Hyperosmolares Koma E14.01

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 22.03.2022

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Synonym(e)

Coma diabeticum; diabetisches Koma; hyperglykämisches hyperosmolares nicht- ketotisches Koma; hyperosmolares Dehydratationssyndrom; hyperosmolares hyperglykämisches nicht- ketotisches Syndrom; hyperosmolares nicht- ketotisches Koma; nicht- ketoazidotisches Koma; nicht- ketotisches hyperglykämisches Koma

Erstbeschreiber

Im Jahre 1880 beschrieben als Erste Won Frerichs und Dreschfeld das Krankheitsbild eines Diabetikers mit Hyperglykämie und Glukosurie, aber ohne die klassische Kussmaul- Atmung und ohne Nachweis von Aceton im Urin (Adeyinka 2021).

Definition

Das hyperosmolare Koma (HOK) ist ein klinischer Zustand, der durch eine Komplikation des Diabetes mellitus entsteht (Adeyinka 2021).

Es ist laut American Diabetic Association gekennzeichnet durch:

  • Hyperglykämie > 600 mg / dl (nicht selten mit BZ- Werten > 1.000 mg / dl [van Aken 2007])
  • Hyperosmolalität > 320 mOsm / l
  • Dehydratation

Eine signifikante Ketoazidose hingegen fehlt (Adeyinka 2021).

Einteilung

Das hyperosmolare Koma (HOK [van Aken 2007)] oder HHS = hyperglycemic hyperosmolar state [Kasper 2015]) zählt zusammen mit dem ketoazidotischen Koma (DKA = diabetic ketoacidosis [Kasper 2015]) zum Formenkreis des hyperglykämischen Komas (Herold 2020).

Vorkommen/Epidemiologie

Das HOK ist relativ selten und macht nur ca. 10 – 20 % aller hyperglykämischen Komata aus (Waldhäusl 2013).

Es betrifft in 90 – 95 % den Typ 2 Diabetiker und hierbei vorwiegend Diabetiker mit Adipositas (Adeyinka 2021).

Als Erstdiagnose eines Diabetes mellitus (DM) manifestiert sich das HOK in 30 – 40 % (Mehnert 2003), wobei von einem HOK als Erstdiagnose überwiegend Kinder und Jugendliche betroffen sind (Stoner 2017).

Bei ca. 30 % der Patienten mit hyperglykämischem Koma finden sich neben den Merkmalen des HOS zusätzlich auch Merkmale der diabetischen Ketoazidose (Mehnert 2003).

Ätiopathogenese

Ausgelöst werden kann ein HOK durch:

  • Infektionen der:
    • Atemwege
    • Magen- Darm- Trakt
    • Urogenitaltrakt

Infektionen stellen mit 50 – 60 % die häufigste Ursache eines HOK dar. Dieses entsteht dabei durch Wasserverlust, Freisetzung endogener Katecholamine etc.

  • Medikamente wie z. B.:
    • atypische Antipsychotika
    • Betablocker
    • Glukokortikoide
    • Thiaziddiuretika
  • kardiovaskulären Insult:

Hierbei kommt es durch die Stressreaktion zur Freisetzung gegenregulierender Hormone, die eine BZ- Erhöhung und dadurch bedingt eine osmotische Diurese und Dehydratation verursachen. (Adeyinka 2021)

Pathophysiologie

Beim HOK kommt es zu einer verminderten peripheren Glukoseutilisation: Der Insulinmangel bewirkt eine vermehrte Glukoseproduktion durch Glykogenolyse und Glukoneogenese in der Leber und beeinträchtigt die Verwertung von Glukose in der Skelettmuskulatur .

Durch die Hyperglykämie kommt es zu einer osmotischen Diurese, was intravasal zu einer Volumendepletion führt (Kasper 2015). 

Die hypertone Dehydratation führt zu neurologischen Symptomen, die Hypovolämie bewirkt eine Abnahme der glomerulären Filtration und verstärkt konsekutiv die Blutzuckerentgleisung (van Aken 2007).

Eine exzessive Ketoneogenese wird verhindert durch niedrige Spiegel von:

  • Cortisol
  • Glukagon
  • Katecholaminen
  • Wachstumshormonen (van Aken 2007)

Manifestation

Das HOK tritt überwiegend bei älteren Diabetikern auf (van Aken 2007).

Klinisches Bild

Typisch für das hyperosmolare Koma ist der schleichende Beginn (Herold 2020).

Nicht selten bestehen Wochen vor der Dekompensation bereits:

  • Antriebsschwäche
  • Pruritus
  • Sehstörungen
  • Wahrnehmungsstörungen

Im weiteren Verlauf kommt es dann zu den typischen Symptomen eines HOK:

  • extrem hoher BZ- Wert, i. d. R. > 600 mg / dl (Reitgruber 2021)
  • Tachykardie (durch Vasodilatation bedingt [Berndt 2015])
  • Hypotonie (Kasper 2015)
  • Zeichen der Dehydratation wie z. B.:
    • abhebbare, stehende Hautfalten
    • trockene Mundhöhle (die Dehydratation wird verursacht durch die osmotische Diurese [Berndt 2015])
    • Muskelkrämpfe (verursacht durch Flüssigkeits- und Elektrolytverlust [Berndt 2015])
    • Blutdruckabfall (ebenfalls durch Flüssigkeits- und Elektrolytverlust verursacht [Berndt 2015])
    • Polyurie (primär; durch eine osmotische Diurese bedingt [Berndt 2015])
    • Oligo- Anurie (sekundär)

(Haak 2018)

  • neurologische Symptome auf Grund der Dehydratation und einer eventuell bestehenden Hypernatriämie (Sohal 2020) wie z. B.:
    • Hemianopsie
    • Paresen
    • Krämpfe

(van Aken 2007)

Zusätzlich zu den o. g. Symptomen können auch noch Symptome der auslösenden Erkrankung wie z. B. Apoplex, Myokardinfarkt, PneumonieSepsis etc. bestehen (Kasper 2015).

Diagnostik

Hinsichtlich der Diagnostik sind eine ausführliche Anamnese, ggf. Fremdanamnese, eine eingehende körperliche Untersuchung und Laborbefunde (s. u.) ausschlaggebend (Adeyinka 2021).

Labor

Neben dem internistischen Aufnahmelabor sollten bestimmt werden:

  • Glukose (stündlich)
  • HbA1C (bei bislang unbekanntem DM)
  • Serumosmolalität
  • Natrium:

Es kann eine Pseudohyponatriämie bestehen, da der durch die Hyperglykämie erzeugte osmotische Gradient Wasser aus dem Intra- in den Extrazellularraum zieht. Der Natriumspiegel wird deshalb mit Hilfe folgender Formel bestimmt:

Korrigiertes Natrium = gemessenes Natrium + (((Serumglukose – 100) / 100) x 1,6 [Adeyinka 2021]).

  • Kalium:

Der Kaliumspiegel kann erhöht, aber auch erniedrigt sein, da durch den niedrigen Insulinspiegel eine extrazelluläre Verschiebung von Kalium erfolgt (Adeyinka 2021).

  • Bikarbonat:

Der Bikarbonatspiegel ist meistens im Normbereich (8- 12 mmol / l), da nur minimal Ketonkörper gebildet werden (Adeyinka 2021).

  • Magnesium:

Bisweilen findet sich ein erniedrigter Magnesiumspiegel (Adeyinka 2021).

  • Phosphat:

Der Phosphatspiegel ist häufig erhöht (insbesondere bei Rhabdomyolyse [Adeyinka 2021])

  • Kreatinin:

Die Kreatininwerte und auch die BUN- Werte (Harnstoff / Stickstoff) sind meistens erhöht, was auf eine prärenale Azotämie hinweist (Adeyinka 2021).

Glukosurie und Ketonurie sind in den meisten Fällen vorhanden (die mäßige Ketonurie deutet am ehesten auf einen Hungerzustand hin [Kasper 2015]).Das spezifische Gewicht ist oftmals erhöht (Adeyinka 2021).

Beim HOK kann u. U. als Folge der erhöhten Milchsäure eine metabolische Azidose mit geringer Anionenlücke bestehen (Kasper 2015).

Differentialdiagnose

  • Zustände, die ebenfalls einen veränderten mentalen Status aufweisen:
    • Hypoglykämie
    • Hyperammonämie
    • Hypernatriämie
    • Hyponatriämie
    • Intoxikationen mit Alkohol oder Drogen
    • urämische Enzephalopathie
  • Zustände, die eine Hyperglykämie bewirken können:

(Adeyinka 2021)

Komplikation(en)

  • Hirnödem (bei zu raschem Absinken der Serumosmolalität)
  • Rhabdomyolyse (Adeyinka 2021)
  • Schock
  • Sepsis
  • thromboembolische Ereignisse (Mehnert 2003)

Therapie allgemein

Die Behandlung des HOK erfolgt in den meisten Fällen auf der Intensivstation.

Zur intensivmedizinischen Therapie können notwendig werden:

  • Blasenkatheter für die Bilanzierung
  • zentralvenöser Katheter zur ZVD- Messung (Herold 2020)

Überwacht werden sollten:

  • halbstündlich:
    • Blutdruck 
    • Herzfrequenz (Haak 2018)
  • stündlich:
    • Blutzucker
  • alle 2 h:
    • Base- excess
    • Bicarbonat
    • Natrium
    • Kalium 
    • Glasgow Coma Skala
    • Blutgasanalyse mit pH- Wert (Herold 2020 / Haak 2018)

 

Prophylaxe erforderlich hinsichtlich:

  • Thromboembolie
  • Dekubitus
  • Pneumonie (Herold 2020)

Interne Therapie

Bei der Behandlung des HOK wird – soweit die Ketonämie < 18 mg / dl (1 mmol / l) liegt - zunächst kein Insulin gegeben wird. Allein durch den Volumenersatz mit 0,9 %er Kochsalzlösung kommt es zu einer Senkung des Blutglukosespiegels (Haak 2018). Näheres zur Insulintherapie s. u. „Blutzucker“.

  • Kalium:

Eine Hypokaliämie muss vor einer eventuell notwendigen Insulinbehandlung ausgeglichen werden, da durch Insulin das Kalium nach intrazellulär verschoben wird und dadurch die Gefahr eines hypoglykämischen Kammerflimmerns besteht (Herold 2020).

  • Substitution von Kalium bei einem pH von > 7,1:
    • bei Kalium > 4 - 5 mmol /l Substitution von 10 – 15 mmol / l
    • bei Kalium 3 – 4 mmol / l Substitution von 15 – 20 mmol / l
    • bei Kalium < 3 mmol / l Substitution von 20 – 25 mmol / l (Herold 2020)

Pro 1.000 ml NaCl 0,9 % sollten jeweils maximal 40 mmol Kaliumchlorid infundiert werden (Haak 2018). Kontraindikation für die Kaliumgabe ist die Anurie (Herold 2020).

Kommt es unter der Insulintherapie zu einer Hypokaliämie von < 3 mmol / l, sollte eine etwaige Insulinzufuhr unterbrochen werden (Herold 2020).

Der Zielwert des Serumkaliums sollte bei > 3,5 mmol / l liegen (Kasper 2015).

  • Phosphat:

Allein durch Flüssigkeitsgabe und Insulin kann der erhöhte Phosphatwert meistens gesenkt werden, da Phosphat dabei einerseits in die Zellen zurückgeführt wird, andererseits durch die Nieren ausgeschieden werden kann (Adeyinka 2021).

  • Natrium:

Bei Vorliegen einer Hypernatriämie sind eine halbisotonische Kochsalzlösung oder eine hypoosmolare Vollelektrolytlösung indiziert (Herold 2020). Allerdings sollte die Natrium- Konzentration nicht schneller als 180 mg/dl (10 mmol/l) in 24 h fallen (Haak 2018).

  • Kreatinin und BUN:

Beide Werte normalisieren sich i. d. R. unter der Flüssigkeitsgabe (Adeyinka 2021).

  • Blutzucker:

Der Blutzucker sollte pro Stunde nicht mehr als 90 mg / dl (5 mmol / l) fallen.

Falls der BZ durch die alleinige i. v. Gabe der Flüssigkeit nicht mehr weiter abfällt oder eine Ketonämie von > 18 mg / dl (1 mmol / l) besteht, sollte mit einer Insulininfusion von 0,05 IE / kg / h begonnen werden (Haak 2018). 

Kasper (2015) empfiehlt zuvor einen Insulinbolus mit 0,1 IE / kg KG.

Das ZNS benötigt einige Zeit, um die durch das Koma ausgelösten Wasserverschiebungen zu normalisieren. Von daher kann es sein, dass der Patient trotz Normalisierung von Blutzucker, Elektrolyte, pH und Volumenausgleich weiterhin bewusstseinsgestört bleibt. Diese Störung verschwindet i. d. R. erst verzögert (Herold 2020).

Der Kostaufbau sollte mit einer leichten Ernährung beginnen. Vor jeder Mahlzeit ist eine kleine Menge Normalinsulin s. c. zu injizieren.. Anschließend ist eine Neueinstellung des DM erforderlich (Herold 2020).

Verlauf/Prognose

Das HOK ist ein potentiell lebensbedrohlicher Zustand. Die Mortalität liegt bei ca. 20 % und damit deutlich höher als die der diabetischen Ketoazidose (Adeyinka 2021).

Ursachen der Frühmortalität, die auf ca. 15 % geschätzt wird, sind Schock, Sepsis oder die zugrunde liegende Erkrankung. Bei der Spätmortalität (≥ 72 h) finden sich als Ursache häufig thromboembolische Ereignisse oder Folgen der Behandlung. Beim HOK versterben mehr Patienten an der das HOK auslösenden Erkrankung als an dem HOK selbst (Mertens 2021).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Adeyinka A et al. (2021) Hyperosmolar Hyperglycemic Nonketotic Coma. StatPearls. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing LLC. Bookshelf ID: NBK482142PMID: 29489232
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  5. Haak T et al. (2018) S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. AWMF-Registernummer: 057-013 
  6. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 744 - 747
  7. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 2417 – 2418, 2420 
  8. Mehnert H et al. (2003) Diabetologie in Klinik und Praxis Thieme Verlag 376 - 389
  9. Menche N (2020) Innere Medizin: Weiße Reihe. Elsevier Urban und Fischer Verlag 179 - 180
  10. Mertens M et al. (2021) Akute diabetische Stoffwechselentgleisungen. Dtsch Med Wochenschr 146 (04) 266 - 278
  11. Reitgruber D., Auer J. (2021) Schwere Blutzuckerentgleisungen. In: Internistische Intensivmedizin für Einsteiger. Springer, Berlin, Heidelberg. 761 – 768 
  12. Sohal R J et al. (2020) Salty, Sweet and Difficult to Treat: A Case of Profound Hypernatremia in the Setting of Hyperosmotic Hyperglycemic State. Cureus 12 (3) 7278  doi: 10.7759/cureus.7278
  13. Stoner G D (2017) Hyperosmolar Hyperglycemic State. Am Fam Physician 96 (11) 729 – 736
  14. Waldhäusl W K et al. (2013) Diabetes in der Praxis. Springer Verlag 246 – 247

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