HELLP-Syndrom O14.2

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 15.12.2023

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Synonym(e)

Schwangerschaftsassoziierte Lebererkrankung; Trias aus Hämolyse, Thrombozytopenie und erhöhten Leberenzymen

Erstbeschreiber

Eine Leberruptur bei Schwangeren wurde zum 1. Mal bereits im Jahre 1844 beschrieben. Bei ca. 75 % der Betroffenen bestand zuvor eine Schwangerschaftsgestose (Rath 2005).

Ausführliche Aufzeichnungen des Trias aus Hämolyse, Thrombozytopenie und erhöhten Leberenzymen bei Schwangeren und deren Benennung als „HELLP- Syndrom“ finden sich erstmals 1982 von Louis Weinstein (Weinstein 1982 / Lastra 2020).

Definition

Unter einem HELLP- Syndrom (Hemolysis, Elevated Liver Enzymes, Low Platelets) versteht man eine während der Schwangerschaft auftretende Kombination aus erhöhten Leberenzymen, Thrombozytopenie und Hämolyse. Diese Erkrankung stellt eine schwerwiegende Variante im Krankheitsspektrum der Präeklampsie dar, keine selbständige Erkrankung (Herold 2023).

In ca. 20 % gehen dem HELLP- Syndrom jedoch keine Präeklampsie (Kasper 2015) und auch keine arterielle Hypertonie voraus. Von daher beschreiben manche Autoren das HELLP- Syndrom als eine eigene Entität (Stepan 2022).

Das HELLP- Syndrom stellt die Hauptursache für Morbidität und Mortalität der Präeklampsie dar (Kasper 2015).

Vorkommen/Epidemiologie

Das HELLP- Syndrom tritt bei ca. einer von 150 – 300 Geburten auf (Rath 2005). Die Inzidenz liegt laut Leitlinie bei 0,1 – 0,2 % aller schwangeren Frauen und bei 10 – 20 % der Frauen mit bereits bestehender Präeklampsie (Scharl 2019).

Ätiopathogenese

Die genaue Ätiologie des HELLP- Syndroms ist unklar. Man vermutete genetische Mutationen sowohl mütterlicherseits als auch fetalseits sowie entzündliche Zytokine aus der Plazenta als Ursache (Pedca 2022)

 

Risikofaktoren sind:

- Familienanamnese

- Bekanntes Anti- Phospholipid- Syndrom

- Abnorme Plazentation

- Erhöhte Werte der fötalen mRNA für FLT 1 und Endoglin (Kasper 2015)

- Vorausgegangenes HELLP- Syndrom bei einer früheren Schwangerschaft (Pedca 2022)

- Vitamin B12- Defizit wird als Risikofaktor diskutiert (Briese 2015)

Pathophysiologie

Bei der Pathogenese scheint die entzündliche Reaktion in der Plazenta- Leber- Achse eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Plazentafaktoren sowie vasoaktive Substanzen induzieren einen Entzündungszustand und führen so zu Endothelschäden. Diese wiederum bewirken ein sinusoidales Obstruktionssyndrom (SOS).

Die Endothelschädigung der Leber ist wahrscheinlich für die Verstopfung des Disse- Raums durch Erythrozyten verantwortlich. Dies wiederum führt zu einer vermehrten Bildung von Mikrothromben, zur Ischämie der Hepatozyten und letztlich zum Leberversagen (Pedca 2022)

Manifestation

Das HELLP- Syndrom manifestiert sich typischerweise bei ca. 75 % der Schwangeren präpartal im letzten Trimenon (Rath 2005).

Lediglich in 20 – 30 % der Fälle kommt es zu einem Auftreten der Erkrankung vor der 28. Schwangerschaftswoche (Pedca 2022).

Bei Schwangeren mit einer schwangerschafts- hypertensiven Erkrankung besteht bei 7 – 30 % die Gefahr des Auftretens eines postpartalen HELLP- Syndroms in den ersten 7 Tagen nach der Entbindung (Scharl 2019).

Klinisches Bild

Bereits vor dem Auftreten der typischen Laborveränderungen klagen bis zu 90 % (Pedca 2022) der Patienten oftmals über epigastrische bzw. retrosternal auftretende Schmerzen (Scharl 2019).

 

Es finden sich außerdem häufig folgende Symptome:

- Arterielle Hypertonie in ca. 90 % der Fälle (Herold 2023)

- Arterielle Hypertonie plus Proteinurie bei 85 %

- Ödeme (Lastra 2020)

- Ikterus (eher selten)

- Typische Laborveränderungen s. u. (Herold 2023)

- Visusstörungen bei ca. 10 – 20 % (Scharl 2019)

- Zirkulationsstörungen

- Verbrauchskoagulopathie

- Beeinträchtigungen zahlreicher Organe wie z. B. insbesondere:

- Nieren mit zunehmender Niereninsuffizienz

- Leber mit leichtem Ikterus, Druckschmerz im Oberbauch, Übelkeit, Erbrechen

- Gehirn mit z. B. Hirnblutung, Hirnödem etc. (Kasper 2015 / Rath 2005)

Diagnostik

Die Diagnostik erfolgt laborchemisch (s. d.) durch den Nachweis der typischen Trias von Hämolyse, Thrombozytopenie und erhöhten Leberenzymen (Scharl 2019).

 

Häufig werden zur Klassifikation des HELLP- Syndroms folgende zwei diagnostische Klassifikationen verwendet:

1. Tennessee- Klassifikation

Diese 16,5- jährige Studie umfasste 777 Patienten mit HELLP- Syndrom (Martin 1999). Diese Klassifikation wird am häufigsten verwendet (Lastra 2020).

Sie umfasst folgende Nachweise:

- 1. a. Mikroangiopathische hämolytische Anämie mit abnormen Blutausstrich und niedrigem Serum- Haptoglobin

- 1. b. Erhöhte LDH- Spiegel von > 600 IU / l und erhöhte ASAT- Spiegel von > 70 IU / l oder Bilirubin auf > 1,2 mg / dl erhöht

- 1. c. Thrombozytenzahl < 100 x 109 L-1 (Pedca 2022)

 

2. Mississippi- Klassifikation

Hierbei findet sich eine Einteilung in 3 Klassen:

- Klasse I:

       - LDH > 600 Ui / L

       - AST / ALT ≥ 70 UI / L

       - Thrombozyten ≤ 50 x 10 9 / L

- Klasse II:

       - LDH > 600 Ui / L

       - AST / ALT ≥ 70 UI / L

       - Thrombozyten ≤ 50 x 10 9 / L

 - Klasse III:

       -LDH > 600 Ui / L

       - AST / ALT ≥ 40 UI / L

       - Thrombozyten > 100 x 10 9 / L

Bei dieser Klassifikation wird somit anhand des Tiefpunktes der Thrombozytenkonzentration die Schwere der Erkrankung unterstrichen (Pedca 2022).

 

Außerdem sind neben anamnestischen Angaben und einer körperlichen Untersuchung eine sonographische Fetometrie, Dopplersonographie sowohl fetaler als auch mütterlicher Gefäße sowie eine Kardiotokographie angezeigt (Rath 2005)

Labor

Bei einem HELLP- Syndrom finden sich typischwerweise folgende Laborveränderungen:

- (H = Hemolysis): Deutliche Hämolyse mit Abfall des Haptoglobin (Haptoglobin stellt den sensitivsten Parameter einer Hämolyse dar)

- (EL = Elevated liver enzymes): Anstieg der Transaminasen GOT / GPT

- (LP = Low Platelets): Deutliche Thrombozytopenie mit Thrombozytenzahlen < 100 G / l (Scharl 2019)

 

Weiterhin können bestehen:

- Proteinurie, diese findet sich bei ca. 86 – 100 % (Scharl 2019)

- Zeichen einer Niereninsuffizienz

- Ikterus mit Anstieg des Bilirubins (Herold 2023) bei ca. 5 % (Scharl 2019)

- Störung der Gerinnungswerte, insbesondere: Fibrinogen, INR = Quick- Wert, Thrombinzeit, Antithrombin III, D- Dimere Thrombin- Antithrombin- Komplex (Rath 2005)

- LDH (der LDH- Wert korreliert mit dem Schweregrad der Erkrankung)

- Fragmentozyten im peripheren Blutausstrich finden sich bei ca. 54 – 86 %

- Anstieg der Transaminasen GOT / GPT bzw. ALT und AST (Lastra 2020)

- C- reaktives Protein: Dieses ist beim HELLP- Syndrom bei ca. 62 % nachweisbar (Scharl 2019)

Differentialdiagnose

- HUS = Hämolytisch- urämisches Syndrom

- TTP = Thrombotisch- thrombozytopenische Purpura (Herold 2023), auch als Moschcowitz- Syndrom bezeichnet

- aHUS = atypische hämolytisch- urämische Syndrom (Scharl 2019)

- Cholezystitis

- Pyelonephritis

- Hepatitis

- Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP)

- Morbus Wilson u. v. a. (Briese 2015)

Komplikation(en)

- Nierenversagen bei ca. 50 % der Betroffenen (Kasper 2015)

- Hämorrhagische Nekrosen der Leber

- Leberruptur (Rath 2005)

- DIG = Disseminierte intravasale Gerinnung (Scharl 2019)

- Plazentaablösung

- Tod des Fötus

- Dauerhafter Sehverlust durch eine hämorrhagische und vaso- okklusive Vaskulopathie (Kasper 2015)

- Neurologische Komplikationen wie z. B.

       - Apoplex

       - Hirnblutung

       - Hirnödeme (Kasper 2015)

Therapie allgemein

Bei laborchemischem oder klinischem V. a. ein HELLP- Syndrom sollte eine sofortige Klinikeinweisung umgehend erfolgen (Scharl 2019).

Die einzige kausale Therapie bei Auftreten eines HELLP- Syndroms besteht in einer sofortigen Beendigung der Schwangerschaft (Herold 2023) i. d. R. durch eine primäre Sectio als Therapie der 1. Wahl (Briese 2015).

 

Kortikoide

Von einer Kortikoidgabe raten mehrere Autoren ab. Zwar kann sich darunter vereinzelt die Thrombozytenzahl verbessern, ansonsten finden sich jedoch keinerlei positive Effekte hinsichtlich der Erkrankung (Kasper 2015).

 

Fetale Lungenreife

Bei vorzeitiger Entbindung sollten zur Induktion der fetalen Lungenreife 2 x 12 mg Betamethason im Abstand von 24 h oder 2 x 6 mg Dexamethason im Abstand von 12 h verabreicht werden (Briese 2015).

 

Antihypertensive Therapie

Der Blutdruck der Schwangeren sollte medikamentös bei < 155 / 105 mmHg gehalten werden. Als Medikamente kommen z. B. in Frage:

- Urapidil: 6,25 – 12,5 mg über 2 min i. v.; Erhaltungsdosis 6 – 24 mg / h

- Dihydralazin: 5 – 10 mg alle 20 min i. v.; Erhaltungsdosis 2 – 20 mg / h

- Nifedipin: 10 mg p. o. 10 – 20 mg alle 4 – 6 h (Briese 2015)

Verlauf/Prognose

Das Risiko der mütterlichen Morbidität und Mortalität durch eine Präeklampsie steigt durch Auftreten eines HELLP- Syndroms um das 10- fache (Stepan 2022).

An einem HELLP- Syndrom versterben perinatal (Briese 2015) ca. 7,4 – 34 % der Betroffenen. Nach der Entbindung verschwindet das HELLP- Syndrom spontan (Kasper 2015). Die Leberfunktion bessert sich innerhalb der ersten 6 Wochen nach der Entbindung (Pedca 2022).

Neugeborene sind insbesondere durch eine Leukopenie und eine Thrombozytopenie gefährdet (Briese 2015).

Hinweis(e)

Das Risiko eines erneuten HELLP- Syndroms liegt bei einer weiteren Schwangerschaft in Deutschland bei 12,8 % (Scharl 2019).

Außerdem ist bei einer erneuten Schwangerschaft das Risiko für das Auftreten weiterer hypertensiver Erkrankungen während der Schwangerschaft erhöht (Scharl 2019).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Briese V, Bolz M, Reimer T (2015) Krankheiten in der Schwangerschaft: Handbuch der Diagnosen von A – Z. Walter de Gruyter Verlag Berlin / München / Boston 153 - 155
  2. Herold G et al. (2023) Innere Medizin. Herold Verlag 300, 522
  3. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 46, 186
  4. Lastra M A, Fernandez M (2020) Síndrome HELLP: controversias y pronósticoHELLP syndrome: controversies and prognosis. Hipertension y Riesgo Vascular 37 (4) 147 - 151
  5. Martin J N, Rinehart B K, May W L, Magann E F, Terrone D A, Blake P G (1999) The spectrum of severe preeclampsia: Comparative analysis by HELLP (hemolysis, elevated liver enzyme levels, and low platelet count) syndrome classification.AJOG 180 (6) 1373 - 1384
  6. Pedca A, Miron B C, Pacu I, Dumitrascu M C, Mehedintu C, Sandru F, Petca R C, Rotar I C (2022) HELLP Syndrome-Holistic Insight into Pathophysiology. Medicina (Kaunas) 58 (2) 326
  7. Rath W, Friese K (2005) Erkrankungen in der Schwangerschaft. Georg Thieme Verlag Stuttgart 129 - 130
  8. Scharl A, Ehm D, Kohlberger P (2019) Leitlinienprogramm Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Diagnostik und Therapie. AWMF- Registriernummer 015/ 018. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) und Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG)
  9. Stepan H, Verlohren S (2022) Präeklampsie. Walter de Gruyter Verlag Berlin / München / Boston 14 – 15
  10. Weinstein L (1982) Syndrome of hemolysis, elevated liver enzymes, and low platelet count: A severe consequence of hypertension in pregnancy.  American Journal of Obstetrics and Gynecology. 142 (2) 159 - 167

Verweisende Artikel (2)

Präeklampsie; Upshaw-Schulman-Syndrom;

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