Früh-Dumping K91.1

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 18.02.2023

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Synonym(e)

Early- Dumping- Syndrom; Postalimentäres Frühsyndrom

Erstbeschreiber

Im Jahre 1913 beschrieb Hertz erstmals den Zusammenhang zwischen postprandialen Symptomen und schneller Magenentleerung nach Magenoperationen. Der Begriff „Dumping“ wurde 1920 von Wyllys et al. für Patienten mit typischen Symptomen nach Gastrektomie geprägt (Mala 2015).

Das Sigstad- Scoring- System zur Unterstützung der Diagnostik eines Frühdumpings wurde erstmals 1970 verwendet (Scarpellini 2020).

Der Arts questionnaire wurde von Arts et al. 2009 zur Schwere des Dumping- Syndroms entwickelt (Scarpellini 2020).

 

Definition

Beim Frühdumping kommt es ca. 20 min nach dem Essen zu intestinalen Störungen (Herold 2022) bei Patienten mit Z. n. Magen- oder Ösophaguschirurgie (Scarpellini 2020).

Beim Delphi- Konsensus- Prozess mit internationalen multidisziplinären Experten 2020 wurde erstmals ein internationaler Konsens zur Diagnose und Behandlung des Dumping- Syndroms festgelegt (Scarpellini 2020).

 

Einteilung

Das Dumping- Syndrom (DS [Rindel 2018]) wird unterteilt in ein Früh- und Spätdumping. Beide können gemeinsam oder einzeln auftreten (Scarpellini 2020).

Vorkommen/Epidemiologie

Das Dumping- Syndrom stellt eine häufige, aber selten diagnostizierte Komplikation nach Magen- oder Ösophaguschirurgie dar, einschließlich bariatrischer Operationen (auch als metabolische Operationen bezeichnet). Seit ca. 15 Jahren tritt es am häufigsten nach adipositaschirurgischen Operationen auf, früher in erster Linie bei Z. n. Magenresektion (Scarpellini 2020).

Es tritt bei ca. 10 % der Patienten nach einer Vagotomie mit Pyloroplastik bzw. Resektion des distalen Magens auf, bei bis zu 50 % nach einer Ösophagusresektion mit Magenhochzug und bei bis zu 75 % nach Fundoplikatio und bariatrischen Eingriffen wie z. B. Roux- en- Y- Magenbypass (Fuchs 2020).

 

Das Frühdumping tritt 3 x so häufig wie das Spätdumping auf. Fünf Jahre nach einer Magenresektion fand Mala (2015) bei 68 % der Patienten ein Frühdumping.

 

Ätiopathogenese

Das Frühdumping kann verursacht werden durch:

- Sturzentleerung des Magenstumpfes bei Z. n. Magenteilresektion (Herold 2022)

- Passagere Hypovolämie

Diese kann durch hyperosmotische leicht lösliche Kohlenhydrate auftreten (Herold 2022).

In seltenen Fällen auch durch:

- Beteiligung des enterischen Nervensystems wie z. B. bei der funktionellen Dyspepsie

- im Rahmen eines Diabetes mellitus mit beschleunigter Magenentleerung (Fuchs 2020)

 

Pathophysiologie

Es kommt bei einer Sturzentleerung des Magenstumpfes durch Überdehnung der abführenden Schlinge zu einem Zug am Mesenterium. Dies löst eine Vagusreizung aus mit Freisetzung intestinaler Hormone und vasoaktiver Stoffe wie z. B. Bradykinin und Serotonin aus (Herold 2022).

Durch die rasche Entleerung eines hyperosmolaren Mageninhaltes ins Ileum kommt es zu einer Flüssigkeitsverschiebung aus dem intravaskulären Raum (Scarpellini 2020) in das Darmlumen mit Kontraktion des Plasmavolumens und akuter Distension des Darms. Man nimmt an, dass vasoaktive GI- Hormone wie z. B. vasoaktives intestinales Polypeptide, Neurotensin, Motilin ebenfalls eine Rolle spielen (Kasper 2015).

Eine Studie von Yang (2020) zeigte, dass die frühen p. p. Veränderungen der Hämodynamik und der Ausschüttung der GI- Hormone bei Patienten, die sich einer Gastrektomie unterzogen hatten, größer waren als bei Patienten mit Magenteilresektion. Somit spielen die frühen p. p. Veränderungen eine entscheidende Rolle in der Pathophysiologie des frühen Dumping- Syndroms.

 

Bleibt der Pylorus bei der Operation erhalten wie es z. B. beim Schlauchmagen der Fall ist, kommt es nur selten zum Auftreten eines Dumping- Syndroms, da dann die aufgenommene Nahrung weiterhin in kleinen Mengen in den Dünndarm abgegeben wird (Felsenreich 2021).

 

Manifestation

Der überwiegende Teil der betroffenen Patienten leidet meistens lediglich unter leichten Symptomen, die sich mit der Zeit verbessern. Bei 10 – 20 % finden sich aber ausgeprägte Symptome und bei 1 – 5 % sogar schwerwiegende (Mala 2015).

Klinisches Bild

Die Symptome eines Dumpingsyndroms treten typischerweise bereits kurze Zeit nach der Operation auf. Sollten Symptome p. o. erst nach längerer Zeit auftreten, ist eine andere Ursache in Betracht zu ziehen (Mala 2015).

Postprandial finden sich beim Frühdumping nach ca. 20 min:

- abdominelle Schmerzen

- Borborygmus (hörbare Darmgeräusche)

- eventuell Diarrhoen oder Brechreiz (Herold 2022)

- Aufstoßen (Kasper 2015)

- Blähungen (Rindel 2018)

Auch kardiovaskuläre Symptome können vorhanden sein in Form von:

- Palpitationen

- Schwindel

- Schwitzen

- allgemeine Schwäche (Herold 2022)

- Tachykardien

- Hypotension (Rindel 2018)

- Flush (Scarpellini 2020)

- selten Auftreten einer Synkope (Kasper 2015)

- Gewichtsabnahme

Wegen der p. p. Beschwerden vermeiden Patienten oftmals die Nahrungsaufnahme, so dass es zu einer Gewichtsabnahme kommt (Scarpellini 2020).

 

Diagnostik

Zur Diagnostik wird heutzutage der modifizierte orale Glukosetoleranztest bevorzugt eingesetzt. Es kommt dabei typischerweise

- zu einem Hämatokritanstieg von > 3 % (bedingt durch die Flüssigkeitsverschiebung)

oder

- zu einer Erhöhung der Herzfrequenz auf > 10 bpm 30 min nach der Glukoseaufnahme (Scarpellini 2020). Die Sensitivität der Herzfrequenzsteigerung liegt bei 100 %, die Spezifität bei 92 % (Mala 2015).

Weitere Verfahren diagnostische Hilfsverfahren sind:

- Sigstad- Scoring- System

Hierbei werden vom Patienten genannte Symptome Punkten zugeordnet und diese dann addiert. Eine Gesamtpunktzahl > 7 deutet auf ein Dumpingsyndrom hin. Inzwischen wird der Fragebogen als nicht zuverlässig genug angesehen (Scarpellini 2020).

- Arts questionnaire / Arts- Dumping- Fragebogen

Dieser Fragebogen gibt in erster Linie Auskunft über den Schweregrad des Dumpingsyndroms. Inzwischen wird der Fragebogen ebenfalls als nicht zuverlässig genug bezüglich der Diagnostik angesehen (Scarpellini 2020).

- Magenentleerungstests

Die Sensitivität und Spezifität dieser Tests hat sich beim Dumping- Syndrom als zu gering erwiesen (Scarpellini 2020).

 

Differentialdiagnose

- Syndrom der zuführenden Schlinge (Koop 2009)

Komplikation(en)

- Sitophobie (Angst vor Essbarem)

- Gewichtsabnahme (Mala 2015)

Therapie

Dem Patienten wird empfohlen:

- häufige kleine Mahlzeiten (Herold 2022)

- das Essen sollte langsam zu sich genommen und gut gekaut werden (Scarpellini 2020)

- die Ernährung sollte eiweißreich und kohlenhydratarm sein

- Flüssigkeiten während der Mahlzeit sind zu vermeiden (Herold 2022). Sie sollten frühestens 30 min nach einer Mahlzeit zu sich genommen werden (Scarpellini 2020).

- nach dem Essen sollte der Patient sich für eine ½ Stunde hinlegen (Herold 2022)

 

Falls diese Ernährungsumstellungen zu keiner ausreichenden Verbesserung der Symptomatik führen, sollte eine pharmakologische Intervention in Betracht gezogen werden (Scarpellini 2020).

Dazu zählen die Einnahme eines Quellstoffes wie z. B. Guar zu den Mahlzeiten, ebenso die Gabe eines Spasmolytikums wie z. B. N- Butyl- Scopolamin (Herold 2022).

Außerdem werden folgende Medikamente empfohlen:

- Somatostatin- Analoga wie z. B. Octreotid zur Reduktion der intestinalen Sekretion. Dosierungsempfehlung: Kurzwirksames Octreotid s. c. 50 – 100 µg bis zu 3 x / d, langwirksames Octreotid 1 x monatlich i. m. 20 mg / 90 mg (Scarpellini 2020).

- Acarbose:

- hemmt die Glukoseresorption

- reduziert die gastrointestinale Hormonfreisetzung

- reduziert das Auftreten einer Hypoglykämie

- wird vorwiegend beim Spätdumping erfolgreich eingesetzt, es wird aber auch beim Frühdumping von Erfolgen berichtet

Dosierungsempfehlung: 50 – 100 mg 3 x / d zu den Mahlzeiten (Scarpellini 2020).

 

Die letzte Option wäre ein erneuter chirurgischer Eingriff, wobei dieser ungewisse Ergebnisse aufweist und das optimale Verfahren bislang nicht etabliert ist. Von daher wird derzeit ein rein konservatives Vorgehen empfohlen (Scarpellini 2020).

 

Hinweis(e)

Patienten, bei denen eine bariatrische OP erforderlich ist und deren berufliche Tätigkeit auf keinen Fall ein Dumping- Syndrom, insbesondere eine Hypoglykämie zulässt wie z. B. bei Berufskraftfahrern, sollten ein Operationsverfahren erhalten, bei dem der Pylorus erhalten bleibt, da nur bei erhaltenem Pylorus die aufgenommene Nahrung weiterhin in kleinen Mengen in den Dünndarm abgegeben werden kann (Felsenreich 2021).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Felsenreich D M, Prager G (2021) Bariatrische Chirurgie – welche Therapieoptionen? J Gynäkol. Endokrinol. AT, DOI https://doi.org/10.1007/s41974-020-00172-6
  2. Fuchs K H, Allescher H D, Frieling T (2020) Management der gastrointestinalen und kolorektalen Motilitätsstörungen. Walter de Gruyter Verlag Berlin / Boston 266 - 268
  3. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 450
  4. Hertz A F (1913) IV. The Cause and Treatment of Certain Unfavorable After-effects of Gastro-enterostomy. Ann Surg. 58 (4) 466 – 472
  5. Kasper D L, Fauci A S, Hauser S L, Longo D L, Jameson J L, Loscalzo J et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1926
  6. Koop I, Beckh K, Koop H, Koop I, Lankisch P G, Pommer G (2009) Gastrologie compact. Gastroenterologische Krankheitsbilder: 3 Magen und Duodenum. Georg Thieme Verlag Stuttgart 125 - 126
  7. Mala T, Hewitt S, Hogestol I K D, Kjellevold K, Kristinsson J A, Risstad H (2015) Dumping syndrome following gastric surgery. Tidsskr Nor Laegeforen 135 (2) 137 – 141
  8. Rindel R (2018) Prospektive Untersuchung zur Häufigkeit der postoperativen Hypogly- kämie nach Magenbypass und Sleeve-Gastrektomie, ein Vergleich des modifizierten oralen Glucosetoleranztestes mit dem 13C-Octanoat- Magenentleerungstest. Inaugural – Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
  9. Scarpellini E, Arts J, Karamanolis G, Laurenius A, Siquini W, Suzuji H, Ukleja A, van Beek A, Vanuytsel T, Bor S, Ceppa E, di Lorenzo C, Emous M, Hammer H, Hellström P, Laville M, Lundell L, Masclee A, Ritz P, Tack J (2020) Evidence- Based Guidelines: International consensus on the diagnosis and management of dumping syndrome. Nat Rev Endocrinol. 16 (8) 448 – 466
  10. Yang J Y, Lee H J, Alzahrani F, Choi S J, Lee W K, Kong S H, Park D J, Yang H K (2020) Postprandial Changes in Gastrointestinal Hormones and Hemodynamics after Gastrectomy in Terms of Early Dumping Syndrome. J Gastric Cancer 20 (3) 256 - 266

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