Endokarditis, rheumatische I09.1

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 17.11.2022

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Synonym(e)

Endokarditis rheumatica; Endokarditis verrucosa; Rheumatische Endokarditis; Streptokokken- allergische Zweiterkrankung

Erstbeschreiber

Bereits im Jahre 1798 beschrieb der Londoner Arzt Robert Willan im Zusammenhang mit Rheumatismus ein Erythema nodosum (Holzmann 2013). Der erste Fall eines Erythema anulare wurde im Jahre 1895 von Colcot Fox beschrieben (Dermatologische Fachgesellschaft 1921).

Definition

Die rheumatische Endokarditis stellt eine spezifische Entzündungsreaktion auf eine Infektion mit Beta- hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A dar. Es kommt ca. 2 Wochen nach einer Infektion mit Streptokokken A (z. B. nach einer Angina tonsillaris, Pharyngitis, Scharlach, Erysipel etc.) zu einem erneuten Krankheitsschub, auch als rheumatisches Fieber bezeichnet, das Gelenke, Herz, Cutis und ZNS befallen kann (Herold 2022 / Thomas 2010).

Einteilung

Die rheumatische Endokarditis zählt zu den abakteriellen Endokarditiden (Thomas 2004) und stellt die häufigste Form der abakteriellen Endokarditis dar (Thomas 2010). Sie ist eine Teilerscheinung der Pankarditis und des rheumatischen Fiebers dar (Herold 2022).

Zu den abakteriellen Formen einer Endokarditis, die auch als „nichtinfektiöse Endokarditis“ bezeichnet wird, zählen außerdem:

- E. Libman- Sacks, die durch einen systemischen Lupus erythematodes (SLE) ausgelöst wird (Herold 2022)

- Endomyocarditis eosinophilica, auch als „Löffler- Syndrom“ bezeichnet, die im Rahmen verschiedener Erkrankungen auftreten kann und immer mit einer Vermehrung eosinophiler Granulozyten verbunden ist (Herold 2022).

Vorkommen/Epidemiologie

Bis zum frühen 20. Jahrhundert war die rheumatische Endokarditis in allen Ländern verbreitet, dann nahm die Häufigkeit durch verbesserte Lebensbedingen, bessere Hygiene, weniger beengte Wohnverhältnisse in den Industrieländern ab. Die Einführung der Antibiotika hatte einen zusätzlichen Effekt.

In Entwicklungsländern jedoch ist die RHD auch heutzutage noch die häufigste Ursache für Herzerkrankungen und stellt bei Erwachsenen eine der Hauptursachen für die Mortalität dar.

Weltweit sind ca. 15 – 19 Mill. Menschen von der RHD betroffen und ¼ Million Todesfälle sind darauf zurückzuführen (Kasper 2015).

Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 5 – 15 Jahren (Herold 2022).

Ätiopathogenese

Die Endokarditis rheumatica, auch als E. verrucosa bezeichnet, wird durch eine Autoimmunreaktion hervorgerufen, die als Reaktion auf eine durch Beta- hämolysierenden Streptokokken ausgelöste Erkrankung auftritt. Man bezeichnet sie auch als eine Streptokokken- allergische Zweiterkrankung (Herold 2022).

Pathophysiologie

Nach einer Infektion mit Beta- hämolysierenden Streptokokken treten in der Membran der Streptokokken antigenwirksame Substanzen auf. Diese sind für die Bildung von Immunkomplexen verantwortlich. Diese Immunkomplexe lagern sich zwischen den Myokardfasern, den glatten Muskelfasern und dem Endokard ab. Die Folge ist eine Kreuzreaktion des M- Proteins der Streptokokken mit dem sarkolemmalen Myosin und Tropomyosin. Der Nucleus subthalamicus und der Nucleus caudatus können ebenfalls davon betroffen sein (Thomas 2010).

Manifestation

An der Endotheloberfläche des Endokards zeigen sich kleine, zarte, glasige, leicht rötliche Auflagerungen, die typischerweise am freien Klappenrand lokalisiert sind (Thomas 2010).

Bei bis zu 60 % der Patienten mit akutem rheumatischem Fieber (ARF) entwickelt sich eine rheumatic heart disease (RHD), bei der das Endokard, Perikard oder Myokard betroffen sein können (Kasper 2015). Entscheidet für die Prognose einer Pankarditis ist ausschließlich die rheumatische Endokarditis (Herold 2022).

Lokalisation

Die E. rheumatica findet sich häufig an den Schließungsrändern der Mitral- und Aortenklappe (Herold 2022).

 

Klinisches Bild

Der Verlauf ist eher subakut bzw. teilweise auch chronisch (Burk 2008). Kardiale Symptome sind nicht obligat.

Durch die Pankarditis können bestehen:

     - leises systolisches und / oder diastolisches Herzgeräusch

- durch die gleichzeitig bestehende Perikarditis:

     - Perikardreiben

     - präkordiale Schmerzen

- durch die gleichzeitig bestehende Myokarditis:

     - Auftreten von Extrasystolen

     - Zeichen kardialer Insuffizienz (bei schwerer Myokarditis)

(Herold 2022)

- Aschoff- Knötchen (durch die Myokarditis)

(Thomas 2004)

- Chorea minor (selten)

- Erythema anulare

- Erythema nodosum (Braun 2019)

 

Diagnostik

Zur Sicherung der Diagnose sollte eine ausführliche Anamnese erhoben werden, insbesondere hinsichtlich kürzlich vorausgegangener Beta- Streptokokken A- Infektionen wie z. B. Angina tonsillaris, Pharyngitis , Scharlach, Erysipel etc. (Burk 2008 / Thomas 2010).

Auskultatorisch ist insbesondere auf ein (leises) systolisches bzw. diastolisches Herzgeräusch zu achten (Burk 2008).

Die weitere Diagnostik besteht aus bildgebenden Verfahren wie z. B. EKG und Echokardiographie sowie Laborbefunden (s. d.).

 

Bildgebung

EKG

Im Ekg können nachweisbar sein:

- Extrasystolen

- verlängertes PQ- Intervall

- Veränderungen ST / T (Herold 2022)

 

 

Echokardiographie (ggf. als Schluckecho [Burk 2008])

- Perikarderguss

- myogene Dilatation des Herzens (Herold 2022)

- Verdickung der Herzklappen

- KEINE Destruktion der Klappen (Braun 2019)

Labor

- BSG erhöht

- CRP erhöht

- Leukozytose

- Antikörper gegen Streptokokken (ASL- Titer) erhöht

Bei ca. 80 % tritt die Erhöhung des ASL- Titers auf. Er ist nicht als Verlaufsparameter geeignet (Braun 2019) und auch nicht beweisend für eine rheumatische Endokarditis (Burk 2008).

Histologie

Histologisch finden sich:

- Histiozyten mit eulenartigen Nukleoli, den sog. Anitschkow- Zellen

- Aschoff- Knötchen

- Riesenzellen um fibrinoide Nekrosen (Herold 2022)

- eosinrote, Gieson- gelbe Fibrinauflagerungen der Klappenoberfläche (Thomas 2004)

- bis zu 2 mm große Thrombozyten- Ablagerungen im Bereich der Klappenoberfläche

- im Spätstadium (nach > 20 Jahren) kollagenfaserreiche Vernarbungen mit Verwachsungen der Klappen und Retraktionen (Thomas 2006)

Differentialdiagnose

Differentialdiagnostisch kommen insbesondere andere Formen einer Endokarditis in Frage wie z. B. infektiöse Endokarditis, Endokarditis Libman- Sacks (Burk 2008).

Außerdem alle anderen Erkrankungen fieberhaften Erkrankungen und das Erythema nodosum (Braun 2019)

Komplikation(en)

- Übergang in eine bakterielle Endokarditis (Tauchnitz 2009)

- Schädigung der Herzklappen (die rheumatische Endokarditis ist die häufigste Ursache für einen erworbenen Herzklappenfehler [Kaltenbach 2000]).

Therapie

Die Therapie erfolgt mit antientzündlichen Medikamenten wie z. B. ASS und Kortikosteroiden (Burk 2008).

Eine antibiotische Therapie dient eher dazu, den vorausgegangenen Infekt zu behandeln. Auf die rheumatische Endokarditis haben Antibiotika keinen Einfluss (Burk 2008).

Penicillin ist hierbei das Mittel der Wahl bei Streptokokken A, da gegen andere Antibiotika oftmals Resistenzen bestehen (Herold 2022).

- Dosierungsempfehlung

     - Kinder: 100.000 I. E. Penicillin V / kg KG / d

     - Erwachsenen: 3 – 4 Mio Penicillin V / d

Dauer der Therapie: 10 Tage

Bei Bestehen einer Penicillinallergie kann eine Behandlung mit Makroliden erfolgen. Hierbei finden sich in bis zu 15 % Resistenzen (Herold 2022). Geeignet sind z. B. Vancomycin oder Clindamycin (Braun 2019).

Operative Therapie

Nicht selten ist eine chirurgische Behandlung der betroffenen Herzklappen erforderlich.

- Aortenstenose:

Ab dem Stadium III (Symptome bei leichter körperlicher Belastung) ist eine operative Therapie angezeigt (Buchta 2004). Näheres s. Aortenklappenstenose

 

- Pulmonalstenose:

Die Behandlungsmöglichkeiten einer Pulmonalklappenstenose bestehen in einer

- I. Ballonvalvuloplastie / Stentimplantation

- II. Operation (Herold 2022) Näheres s. Pulmonalklappenstenose

 

- Mitralstenose:

Die rheumatische Mitralstenose wird erst nach ca. 20 Jahren symptomatisch (Kaltenbach 2000). Näheres s. Mitralklappenstenose.

 

- Mitralinsuffizienz:

Chirurgische Maßnahmen bei einer Mitralinsuffizienz bestehen aus:

- perkutaner interventioneller Kathetertherapie mit Mitralsegel- Clipping (Kasper 2015)

- operativer Klappenersatztherapie bzw. Klappenrekonstruktion (Pinger 2019) Näheres s. Mitralklappeninsuffizienz

 

- Trikuspidalklappenstenose:

Die rheumatisch bedingte Trikuspidalklappenstenose wird i. d. R. erst dann operiert, wenn rheumatische Mitral- und Aortenklappenerkrankungen eine OP erforderlich machen (Mewis 2006). Näheres s. Trikuspidalklappenstenose

Verlauf/Prognose

Der Verlauf der rheumatischen Endokarditis ist:

- 1. Streptokokkeninfekt

Nach einer Latenzzeit von 1 – 3 Wochen kommt es zum

- 2. Auftreten des rheumatischen Fiebers (Dauer ca. 6 – 12 Wochen) mit Auftreten einer rheumatischen Endokarditis

- 3. Herzklappenfehler der jeweils betroffenen Herzklappe(n). Dieser tritt nach 1 – 3 Jahren auf

(Herold 2022) bzw. wird bei der Mitralstenose erst nach bis zu 20 Jahren symptomatisch (Kaltenbach 2000).

 

Die Prognose ist abhängig von einer frühzeitig einsetzenden Penicillintherapie. Jedes Rezidiv vergrößert die Gefahr eines Herzklappenfehlers (Herold 2022). Bei Jugendlichen kommt es in ca. 70 % der Fälle zu einem Rezidiv, bei Erwachsenen bei 20 % (Thomas 2010).

Bei Befall der Segel- oder Taschenklappen kann es zu lokalen Verwachsungen kommen, die letztlich eine Klappenstenose zur Folge haben. Sind die Chordae betroffen, verdicken sich die Sehnenfäden und verbacken untereinander. Das führt i. d. R. zu einer narbigen Retraktion, die sich als Mitralklappeninsuffizienz darstellt (Thomas 2010).

Eventuell auftretende narbige Schrumpfungen der Herzklappen sind irreversibel (Herold 2022).

 

Prophylaxe

Zur Rezidivprophylaxe sollten Betroffene bis zum 18. Lebensjahr bzw. bei einer nachgewiesenen Klappenbeteiligung bis zum 40. Lebensjahr eine Rezidivprophylaxe mit Penicillin erhalten.

Dosierungsempfehlung:

Penicillin G 1,2 Mio. I. E. i. m. alle 3 – 4 Wochen

Außerdem sind eine regelmäßige Zahnhygiene und Fokussanierung erforderlich (Braun 2019).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Braun J, Dormann A J (2019) Klinikleitfaden Innere Medizin Elsevier Urban und Fischer Verlag 161 – 162
  2. Buchta, M., Höper, DW, Sönnichsen, A. (2004). Erworbener Herzklappenfehler. In: Buchta, M., Höper, DW, Sönnichsen, A. (Hrsg.) Das Zweite StEx. Springer-Lehrbuch. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-18569-4_7
  3. Burk A, Blank I, Berg M, Avelini P, Andreae S (2008) Lexikon der Krankheiten und Untersuchungen. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 270 - 271
  4. Dermatologische Fachgesellschaft (1921) Archiv für Dermatologie und Syphilis. Band 136 Springer Verlag 1
  5. Herold G et al. (2022) Innere Medizin. Herold Verlag 163 – 165, 182 – 183
  6. Holzmann H, Altmeyer P, Marsch W Ch, Vogel H G (2013) Dermatologie und Rheuma. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York, London, Paris, Tokyo 339
  7. Kaltenbach M (2000) Herzklappenfehler. In: Kardiologie kompakt von Kaltenbach M Steinkopf Verlag Heidelberg 219 - 240
  8. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1544 – 1546, 2149 – 2154
  9. Mewis C, Riessen R, Spyridopoulos I et al. (2006) Kardiologie compact: Alles für Station und Facharztprüfung. Georg Thieme Verlag Stuttgart 318, 345
  10. Pinger S (2019) Repetitorium Kardiologie: Für Klinik, Praxis, Facharztprüfung. Deutscher Ärzteverlag. 308 – 326 Tauchnitz, C. (2009) Mikrobielle (bakterielle) Endokarditis. In: Hahn, H., Kaufmann, SHE, Schulz, TF, Suerbaum, S. (Hrsg.) Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie. Springer-Lehrbuch. Springer Verlag Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-46362-7_113
  11. Thomas C, Hagedorn M, Moll R, Ramaswamy A, Rüschoff J (2004) Histopathologie kompakt: Kursbuch der Allgemeinen und Speziellen Histopathologie. Schattauer Verlag Stuttgart 40, 42,
  12. Thomas C, Alexandrakis E, Foß H D, Hagedorn M, Moll R, Müller K M, Pankow W, Ramaswamy A, Rüschoff J, Salfelder K (2006) Histopathologie: Lehrbuch und Atlas zur Befunderhebung und Differentialdiagnostik. Schattauer Verlag Stuttgart New York 111
  13. Thomas C, Hagedorn M, Kolesnikova L, Salfelder K, Weyers I (2010) Atlas der Infektionskrankheiten: Pathologie - Mikrobiologie - Klinik - Therapie. Schattauer Verlag GmbH Stuttgart 302 - 303

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