Herzklappenfehler I38

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 02.05.2019

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Synonym(e)

Erworbene Herzvitien

Definition

Unter einem erworbenen Herzklappenfehler versteht man die im Laufe des Lebens auftretenden Veränderungen einer oder mehrerer Herzklappen (Anschütz 1974). Diese können als Zufallsbefund in Erscheinung treten, aber auch schwere hämodynamische Veränderungen bewirken.

Einteilung

Bei den Herzklappenfehlern differenzieren wir zwischen einer Stenose und einer Insuffizienz.

  • Stenose: Bei dieser kommt es zu einer Verwachsung der Herzklappen. Die dadurch bedingte Einschränkung der Beweglichkeit führt zu einer Reduktion der Klappenöffnungsfläche und damit verbunden zu einer Behinderung des nach vorwärts gerichteten Blutflusses (Herold 2018 / Anschütz 1974).
  • Insuffizienz: Bei der Insuffizienz kommt es zu einer narbigen Schrumpfung der Klappen. Dieses führt letztlich zu einer Schlussunfähigkeit der Klappen. Die Insuffizienz kann sowohl im akuten Stadium der Erkrankung als auch im chronischen Verlauf auftreten (Herold 2018).

Sowohl die Stenose als auch die Insuffizienz können sich separat oder kombiniert entwickeln (sog. kombiniertes Herzvitium [Herold 2018 / Anschütz 1974)].

Es können eine, mehrere oder alle Herzklappen bei ein und demselben Patienten betroffen sein (Herold 2018).

 

Vorkommen/Epidemiologie

In der Mehrzahl der Fälle erworbener Vitien sind die Klappen des linken Herzens betroffen, da diese einer stärkeren mechanischen Belastung ausgesetzt sind (der absolute Druck und auch der Druckgradient links überschreiten den Druck rechts [Herold 2018]).

Erworbene Klappenfehler des rechten Herzens sind eher selten. Sie können z. B. durch Schrittmachersonden bzw. ICD- Sonden nach Passage der Trikuspidalklappe auftreten oder im Rahmen einer bakteriellen Endokarditis (z. B. bei i. v. Drogenabhängigen). Es handelt sich bei den erworbenen Vitien des rechten Herzens überwiegend um funktionelle Insuffizienzen (Herold 2018).

Das häufigste Klappenvitium in Europa und auch in Nordamerika ist die Aortenstenose. Sie tritt bei ca. 4 % der über 75- jährigen auf (Pinger 2019).

Die isolierten hämodynamisch wirksamen Trikuspidalklappenfehler machen nur ca. 4 % - 5 % der erworbenen Herzklappenfehler aus und sind damit ausgesprochen selten (Hanrath 2006).

Das rheumatische Fieber spielt in Entwicklungsländern eine große Rolle bei der Entstehung erworbener Herzvitien. Aber auch hier gibt es länderspezifisch große Unterschiede. Die Prävalenz schulpflichtiger Kinder liegt zwischen 1,0 auf 100.000 (in Costa Rica) und 150 auf 100.000 (in China). Weltweit finden sich ca. 15 – 20 Millionen Menschen mit einer rheumatisch bedingten Herzerkrankung. Die jährliche Neuerkrankungsrate liegt bei 300.000 und die Mortalitätsrate bei ca. 233.000 Patienten. Die höchste Mortalitätsrate findet sich in Südostasien mit 7,6 von 100.000 Erkrankten (Kasper 2015).

Rheumatisch bedingte Herzvitien (i. d. R. der Mitral- oder Aortenklappe) sind Dank der Antibiotikatherapie und - prophylaxe in den Industrieländern deutlich seltener geworden. Dafür findet sich - durch die höhere Lebenserwartung bedingt - eine Zunahme degenerativer Klappenerkrankungen (Erdmann 2006).

Es findet sich in den letzten Jahren eine Zunahme der Prävalenz sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Bei ca. 12 % - 13 % der über 75-jährigen finden sich relevante Veränderungen der Herzklappen des linken Herzens (Kasper 2015).

Ätiopathogenese

Die Mehrzahl der erworbenen Klappenvitien machen valvuläre Herzfehler aus, bei denen primär der Klappenapparat verändert ist (Erdmann 2006). Sie zeigen vielfältige Ursachen:

  • infektiöse
  • ischämische
  • immunologische
  • degenerative
  • traumatische

Zu den seltenen Ursachen zählen folgende Auslöser:

  • Tumoren (Karzinoidsyndrom)
  • Speichererkrankungen
  • Kollagenerkrankungen (z. B. Sklerodermie, systemischer Lupus etc.)
  • rheumatoiden Arthritis
  • ankylosierende Spondylitis
  • hereditäre Bindegewebserkrankungen (das Marfan- Syndrom führt am häufigsten zu Klappenläsionen)
  • u. a. (Erdmann 2006)

Stenosen entstehen in erster Linie durch:

  • degenerative Veränderungen (in den Industrieländern ist inzwischen die Kalzifikation bei älteren Menschen die häufigste Ursache einer Stenose)
  • entzündliche Prozesse (wie z. B. rheumatisches Fieber) und dadurch bedingte narbige Adhäsionen und Schrumpfungen (Herold 2018)

Die Insuffizienz kann ebenfalls entstehen durch degenerative oder entzündliche Prozesse ausgelöst werden. Hierbei spielen eine besondere Rolle::

  • koronare Herzerkrankung
  • Kardiomyopathien (sowohl bei primären als auch sekundären)
  • angeborene Anomalien (Herold 2018)

Die funktionelle Pulmonalinsuffizienz kann z. B. im Rahmen einer schweren pulmonalen Hypertonie durch eine Überdehnung des Klappenansatzringes entstehen.

Die funktionelle Trikuspidalinsuffizienz wiederum kann z. B. im Rahmen einer schweren Rechtsherzinsuffizienz mit rechtsventrikulärer Überdehnung zu einer Überdehnung des Klappenansatzringes führen (Herold 2018)

Klinisches Bild

Die klinische Symptomatik der Vitien ist abhängig von der Art der kardialen Belastung und wird unter dem jeweiligen Klappenvitium besprochen. S. u.:

 

Diagnose

Auskultation: Bei der Auskultation treten die für den jeweiligen Klappenfehler typischen Geräusche auf. Da diese abhängig von der Art des Klappenfehlers sind, werden sie beim jeweiligen Krankheitsbild besprochen.

Echokardiographie: Bei Stenosen kann echokardiographisch ein sog. Druck- Gradient bestimmt werden. Für die Aorten- und Pulmonalklappe gilt:

  • - der Druckgradient ist abhängig sowohl von der Pumpfunktion des Ventrikels, als auch von der Klappenöffnungsfläche.
  • Die Einteilung des Schweregrades der Stenose in gering, mittel oder hochgradig erfolgt abhängig von der Klappenöffnungsfläche und den Gradienten über der Klappe (Herold 2018).

Farbduplex: Bei einer Klappeninsuffizienz lässt sich im Farbduplex der Reflux sowohl direkt darstellen als auch quantifizieren (Herold 2018)

Lävokardiographie: Auch in der Lävokardiographie kann das Ausmaß einer Insuffizienz bestimmt und einem der 3 Schweregrade (gering / mittel- / hochgradig) zugeordnet werden (Herold 2018).

Koronarangiographie: Die Durchführung einer Koronarangiographie ist dann angezeigt, wenn zusätzlich der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung besteht. Diese tritt nicht selten gemeinsam mit einem Vitium auf (z. B. bei ca. 35 % der Patienten mit Aortenstenose [Bonzel 2009)].

Der Gradient bei Stenosen kann – neben der Echokardiographie - auch mit Hilfe der Koronarangiographie berechnet werden (Herold 2018).

 

Therapie

Die Behandlung der Klappenvitien kann sowohl internistisch als auch operativ erfolgen (Herold 2018). Vor einer Therapieentscheidung ist immer eine ausführliche Diagnostik erforderlich zur Klärung der:

  • Ätiologie
  • akute oder chronische Entwicklung des Vitiums
  • Schweregrad der Klappenveränderung
  • Schweregrad der Ventrikelerweiterung und -funktionsstörung
  • Vorhandensein von Rhythmusstörungen
  • Vorhandensein von pulmonaler Hypertonie (Herold 2018)

Interne Therapie

Die Möglichkeiten einer internistischen Behandlung bestehen aus:

- Behandlung einer etwaig bestehenden Herzinsuffizienz (s. d.)

- Endokarditisprophylaxe s. u. (s.Endokarditisprophylaxe)

- Thromboembolieprophylaxe nach Implantation einer mechanischen Klappe (Herold 2018)

 

Operative Therapie

Operativer Ersatz der defekten Herzklappe (s. a. Klappenersatz).

Praeoperativ sollte individuell entschieden werden, ob zuvor eine Koronarangiographie zum Ausschluss einer KHK erforderlich ist, da diese dann im Rahmen der anstehenden Operation mitversorgt werden könnte (Herold 2018).

Verlauf/Prognose

Generell kann man sagen, dass die Volumenbelastung bei einer Klappeninsuffizienz die günstigere Prognose hat. Die durch eine Stenose der Klappen auftretende Druckbelastung ist für das Herz weitaus belastender und hat somit eine ungünstigere Prognose (Herold 2018).

Patienten mit Klappenrekonstruktion oder prothetischer Herzklappe haben ein deutlich erhöhtes Risiko einer Endokarditis. Die postprozedurale Bakteriämiefrequenz nach Zahnextraktionen bei Gingivitis liegt z. B. bei bis zu 90 %. Von daher ist praeoperativ bei bestimmten Eingriffen eine Endokarditisprophylaxe erforderlich. Die Standardtherapie wird als Einzeldosis ca. 30- 60 min. vor dem Eingriff verabreicht, z. B. Amoxicillin oder Ampicillin 2 g oral oder i. v. bzw. bei Penicillinallergie Clindamycin 600 mg ebenfalls oral oder i. v. (Pinger 2019).

Näheres s. Endokarditisprophylaxe

Literatur
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  1. Anschütz F et al (1974) Taschenbücher Allgemeinmedizin: Kardiologie Hypertonie Springer Verlag 79- 93
  2. Bonzel T et al (2009) Leitfaden Herzkatheter. Steinkopff Verlag 54- 57
  3. Erdmann E et al. (2006) Klinische Kardiologie: Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße. Springer Verlag 703- 741
  4. Herold G et al. (2018) Innere Medizin. Herold Verlag 164- 165
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1528- 1552
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 1863- 1891
  7. Krakau I et al. (2005) Das Herzkatheterbuch: Diagnostische und interventionelle Kathetertechniken. Georg Thieme Verlag 145, 215
  8. Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. 275- 361

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