Glomerulonephritis N00.9

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 12.07.2023

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Erstbeschreiber

Als Erstbeschreiber einer Proteinurie als Ausdruck einer chronischen Nierenerkrankung und der Beschreibung der chronischen Nierenerkrankung gilt Richard Bright, der im Jahre 1831 erstmals ausführlich darüber schrieb. Er wies außerdem auf das gehäufte Auftreten einer Glomerulonephritis im Rahmen eines Alkoholismus hin (Singer 1999).

Sir William Osler beschrieb in seinem Lehrbuch der Inneren Medizin im Jahre 1899 erstmals eine Glomerulonephritis als eine „Akute diffuse Nephritis aufgrund der Einwirkung von Kälte oder toxischen Stoffen auf die Nieren“ (Haller 2003).

Definition

Unter einer Glomerulonephritis (GN) versteht man eine Reihe immunvermittelter Erkrankungen mit intraglomerulärer Inflammation und zellulärer Proliferation (Herold 2022).

Einteilung

Einteilung

Man differenziert zwischen

- 1. Primären GN

Dazu zählen Erkrankungen, die sich primär in den Glomeruli abspielen. Hinweise auf eine Systemerkrankung fehlen (Herold 2022). Beispiele sind:

- IgA- Glomerulonephritis

- membranöse Glomerulonephritis (MGN)

- C3- Glomerulopathie

- Minimal- Change- Glomerulonephritis

- membranoproliferative Glomerulonephritis

- postinfektiöse Glomerulonephritis

- fokal segmentierte Glomerulonephritis (Stahl 2016)

 

- 2. Sekundären GN

Hierbei besteht primär eine Systemerkrankung wie z. B. Kollagenose, Endokarditis lenta, Vaskulitis, zu der sich eine renale Beteiligung vergesellschaftet (Herold 2022). Beispiele hierfür sind:

- systemischer Lupus erythematodes mit Nephritis

- ANCA- assoziierte Glomerulonephritis

- Anti- GBM- Nephritis

- Schönlein- Henoch- Purpura (Stahl 2016)

Die Einteilung primärer und sekundärer GN ist pathologisch nur möglich unter Einbeziehung serologischer Marker, Histologie und klinischen Symptomen (Herold 2022).

 

Außerdem differenziert man – in Abhängigkeit von der Schärfe des Immunprozesses zwischen einer

- akuten Verlaufsform (Kasper 2015)

- subakuten Verlaufsform (Anders 2023)

- chronischen Verlaufsform (Kasper 2015)

 

Anders et al. (2023) schlagen zur optimalen Therapie vor, die Einteilung der GN entsprechend ihrer Immunopathogenese in folgende 5 Kategorien zu unterteilen:

- infektionsbedingte GN

- autoimmune GN

- alloimmune GN

- autoinflammatorische GN

- monoklonale Gammopathie- bedingte GN (Anders 2023)

 

Vorkommen/Epidemiologie

Die GN ist eine relativ selten vorkommende Nierenerkrankung. Am häufigsten unter den GN ist mit 65,3 % eine primäre Glomerulonephritis, die sich bei 23,9 % als Immunglobulin- A- Nephropathie darstellt. Sekundäre GN fanden sich in 24,6 %, am häufigsten war hierbei die Lupus- Nephritis mit 41,8 % vertreten (AlYousef 2020).

Die GN ist in Deutschland bei 18,7 % für eine chronische Nierenerkrankung verantwortlich und in den USA bei 30 – 36 % der Kinder und Jugendlichen für eine Nierenerkrankung im Endstadium (Anders 2023).

Die Prävalenz der autoimmunen GN ist bislang unklar (Anders 2023)

Ätiopathogenese

Man geht inzwischen davon aus, dass durch Umwelteinflüsse, insbesondere infektiöse Prozesse, Wirtsreaktionen bei genetisch anfälligen Personen auslöst werden, die dann zu einer GN führen (Couser 2016).

- Asymptomatische GN:

Die Ursachen können ein Alport- Syndrom sein, eine IgA- Nephropathie (sog. M. Berger), eine Overflow- Proteinurie bei multiplem Myelom, ein Syndrom der dünnen Basalmembran, eine funktionelle Proteinurie im Rahmen einer körperlichen Anstrengung, Fieber bzw. bei Herzinsuffizienz oder als orthostatische Proteinurie von < 1 g / d bei Kindern bzw. jungen Erwachsenen. Typischerweise findet sich bei der orthostatischen Form keine Proteinurie im Morgenurin (Herold 2022)

 

- Rapid- progressive GN (auch als sichelförmige GN bezeichnet):

Die Ursachen können idiopathisch sein oder die renale Manifestation einer Vaskulitis darstellen (Herold 2022)

 

- Makro- oder Mikrohämaturie:

Diese können durch interkurrente Infekte oder durch eine IgA- Nephropathie verursacht werden (Herold 2022)

 

- Nephritisches Syndrom:

Kann durch eine akute postinfektiöse GN verursacht werden (Herold 2022).

 

- Nephrotisches Syndrom:

Eine GN mit nephrotischem Syndrom kann verursacht werden durch z. B. eine minimal- change- Glomerulopathie, membranoproliferative GN, membranöse GN, kryoglobulinämische MPGN, fokal segmentale Glomerulosklerose, Dense- Deposit- Disease, multiples Myelom, diabetische Nephropathie, Nierenvenenthrombose, Amyloidose (Herold 2022).

 

Pathophysiologie

Bei der GN spielen sowohl humorale als auch zellvermittelte Immunmechanismen eine Rolle:

- Anti- GBM- Antikörper vermittelte GN

Hierbei finden sich lineare Ablagerungen von IgG gegen das Goodpasture- Antigen. Normalerweise ist dieses Antigen normaler Zellbestandteil der nicht kollagenhaltigen Domäne des Typ IV Kollagens (Herold 2022).

- Immunkomplex- vermittelte GN

Hierbei verteilen sich die Immunkomplexe über die gesamte glomeruläre Kapillarwand wie es z. B. bei der postinfektiösen GN und der Lupus- Nephritis der Fall ist (Herold 2022).

- ANCA- assoziierten GN

Die Anti- Neutrophilen- zytoplasmatischen Antikörper assoziierte GN induziert durch Interaktion mit Komponenten der neutrophilen Granula eine glomeruläre Schädigung (Herold 2022).

- Aktivierung der zellvermittelten Immunvorgänge

Auch diese kann zu einer glomerulären Schädigung führen. Man findet diesen Vorgang bei z. B. proliferativen und nicht- proliferativen Glomerulopathien (Herold 2022).

Klinisches Bild

Das klinische Bild kann sich bei einer GN sehr unterschiedlich darstellen. Es können vorkommen:

- arterielle Hypertonie

- Hämaturie (Anders 2023)

- Ödeme / Anasarka

- schäumender Urin (durch die Proteinurie)

(Kasper 2015)

 

- Asymptomatische GN:

Die Erkrankung wird fast immer zufällig an Hand des Urinbefundes festgestellt (Herold 2022).

 

- Rapid- progressive GN (auch als sichelförmige GN bezeichnet):

- Leistungsminderung

- Müdigkeit

- Inappetenz

- Arthralgien

- Myalgien

- Petechien

- Ödeme

- arterielle Hypertonie (Frank 2021)

 

- Chronische GN:

Es finden sich subjektiv allenfalls geringe Beschwerden. Fast immer besteht eine arterielle Hypertonie (Herold 2022).

 

 

Diagnostik

Eine entsprechende Basisdiagnostik sollte ambulant in der Praxis erfolgen. Die beste Methode zur weiteren Klassifizierung der GN und entsprechenden Therapie bzw. Einschätzung der Diagnose ist die Nierenbiopsie (Herold 2022). Außerdem können Gentests wie z. B. Panel- Sequenzierung für Zytokin-, Interferon- und Komplementwege (Autoinflammation), Sanger- Sequenzierung für Kollagene, Apolipoprotein L1 (APOL1)- Risikoallele (Glomerulosklerose), Sequenzierung des gesamten Exoms (primäre Immundefekte) erforderlich sein (Anders 2023).

 

- Chronische GN:

Sonographisch stellen sich die Nieren meistens verkleinert dar. Eine Biopsie ist in diesem Stadium i. d. R. nicht mehr indiziert, da sie keine therapeutischen Konsequenzen hätte (Herold 2022).

 

Labor

Typisch für eine GN sind dysmorphe Erythrozyten und Erythrozytenzylinder. Eine anhaltende nicht selektive Proteinurie zwischen 1 – 2 g / 24 d kommt häufig bei einer GN vor (Kasper 2015).

 

- Asymptomatische GN:

Hierbei findet sich – da keine Symptome bestehen - als Zufallsbefund oftmals eine Mikrohämaturie. Die glomeruläre Filtrationsrate ist in diesen Fällen normal und es zeigt sich kein Hinweis auf eine renale Beteiligung bei Vorliegen einer Systemerkrankung.

Zusätzlich kann bei manchen Patienten eine Proteinurie von i. d. R. < 1,5 g / d bestehen.

Eine arterielle Hypertonie findet sich hierbei nicht (Herold 2022)

 

 

- Rapid- progressive GN (auch als sichelförmige GN bezeichnet):

- rascher Anstieg des Serumkreatinins (Kasper 2015)

- Bestimmung diverser Antikörper

- Antistreptolysin- Titer

- Kryptoglobuline (Frank 2021)

 

- Nephritisches Syndrom:

- Proteinurie zwischen 1 – 2 g / 24 h

- Hämaturie mit Erythrozyteneinschlüssen

- Pyurie

- Anstieg des Serumkreatinins

- Hypercholesterinämie

- Hypoalbuminämie (Kasper 2015)

 

- Nephrotisches Syndrom:

- Proteinurie > 3 g / d

- Hypoproteinämie

- AT (III) erniedrigt

- Hyperlipidämie (Müller 2023)

 

- Chronische GN:

- Erythrozyturie

- Proteinurie

- eventuell auch Zeichen eines nephrotischen Syndroms (Herold 2022)

 

Differentialdiagnose

- Nicht- entzündliche Glomerulopathien wie z. B. diabetische Glomerulosklerose, Eklampsie, Amyloidose (Herold 2022)

Komplikation(en)

- Terminale Niereninsuffizienz

Die GN ist mi 19 % die zweithäufigste Ursache einer terminalen Niereninsuffizienz (Herold 2022)

- Chronische Nierenerkrankung

Häufig entwickelt sich aus einer GN eine chronische Niereninsuffizienz mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und eine progressive Niereninsuffizienz (Herold 2022).

 

Therapie allgemein

- Infektionsbedingte GN:

Hier sind therapeutisch in erster Linie die Ortung der Infektionskontrolle und deren gezielte Therapie wichtig (Anders 2023).

 

- Autoimmune GN:

Therapeutisch sollte eine vorübergehende oder anhaltende Unterdrückung der adaptiven Immunantwort erfolgen (Anders 2023).

 

- Alloimmune GN:

Hierbei ist eine anhaltende Unterdrückung der adaptiven Immunantwort erforderlich (Anders 2023).

 

- Autoinflammatorische GN:

Bei dieser Form der GN ist eine Hemmung spezifischer Zytokine oder Komplementfaktoren einzusetzen (Anders 2023).

 

- Monoklonale Gammopathie- bedingte GN (Anders 2023)

Diese Form der GN macht eine klongesteuerte Therapie erforderlich (Anders 2023).

 

- Rapid- progressive GN (auch als sichelförmige GN bezeichnet):

Die Therapie erfolgt mit Immunsuppressiva (Frank 2021)

 

Verlauf/Prognose

Sowohl die Morbidität als auch die Mortalität sind bei einer GN erheblich (AlYousef 2020).

Die rapid- progressive GN stellt einen nephrologischen Notfall dar und führt ohne eine gezielte Therapie zu einem raschen Verlust der Nierenfunktion innerhalb von Tagen bis Wochen (Frank 2021).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. AlYousef A, AlSahow A, AlHelal B, Alqallaf A, Abdallah E, Abdellatif M, Nawar H, Elmahalawy R (2020) Glomerulonephritis Histopathological Pattern Change. BMC Nephrol. 21 (1) 186
  2. Anders H J, Kitching A R, Leung N, Romagnani P (2023) Glomerulonephritis: immunopathogenesis and immunotherapy. Nature Reviews Immunology 23: 453 - 471
  3. Couser W G (2016) Pathogenesis and treatment of glomerulonephritis-an update. J Bras Befrol. 38 (1) 107 - 122
  4. Frank H, Hofmann W, Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN); Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL). (2021) Interdisziplinäre S2k- Leitlinie - Rationelle Labordiagnostik zur Abklärung Akuter Nierenschädigungen und Progredienter Nierenerkrankungen – Langfassung.
  5. Haller H, Gross W L (2003) Glomerulonephritis. Der Internist 44: 1073 - 1074
  6. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 605 - 606
  7. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1831 – 1836
  8. Müller M (2023) Labormedizin: Mikrobiologie, klinische Chemie, Infektiologie, Transfusionsmedizin in Frage und Antwort. IRM books, BoD (Books on Demand) 124, 389
  9. Singer M V, Teyssen S (1999) Alkohol und Alkoholfolgekrankheiten: Grundlagen – Diagnostik – Therapie. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 383
  10. Stahl R, Hoxha E (2016) Glomerulonephritis. Dtsch Med Wochenschr. 141: 960 - 968

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