Insulinanaloga

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022

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Erstbeschreiber

Synonyme

Kunstinsulin; moderne Insuline;

 

 

Erstbeschreiber

Da sich nach Einführung der Humaninsuline in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Erwartungen nicht voll erfüllten (zu später Wirkungseintritt, zu lange Wirkdauer etc.), wurden Ende der 90er Jahre modifizierte Insulinanaloga entwickelt(Hürter 2013).

Man differenziert zwischen schnell und langsam wirkenden Insulinanaloga. Schnell wirkende kamen 1996 auf den Markt und 2000 lang wirkende Analoga (Egidi 2019). 

Definition

Bei Insulinanaloga handelt es sich um synthetisch mit Hilfe von Bakterien (Escherichia coli) und Hefepilzen (Saccharomyces cerevisiae) hergestellte Insuline (Huismann 2005), die vor der Injektion keinerlei Durchmischung bedürfen (Herold 2018).

Sie wurden entwickelt, um durch verbesserte pharmakokinetische Eigenschaften das physiologische Insulinprofil besser imitieren zu können (Hartman 2008).

Einteilung

Bei den Insulinanaloga differenziert man zwischen:

  • Ultra kurz wirksamen:

Das Insulin Aspart konnte durch Zusatz von Niacinamid (Vitamin B3) so verändert werden, dass der Wirkungseintritt bereits nach 4,9 min einsetzt (Meißner 2021/ Haak 2018). Die Wirkdauer beträgt ca. 3,5 h (Herold 2018). 

  • Kurz wirksamen:

Bei diesen wie z. B. dem Insulin- Glulisin (Apidra) kommt es zum Wirkungseintritt nach ca. 20 – 25 min, die Wirkdauer beträgt 4 – 5 h (Haak 2018)

  • Lang wirksamen:

Der Wirkungseintritt liegt bei durchschnittlich 1 h und die Wirkdauer i. d. R. zwischen 20 – 28 h, beim Insulin Degludec sind es sogar 42 h (Herold 2018).

Allgemeine Information

Pharmakodynamik

Die DNA- Synthese erfolgt bei normalem Insulin ausschließlich über Aktivierung des Insulinrezeptors. Bei den Insulinanaloga hingegen spielt die Signalinduktion durch den IGF- I- Rezeptor eine wichtige Rolle (Eckhardt 2007).

Eine dadurch befürchtete mitogene Wirkung konnte bislang nicht bestätigt werden (Haak 2018)

  • Kurz wirksame Insulinanaloga:

Hierbei verhindert eine Variation der Aminosäuresequenz die subkutane Bildung der Hexamere. Dies bewirkt die raschere Resorption (Herold 2018). Kurz wirksame Insulinanaloga ahmen die physiologische Sekretion von Insulin in der ersten postprandialen Phase am besten nach (Jahn 2020 / Rodbard 2020).

  • Lang wirksame Insulinanaloga:

Durch Änderung der Insulinstruktur wird eine deutliche Verlängerung der Wirkdauer erreicht, die i. d. R. zwischen 20 – 28 h liegt (Herold 2018).

Beim besonders lang wirksamen Insulin Degludec setzt die Wirkung nach 0,5 – 1,5 h ein und hält sogar bis zu 42 h an (Meißner 2021).

 

 

Indikation

Insulinanaloga können bei allen Formen der Insulintherapie eines Diabetes Typ 1 oder Diabetes Typ 2 eingesetzt werden (Prinz 2012) wie z. B.:

 

 

Dosierung und Art der Anwendung

Art der Anwendung:

Verabreicht werden können Insulinanaloga durch Pen, Pumpe und Closed- Loop- Systeme (Jahn 2020). 

Insulinanaloga werden s. c. appliziert. Kurz wirksame Insulinanaloga wie z. B. Aspart, Glulisin, Lispro sind zusätzlich für die i. v. Applikation zugelassen, was jedoch klinisch keinen Vorteil erbringt (Danne 2016).

Kurzwirksame Insulinanaloga sollten in die Bauchdecke injiziert werden (raschere Resorption) und langwirksame in die Vorder- oder Außenseite des Oberschenkels. Bei Mischinsulinen empfiehlt sich die Applikation sich morgens in die Bauchdecke und abends in den Oberschenkel (Schubert 2009).

 

Dosierung

Der tägliche Insulinbedarf eines gesunden Menschen liegt bei 0,67 I. E. / kg / d = ca. 40 I. E. Davon entfallen ca. 40 % auf die basale Sekretion und ca. 60 % auf die postprandiale (Dellas 2018 / Seifert 2018). Näheres s. Insulin

Senkung der Blutglukose:

Um eine Senkung der Blutglukose um 30 – 40 mg / dl (1,6 – 2,2 mmol / l) zu erreichen, sind 1,0 I.E. Normalinsulin bzw. rasch wirksames Analoginsulin erforderlich (Haak 2018).

Anhebung der Blutglukose:

Um eine Anhebung der Blutglukose um 30 – 40 mg / dl (1,6 – 2,2 mmol / l) zu erzielen, sind 10 g Kohlenhydrate = 1 KE erforderlich (Haak 2018).

Die Größe der Mahlzeit wird in Kohlenhydrateinheiten = KE gemessen, die veraltete Bezeichnung lautet Broteinheit = BE [Dellas 2018]) (Herold 2021).

Eine höhere Dosis Insulin kann z. B. erforderlich sein bei:

  • Blutglukose > 270 mg / dl
  • Dehydratation
  • Infektionen
  • Fieber
  • Nachweis von Ketonkörpern (Haak 2018)

Eine niedrigere Dosis Insulin kann z. B. benötigt werden bei:

  • Insuffizienz der Nebennierenrinde
  • schwerer Niereninsuffizienz
  • Leberinsuffizienz
  • körperlicher Belastung (Haak 2018)

 

 

Vorteile

  • Kurz wirksame Insulinanaloga:
    • geringes Risiko nächtlicher Hypoglykämien (z. B. für Glargin P = 0,00003 bzw. Detemir P < 0,00001)
    • geringe mittlere Inzidenz schwerer Hypoglykämien (21,8 pro 100 Personenjahre; unter Normalinsulin 46,1 pro 100 Personenjahre [Hartman 2008])
    • selteneres Auftreten von postprandialen Hypoglykämien
    • meistens kann auf Zwischenmahlzeiten verzichtet werden
    • kein bzw. kurzer Spritz- Essabstand 
    • postprandiale Injektion möglich (Herold 2018)

 

  • Lang wirksame Insulinanaloga:
    • kein starkes Wirkmaximum
    • große zeitliche Flexibilität des Injektionszeitpunktes (insbesondere bei Insulin Glargin) (Meißner 2021)
    • durch das fehlende Wirkmaximum bedingt weniger Hypoglykämien (verglichen mit z. B. Protamin- Hagedorn- Insulin)
    • geringere Gewichtszunahme als bei Protamin- Hagedorn- Insulin [Tibaldi 2014])
    • Detemir zeigt als einziges Insulinanalogum eine gewichtserhaltende Wirkung (Hartman 2008)

 

 

Nachteile

  • Kurz wirksame Insulinanaloga:
    • Notwendigkeit einer exakten Dosierung der basalen Insulinversorgung
    • bei langsam resorbierbaren Kohlenhydraten kann die Wirkung zu kurz sein (Herold 2018)

 

 

Kontraindikation

Absolute Kontraindikationen:

 

 

Präparate

Zu den kurz wirksamen Insulinanaloga zählen z. B.:

  • Insulin Aspart (NovoRapid) Wirkungseintritt nach 20 – 25 min, Wirkdauer 4 – 5 h (Haak 2018)
  • Faster Aspart Wirkungseintritt nach 4,9 min (Meißner 2021/ Haak 2018), Wirkdauer ca. 3,5 h (Herold 2018)
  • Insulin- Glulisin (Apidra) Wirkungseintritt nach 20 – 25 min, Wirkdauer 4 – 5 h (Haak 2018)
  • Insulin- Lispro (Humalog) Wirkungseintritt nach 20 – 25 min, Wirkdauer 4 - 5 h (Haak 2018)

(Herold 2018)

 

Zu den lang wirksamen Insulinanaloga zählen:

  • Insulin Detemir (Levemir) Wirkungseintritt nach 1 h, Wirkdauer 19 -26 h (Haak 2018)
  • Insulin Glargin (Biosimilar Abasaglar , Lantus) Glargin U100: Wirkungseintritt nach 1 h, Wirkdauer 20 – 27 h; Glargin U300: Wirkungseintritt nach 1 – 6 h, Wirkdauer 30 - 32 h (Haak 2018) (Haak 2018)

(Herold 2018)

  • Insulin Degludec (Tresiba) Wirkungseintritt nach 1 – 2 h, Wirkdauer > 42 h (Haak 2018)

 

Zu den vorgemischten Insulinanaloga zählen:

  • 75 / 25 Humalog / Eli Lilly: 75 % neutrales Protamin- Lispro, 25 % Lispro
  • 50 / 50 Humalog / Eli Lilly: 50 % neutrales Protamin- Lispro, 50 % Lispro
  • 70 / 30 Novolog / Novo Nordisk: 70 % Protamin- Aspart, 30 % Aspart (Ferri 2021 / Hartman 2008)

Bei den vorgemischten Insulinanaloga: Wirkungseintritt nach 20 – 25 min, Wirkdauer 10 - 14 h (Haak 2018)

  • Kombinationsinsulin Degludec (70) / Aspart (30)

Beim Kombinationsinsulin: Wirkungseintritt nach 20 – 25 min, Wirkdauer > 30 h (Haak 2018)

 

 

Hinweis(e)

Insulinanaloga sind – im Gegensatz zu vergleichbarem Humaninsulin - durchschnittlich um 35 – 60 % teurer (Schwabe 2008).

In drei großen Studien wurden Insulinanaloga mit anderen Insulinpräparaten verglichen:

Der mittlere HbA1c-Wert in der Aspart/Detemir-Gruppe lag mit 7,88 % niedriger als in der NPH/Regular- Insulin-Gruppemit 8,11%.

Der mittlere HbA1c- Wert lag in der Glargin plus Lispro- Gruppe bei 7,5 %, in der NPH plus unmodifiziertem Humaninsulin- Gruppe bei 8,0 %.

In der Glargin- Lispro- Gruppe lag der mittlere HbA1c- Wert bei 8,7 % und in der NPH/Regelinsulin- Gruppe bei 9,1 %.

(Hartman 2008)

Mikrovaskuläre Komplikationen eines Diabetes wie z. B. Nephropathie, Neuropathie, Retinopathie konnten durch eine verbesserte HbA1c- Einstellung gesenkt werden.

Makrovaskuläre Komplikationen wie z. B. zerebrovaskuläre Erkrankungen, ischämische Herzerkrankung, periphere Gefäßerkrankungen, die insbesondere bei Typ 2 Diabetiker durch postprandiale Hyperglykämien auftreten, finden sich unter einer Behandlung mit Insulinanaloga Lispro und Glargin – verglichen mit NPH / Humaninsulin - ebenfalls seltener (15 % niedrigere postprandiale BZ- Werte)

(Hartman 2008)

 

DEGAM und AkdÄ

Die DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) und die AkdÄ(Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) sehen hinsichtlich langwirksamer Insulinanaloga keinen Vorteil gegenüber NPH- Insulin, da bislang langfristige Folgen der NPH- Insuline besser beurteilt werden könnten. Zudem entspräche der nächtliche Wirkungsverlauf der NPH- Insuline am ehesten der physiologischen Wirkung des Insulins. Die o. g. Gesellschaften sind der Meinung, dass die Gefahr von Hypoglykämien bei den NPH- Insulinen durch die strikten Zielwerte überschätzt werde und die Therapie mit NPH- Insulinen weder zu nächtlichen Hypoglykämien noch zu Gewichtszunahme führe. Sie berufen sich dabei auf eine Studie von Mertes (Successful Treatment with Bedtime Basal Insulin Added to Metformin without Weight Gain or Hypoglycaemia over Three Years) aus dem Jahre 2020, die 285 Typ 2 Diabetiker umfasste (Bundesärztekammer 2021).

 

DDG und DGIM

Die DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) und die DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) hingegen präferieren langwirksame Insulinanaloga gegenüber NPH- Insulinen wegen der geringen Rate an nächtlichen Hypoglykämien, der Möglichkeit einer flexiblen Wahl der Injektion hinsichtlich der Tageszeit, der nicht bestehenden Notwendigkeit eines Schwenkens vor der Injektion (im Gegensatz zu NPH- Insulinen, wo es durch unzureichendes Schwenken zu Mischfehlern kommen kann).

(Bundesärztekammer 2021)

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Alawi H et al. (2019) Insulinarten und Insulinwirkung. Ascensia DiabetesKolleg Advisory Board 2019
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  3. Danne T et al. (2016) Kompendium pädiatrische Diabetologie. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 111
  4. Dellas C (2018) Kurzlehrbuch Pharmakologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag München 155, 506 – 510, 512
  5. Eckhardt K et al. (2007) Die mitogene Wirkung von Insulinanaloga wird in humanen glatten Muskelzellen und Fibroblasten vom Expressionsniveau des IGF-I Rezeptors bestimmt. Diabetologie und Stoffwechsel (2) 129
  6. Egidi G (2019) Welchen Stellenwert haben Insulinanaloga In der Behandlung des Diabetes? ZFA (95) 360 – 365. DOI10.3238/zfa.2019.0360–0365
  7. Flake F et al. (2021) Notfallmedikamente. Elsevier Urban und Fischer Verlag 157 - 158
  8. Greten H et al. (2005) Innere Medizin. Georg Thieme Verlag Stuttgart 624
  9. Haak T et al. (2018) S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Registernummer: 057-013 
  10. Hartman I (2008) Insulin analogs: impact on treatment success, satisfaction, quality of life, and adherence. Clin Med Res. 6 (2) 54 - 67
  11. Herold G et al. (2018) Innere Medizin. Herold Verlag 740 – 741
  12. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 737, 739 - 741
  13. Hürter P et al. (2013) Diabetes bei Kindern und Jugendlichen: Klinik – Therapie – Rehabilitation. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 103
  14. Huismann H (2005) Lexikon der klinischen Diabetologie: Praxisorientierte interdisziplinäre Darstellung.Deutscher Ärzte- Verlag 116
  15. Jahn E (2020) Moderne Insulinanaloga. CME (17) 54 https://doi.org/10.1007/s11298-020-8134-2
  16. Meißner T (2021) Typ 1 Diabetes: Fortschritte mit Insulin- Analoga. CME Ausgabe 7 – 8. 12
  17. Mertes B et al. (2020) Successful Treatment with Bedtime Basal Insulin Added to Metformin without Weight Gain or Hypoglycaemia over Three Years. J Clin Med. 9 (4) 1153
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  20. Schubert I et al. (2009) Leitliniengruppe Hessen / PMV Forschungsgruppe: Hausärztliche Leitlinien. Deutscher Ärzteverlag Köln 152
  21. Schwabe U et al. (2008) Arzneiverordnungsreport 2008: Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare. Springer Verlag Heidelberg 324
  22. Seifert R (2018) Basiswissen Pharmakologie. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 247
  23. Tibaldi J M (2014) Evolution of insulin: from human to analog. Am J Med. (127) 25 - 38
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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022