Dawn-Phänomen

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 01.01.2022

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Erstbeschreiber

Schmidt et al. bezeichneten 1981 die passagere Insulinresistenz, die zu einer morgendlichen Hyperglykämie führt, als sog. Dawn- Phänomen. Campbell et al. wiesen 1985 nach, dass diese Form der Hyperglykämie auf die nächtliche Sekretion von Wachstumshormonen zurückzuführen ist (Hürter 1997).

Definition

Unter einem Dawn- Phänomen versteht man die beim Diabetiker auftretenden Episoden einer Hyperglykämie in den frühen Morgenstunden (O’Neal 2021).

Vorkommen

Das Dawn- Phänomen ist eine häufig auftretende Komplikation bei Diabetikern (Reinhardt 2004). Es kann bei Typ 1 und Typ 2 DM, bei insulinpflichtigen und nicht – insulinpflichtigen Diabetikern auftreten und wurde in allen Altersgruppen nachgewiesen (O’Neal 2021).

Die Prävalenz wird für Typ 1 und Typ 2 DM auf > 50 % geschätzt (O’Neal 2021).

Am häufigsten sind Typ 1 Diabetiker betroffen (Herold 2020) und hierbei besonders Kinder bzw. Jugendliche wegen der nächtlichen Sekretion der Wachstumshormone. Diese wachstumsbedingten morgendlichen Hyperglykämien finden sich während der Wachstumsphasen ca. 3 – 4 x pro Woche und können nicht vorausgesehen werden (Hürter 1997).

Ätiologie

Beim Dawn- Phänomen kommt es in der 2. Nachthälfte durch vermehrte Sekretion des Wachstumshormons GH (growth hormone) zu einem erhöhten Insulinbedarf (Herold 2020). Eine vorangehende Hypoglykämie findet sich hierbei nicht (Hien 2007). 

Das Dawn- Phänomen hängt außerdem von einer etwaigen Essenspause ab. Sobald zwischen 2 Mahlzeiten eine Pause von > 5 h liegt, besteht bei der 2. Mahlzeit ein fast so hoher Insulinbedarf wie der beim Frühstück (Hien 2007).

Pathophysiologie

Bei Patienten ohne Diabetes mellitus bleiben der Plasmainsulin- und der Blutzuckerspiegel über Nacht konstant. Lediglich kurz vor der Morgendämmerung kommt es zu einem geringen Anstieg der Insulinsekretion, der dazu dient, die hepatische Glukoseproduktion zu unterdrücken und eine Hyperglykämie zu verhindern. Von daher tritt das Dawn- Phänomen ausschließlich bei Diabetikern auf. 

Bei Typ 1 Diabetikern lässt die Aktivität des exogenen Insulins in den frühen Morgenstunden nach. Dadurch kann der hepatischen Aktivität zur Verhinderung einer Hyperglykämie nicht genug entgegengesetzt werden. 

Bei Typ 2 Diabetikern findet sich eine morgendliche Dysregulation der hepatischen Glukoseproduktion, da diese Patienten nicht in der Lage sind, eine kompensatorische Insulinproduktion zu aktivieren.

(O’Neal 2021)

Durch die nächtliche Ausschüttung von Wachstumshormonen wird die Ausscheidung von Stickstoff vermindert und die Aufnahme von Aminosäuren in die Zelle gefördert. Wachstumshormone wirken – bezüglich des Aminosäurestoffwechsels - synergetisch zum Insulin und hemmen die Glukoseaufnahme in der Peripherie (Siegenthaler 2006).

Laut jüngster Studien ist die morgendliche Hyperglykämie auf eine Hypoinsulinämie zurückzuführen. 

Die Ausschüttung des Insulins erfolgt nach einem zirkadianen Rhythmus und ist oppositional der Melatoninausschüttung: Zwischen 0.00 Uhr und 6.00 morgens wird die niedrigste Konzentration ausgeschüttet, zwischen 12.00 Uhr und 18.00 Uhr die höchste (Reyhanoglu 2021).

Klinisches Bild

Eine moderate Erhöhung der Blutglukose verursacht i. d. R. keine Symptome.

Wenn neben der morgendlichen Hyperglykämie auch noch Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit (Reinhardt 2004) und nächtliches Schwitzen bestehen, kann man differentialdiagnostisch am ehesten einen Somogyi- Effekt vermuten (Wehling 2006).

Diagnostik

Beim Dawn- Phänomen kommt es in der 2. Nachthälfte durch vermehrte Sekretion des Wachstumshormons GH (growth hormone) zu einem erhöhten Insulinbedarf (Herold 2020). Eine zuvor bestehende Hypoglykämie ist beim Dawn- Syndrom nicht vorhanden, im Gegensatz zum Somogyi- Effekt (Hien 2007).

Die Freisetzung der Wachstumshormone beginnt mit der Phase des Einschlafens. Es besteht dabei keine direkte Bindung an die Tageszeit, d. h. wenn der Patient erst gegen 4.00 Uhr schlafen geht, wird das Dawn- Phänomen auf die späten Vormittagsstunden vorschoben. Nach durchzechter Nacht ohne Schlaf tritt das Dawn- Phänomen nicht auf (Hien 2007).

 

CGM

Die kontinuierliche Gewebezuckermessung (CGM) ist die effektivste diagnostische Maßnahme (O’Neal 2021). Sie sollteauf jeden Fall eingesetzt werden, wenn unklar ist, ob ein Dawn- Phänomen oder ein Somogyi- Effekt vorliegen (Kolossa 2014). 

 

Berechnung des Dawn- Phänomens

Eine Alternative zur CGM beschrieb Monnier et al. 2015. Dazu werden die BZ- Werte vor dem Frühstück, vor dem Mittagessen und vor dem Abendessen gemessen. Anschließend wird die Differenz des BZ- Wertes zwischen dem Wert vor dem Frühstück und dem Durchschnittswert vor dem Mittagessen und Abendessen zur Bestimmung von „X“ berechnet. 

Bei einer Aufwärtsschwankung der Glukose von 20 mg / dl kann mit einer Sensitivität von 71 % und einer Spezifität von 68 % das Vorhandensein des Dawn- Phänomens nachgewiesen werden. 

Das Ausmaß des Dawn- Phänomens kann mit Hilfe der Gleichung 0,49X +15 berechnet werden. 

(O’Neal 2021)

 

 

 

Labor

Zunehmende Hyperglykämie in den frühen Morgenstunden, die nur schwer zu kontrollieren ist (O’Neal 2021).

Es finden sich im Morgenurin typischerweise keine Ketonkörper (Furger 2003).

Differentialdiagnose

  • Somogyi- Effekt (O’Neal 2021)

Das Dawn- Phänomen kann durch den Somogyi- Effekt verdeckt werden (Kolossa 2014). 

Komplikation(en)

In epidemiologischen Analysen ergab sich für den Anstieg des HbA1c- Wertes um 1 % ein 15 % - 20 % höheres Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen.

In einer Studie von schwedischen Forschern zeigte sich die Verringerung der kardiovaskulären Mortalität um bis zu 45 % bei einer Senkung des HbA1c- Wertes um 0,8 % (O’Neal 2021).

Therapie

Nach Ausschluss eines Somogyi- Effektes (Furger 2003) sollte die abendliche Insulindosis mit Intermediär- oder Langzeitinsulin angepasst werden (Herold 2020). Die letzte Insulindosis ist so spät wie möglich in den Oberschenkel zu injizieren. Da nach Änderung der abendlichen Insulindosis auch immer die Gefahr einer nächtlichen Hypoglykämie besteht, sollten in der ersten Zeit nach der Umstellung unbedingt die nächtlichen BZ- Werte gemessen werden (Hien 2007).

Falls die Erhöhung der abendlichen Dosis nicht ausreicht, gibt es weitere therapeutische Maßnahmen:

  • Einsatz lang wirksamer Analoginsuline wie z. B. Lantus, Levemir (Hien 2007)
  • Einsatz einer Insulinpumpe = CSII (continuous subcutaneous insulin infusion), die dann auf eine erhöhte Basalrate Insulin in den frühen Morgenstunden eingestellt werden sollte (Herold 2020). 

Beispiel: Falls man gegen 22.00 Uhr schlafen geht, wird die Pumpe auf einen stufenförmigen Anstieg der Basalrate ab ca. 3.00 Uhr eingestellt. Geht man gegen 0.00 Uhr schlafen, sollten der stufenweise Anstieg ab 5.00 Uhr beginnen (Hien 2007).

Prognose

Es ist für die weitere Prognose des Patienten hinsichtlich der Langzeitfolgen wichtig, 

bereits in der frühen Phase der Erkrankung eine optimale BZ- Einstellung zu erreichen. Wenn orale Antidiabetika nicht ausreichen, um ein Dawn- Phänomen zu verhindern, sollte frühzeitig auf Insulin umgestellt werden (O’Neal 2021).

Ebenso ist die Erkennung eines Dawn- Phänomens wichtig, um eine zunehmende Insulinresistenz zu verhindern (O’Neal 2021).

Die Implantation einer Insulinpumpe im Kindes- und Jugendalter erfolgt in bis zu 48,8 %  zur Vermeidung eines Dawn- Phänomens (Kapellen 2006). 

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Bolli G B et al. (1984) The "dawn phenomenon"- a common occurrence in both non-insulin-dependent and insulin-dependent diabetes mellitus. N Engl J Med. Mar 22; 310 (12) : 746 -750 doi: 10.1056/NEJM198403223101203.
  2. Furger P (2003) Innere quick: Der Fakten- Turbo. Thieme Verlag 579
  3. Herold G et al. (2020) Innere Medizin. Herold Verlag 738
  4. Hien et al. (2007) Diabetes- Handbuch: Eine Anleitung für Praxis und Klinik. Springer Verlag Heidelberg
  5. Howorka K (1988) Funktionelle, nahe- normoglykämische Insulinsubstitution. Springer Verlag Heidelberg 105 – 106
  6. Hürter P et al. (1997) Diabetes bei Kindern und Jugendlichen: Klinik – Therapie – Rehabilitation. Springer Verlag Berlin / Heidelberg / New York 260 – 262
  7. Hürter P et al. (2013) Kinder und Jugendliche mit Diabetes. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 164 
  8. Kapellen T et al. (2006) Die Insulinpumpe im Kindes- und Jugendalter: Unterschiede in den einzelnen Altersgruppen hinsichtlich der Therapieziele und deren Verwirklichung. Diabetologie und Stoffwechsel 1 – A 75 DOI: 10.1055/s-2006-943800
  9. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 241
  10. Kolossa R (2014) Insulinpumpentherapie. Diabetologe (10) 472 – 476
  11. Monnier L et al. (2015) The dawn phenomenon in type 2 diabetes: how to assess it in clinical practice? Diabetes Metab. (2) 132 - 137
  12. Reinhardt D (2004) Therapie der Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag Berlin / Heidelberg 153 
  13. O’Neal T B et al. (2021) Dawn- Phenomenon. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing;Bookshelf ID: NBK430893. PMID: 28613643
  14. Reyhanoglu G et al. (2021) Somogyi Phenomenon. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing. PMID: 31855369, Bookshelf ID: NBK551525
  15. Siegenthaler W et al. (2006) Klinische Pathophysiologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 1173
  16. Wehling M et al. (2006) Klinische Pharmakologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart / New York 273, 275

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