsulin (Herold 2021).

Unter einer Therapie mit Aspart ist die Rate der Hypoglykämien geringer als bei humanem Insulin oder Insulin Lispro (Haak 2018).

 

Unerwünschte Wirkungen

  • Infektion an der Infusionsstelle 
  • unerklärliche Hyperglykämien durch Verstopfung des Infusionssets
  • diabetische Ketoazidose bei nicht angeschlossener Pumpe (Kasper 2015)
  • Gefahr einer Hypoglykämie bei BZ- Selbstkontrolle (Herold 2021)

 

Vorteile der Insulinpumpentherapie

  • Optimale Stoffwechselführung möglich 
  • zeitliche Gestaltung der Nahrungsaufnahme individuell planbar
  • zeitliche Gestaltung der körperlichen Belastungen individuell planbar
  • bei Closed- Loop- Systemen:
    • rechtzeitige Alarmierung durch die Pumpe bei einer eventuell auftretenden Hypo- und Hyperglykämien mit Einleitung entsprechender Gegenmaßnahmen
    • stabile Einstellungen eines HbA1c um 5,5 % bei niedrigem Hypoglykämierisiko möglich (Herold 2021)

 

Behandlungsziele

  • Vermeidung hypoglykämischer Reaktionen
  • Anstreben einer nahezu normoglykämischen Stoffwechsellage mit:
    • BZ- Selbstkontrollen
    • BZ nüchtern bzw. präprandial 80 – 110 mg / dl (4,4 – 6,1 mmol / l)
    • BZ postprandial ≤ 140 mg / dl (≤ 7,8 mmol / l
    • Azeton negativ
    • Urin frei von Glukose
    • Albuminurie < 20 mg / l (Herold 2021)
  • Ausschaltung evtl. vorhandener Risikofaktoren für eine vorzeitige Arteriosklerose wie z. B.:
    • Normalisierung des Blutdrucks mit Zielwerten von:
      • ≤ 140 / 90 mmHg bei Patienten ohne Albuminurie
      • ≤ 130 / 80 mmHg bei Patienten mit Albuminurie
    • Verzicht auf Rauchen (Herold 2021)
  • Normalisierung von HbA1c
  • Kontrolle alle 3 Mon. 
    • Typ 1 DM:
      • HbA1c von ≤ 6,5 anstreben, sofern dies hypoglykämiearm erreicht werden kann
    • Typ 2 DM:
      • HbA1c Zielbereich < 7 bzw. < 6,5 anstreben, sofern dies ohne Hypoglykämien möglich ist; Werte < 6,5 zeigen kein Benefit, dafür aber besteht ein erhöhtes Risiko von:
        • Hypoglykämien
        • kardiovaskulären Komplikationen
        • wahrscheinlich auch eine Erhöhung der Demenzgefahr (Herold 2021)
  • Normalisierung von Körpergewicht und Blutfetten
    • bei Diabetes mellitus: Zielwert für LDL- Cholesterin liegt < 100 mg / dl (< 2,6 mmol / l). Erreichbar durch Statine oder PCSK9- Hemmer.
    • bei Diabetes mellitus und KHK: Zielwert liegt bei < 70 mg / dl (1,8 mmol / l). Erreichbar durch Statine oder PCSK9- Hemmer (Herold 2021).
  • frühzeitige Prävention bzw. Therapie von Komplikationen wie z. B.:
    • diabetische Retinopathie
    • diabetisches Fußsyndrom
    • diabetische Polyneuropathie (dPNP)
    • diabetisches Makulaödem
    • diabetische Nephropathie
    • erektile Dysfunktion
    • autonome diabetische Neuropathie (ADN)

(Herold 2021)

  • regelmäßige Untersuchungen zur Erfassung eventueller Spätkomplikationen
    • Labor:
      • Harnstoff
      • Kreatinin i. S.
      • (Mikro-) Albuminurie
      • Kreatininclearance
    • klinische Untersuchung mit nackten Füßen alle 3 Monate
    • Pulsstatus (mindestens 1 x / Jahr)
    • neurologischer Status (mindestens 1 x / Jahr)
    • Untersuchungen durch den Augenarzt (mindestens alle 2 Jahre)
    • zahnärztliche Kontrollen und eventuelle Behandlung einer Parodontitis (Herold 2021)

 

 

Präparate

  • Normalinsulin, früher als „Altinsulin“ bezeichnet. Heutzutage wird meistens synthetisch hergestelltes Humaninsulin verwendet wie z. B.:
    • Actrapid
    • Berlinsulin H Normal
    • Huminsulin Normal
    • Insuman Rapid (Alawi 2019)

 

(Alawi 2019)

 

 

Hinweis(e)

Durch Einsatz einer Insulinpumpentherapie

  • reduziert sich der Insulinbedarf um 30 – 50 % (Herold 2021).
  • findet sich eine signifikante Reduktion der Hypoglykämien (Evidenz von > 0,4 % [Haak 2018])
  • lässt sich laut Metaanalyse eine Senkung des HbA1c- Wertes von 0,51 % erreichen (Lehnert 2010)
  • besteht laut Studien ein (geringes) Risiko einer relevanten Ketoazidose (Pala 2019), welches laut aktueller Studien bei 0,04 Ereignissen pro Patientenjahr liegt (Lehnert 2010)
  • eine Gewichtszunahme als Folge der Therapie findet sich nicht (Haak 2018)
  • die kardiovaskuläre Mortalität sinkt (Haak 2018)

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Alawi H et al. (2019) Insulinarten und Insulinwirkung. Ascensia DiabetesKolleg Advisory Board 2019
  2. Bundesärztekammer (2021) Nationale Versorgungsleitlinie Typ 2 Diabetes. AWMF- Register Nr.: nvl-001
  3. Haak T et al. (2018) S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Registernummer: 057-013 
  4. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 739 - 741
  5. Holder, M., Deiss, D., Lilienthal, E. et al. (2012) Insulinpumpentherapie und kontinuierliche Glukosemessung. Monatsschr Kinderheilkd 160, 593–604 https://doi.org/10.1007/s00112-012-2697-2
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 2412 
  7. Kolassa R (2014) Insulinpumpentherapie. Der Diabetologe (10) 472 - 476
  8. Lehnert H et al. (2010) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 363 - 364
  9. Pala L et al. (2019) Continuous subcutaneous insulin infusion vs modern multiple injection regimens in type 1 diabetes: an updated meta-analysis of randomized clinical trials. Meta- Analysis: Acta Diabetol. 56 (9) 973 – 980. doi: 10.1007/s00592-019-01326-5
  10. Rotbard D (2017) Continuous Glucose Monitoring: A Review of Recent Studies Demonstrating Improved Glycemic Outcomes. Diabetes Technology and Therapeutics Vol. 19 No. S3. doi.org/10.1089/dia.2017.0035 
  11. Thomas A (2010) Vom „Rucksack“ zur Insulinpumpentherapie: Geschichte der Insulinpumpentherapie. Diabetes und Technologie 8 - 9
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