Antisense-Moleküle

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 28.07.2022

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Synonym(e)

Antisense-Medikamente; Antisense oligonucleotide therapeutics; Antisense-Oligonukleotide; ASOs; ASO-Therapeutika; Genmodulatoren

Erstbeschreiber

Zamecnik P 1978

Definition

Antisense-Oligonukleotide sind chemisch modifizierte und damit synthetische, kurzkettige einzelsträngige Nukleinsäuren, die die komplementäre (und damit „entgegen dem ursprünglichen Sinn“ = anti-sense entgegengesetzte) Erbinformation eines Gens enthalten. Sie binden fest an die Messenger-RNA des Gens, was die Translation somit die Umsetzung der mRNA in ein Protein in den Ribosomen und damit die Biosynthese von Proteinen beeinflusst oder sogar verhindert (Benimetskaya L et al. 1997; Bennett CF et al. 2017).

Antisense-Oligonukleotide werden von Zellen in geringer Menge spontan aufgenommen. Durch Verwendung bestimmter Träger (z.B. bestimmter Träger-Lipide) kann eine Verbesserung ihrer Aufnahme in die Zelle (Transfektion) und eine bessere intrazelluläre Verteilung erreicht werden. Die therapeutische Wirkung der Antisense-Oligonukleotide (ASO) ist inzwischen bei ganz unterschiedlichen Krankheitsbildern gut belegt (Askari FK et al. 1996). Ihr vielleicht bedeutendster Vorteil gegenüber anderen Therapeutika besteht darin, dass die Kenntnis der Genzielsequenz unmittelbar ein Wissen über mögliche Komplementär-Oligonukleotid-Therapeutika vermittelt. So zeigt das Konzept einer zielgerichteten Modulation krankheitsverursachender Proteine mit Antisense-Oligonukleotiden in verschiedenen klinischen Studien bei viralen, inflammatorischen und onkologischen Erkrankungen positive Ergebnisse. So wurden in den letzten 5 Jahren in klinischen Studien der Phase I mehr als 100 Therapieansätze auf der Basis von Antisense-Oligonukleotiden getestet, von denen etwa 25% eine Phase II / III erreicht haben.

Allgemeine Information

Ein gutes Beispiel für einen positiven Therapieeffekt dieser Substanzgruppe ist derAntisense Wirkstoff Milasen, der auf die Genmutation bei der Batten-Krankheit zugeschnitten ist, einem seltenen genetischen Defekt, der zu neurologischen Ausfällen führt.

Weiterhin steht mit Exondys51® ein Antisense-Oligonukleotid zur Behandlung der Duchenne`schen Muskelatrophie zur Verfügung.

Seit Juli 2017 ist mit Nusinersen (Spinraza®) erstmals eine kausale, krankheitsmodifizierende Therapie für die Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) im deutschen Markt verfügbar. Dieser Genmodulator erhöht die Produktion des vollständigen und funktionsfähigen SMN-Proteins, bindet an die SMN2-prä-mRNA und fördert so den Einschluss von Exon 7 in der mRNA. Dadurch kann funktionsfähiges SMN-Protein gebildet werden. Die Halbwertszeit im Liquor liegt bei 135 bis 177 Tagen (Finkel RS et al. 2017).

Hervorzuheben sind Fomivirsen und Mipomersen, die zur Behandlung der Zytomegalievirus-Retinitis bzw. bei familiärer Hypercholsterinämie zugelassen wurden (Adams BD et al. 2017). So führte in den Zulassungsstudien die Behandlung mit Mipomersen (Kynamro®) einem Antisense-Oligonukleotids (blockiert die Messenger-RNA für die Synthese von Apolipoprotein B in der Leber) als Zusatztherapie zu Statinen beim primären Wirksamkeitszeitpunkt (Primary Efficacy Time point, PET) zu einer statistisch signifikanten Senkung der LDL-C-Spiegel um 24,7 % bei Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie (HoFH) und um 35,9 % bei Patienten mit schwerer heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (HeFH) im Vergleich zu den jeweiligen Ausgangswerten was als klinisch relevant erachtet werden kann. Die FDA votierte 2012 für die Zulassung dieses Antisense-Oligonukleotids die EMA 2013 hingegen dagegen.

Fomivirsen(Vitravene®) ist ein 21mer Antisense-DNA Phosphorthioat-Oligonukleotid das seit 1996 als Virostatikum zur Behandlung von Infektionen mit dem Cytomegalievirus (CMV) bei Immundefizienz (z.B. bei AIDS) eingesetzt wird. Fomivirsen weist eine komplementäre Sequenz zur mRNA, der major immediate-early (MIE) transkriptionalen Einheit des humanen Zytomegalievirus (CMV)auf. Durch die Bindung der aRNA an die komplementäre mRNA wird die Translation dieser viralen mRNA blockiert (Anderson KP et al. 1996). Es findet keine Proteinsynthese statt. Durch die Doppelstrangbildung wird das zelleigene Enzym Ribonuklease H aktiv und spaltet die mRNA in diesem Bereich. Das Oligonukleotid wird dadurch wieder frei und kann an eine weitere mRNA binden.

Das oral applizierbare Antisense-Oligonukleotids (Mongersen) wurde in mehreren klinischen Studien bei Patienten mit Morbus Crohn eingesetzt werden. Mongersen hemmt SMAD7, ein Molekül, das die Freisetzung vonTGF-ß1 blockiert (Monteleone G et al. 2015). SMAD7 wird u.a. bei Morbus Crohn überexprimiert. Diese Überexpression führt zu Störungen im „TGF-beta“-Signalweg dessen ungestörte Funktion sich entzündungshemmend auswirkt. Eine Blockierung des TGF-beta-Signalweges durch überexprimiertes SMAD7 (bzw. durch CYLD) unterdrückt die Funktion regulatorischer T-Zellen und führt zu Entzündungsreaktionen, ein Mechanismus dem eine pathogenetische Bedeutung beim Morbus Crohn beigemessen wird. Eine Zulassung von Mongersen wird erwartet.

Antisense-Oligonukleotide bei Tumorerkrankungen: Bei Tumorerkrankungen tragen in der Regel mehrere proliferationsfördernde Proteine (Onkogene) zugleich zum Wachstum bei. Deshalb ist die Hemmung einzelner onkogener Proteine wenig erfolgversprechend. Bestimmte Proteinkinasen spielen jedoch eine übergeordnete Rolle in der Regulation von Proliferation und Differenzierung von Zellen. So führt bei Leukämie-Zelllinien die Hemmung der Proteinkinase A1 (PKA1) mit einem Antisense-Oligonukleotid zu einer Gleichgewichtsverschiebung zugunsten der Expression der Proteinkinase A2 (PKA2).

Hemmung des Bcl-2-Proteins: Oblimersen (Genasense®; auch bekannt als Augmerosen oder bcl-2-Antisense-Oligodesoxynukleotid G3139) ist ein synthetisches einzelsträngiges Phosphorothioat-DNA-Oligonukleotid mit 18 Basen, das zur Herabregulierung der bcl-2-mRNA-Expression entwickelt wurde (Klasa et al. 2002). Oblimersen hybridisiert selektiv mit den ersten 6 Codons des offenen Leserasters, der das Bcl-2-Protein kodiert und verhindert letztlich die Translation des Bcl-2-Proteins. Bcl-2- ist ein zentrales Molekül, das von vielen Tumorzellen überexprimiert wird. Hierdurch wird das Gleichgewicht zwischen Überleben und Apoptose in Richtung auf das Überleben der Tumorzellen verschoben. So können bei vielen Tumorentitäten neoplastische Zellen dadurch überleben, dass sie sich vor dem programmierten Zelltod (Apoptose) schützen. Oblimersen kann durch die komplette Bcl-2-Blockade die Wirkung zytostatischer Therapie gegen eine Reihe von Tumorentitäten verstärken, so bei der chronischen lymphatischen Leukämie, bei B-Zell-Lymphomen, beim Mammakarzinom beim Bronchialkarzinom sowie bei malignen Melanom (Ott PA et al. 2013; Herbst RS et al. 2004). In späteren Studien konnte die Effizienz dieses Therapieprinzips beim metastasierten malignen Melanom allerdings nicht belegt werden (Bedikian AY et al. 2014).

Nicht Antisense-vermittelten Wirkungen“ von Oligonukleotiden: Neben der gezielten Antisense-vermittelten Hemmung eines Zielproteins können zusätzlich weitere Wirkungen von Antisense-Oligonukleotiden nachgewiesen werden, die unabhängig von dem spezifischen Antisense-Effekt auftreten. Diese sogenannten „nicht Antisense-vermittelten Wirkungen“ von Oligonukleotiden beruhen auf deren direkte Bindung an Proteine (Hartmann G et al. 1997). Derartige Effekte können u.a. antivirale, antiadhäsive oder auch immunstimulierende Effekte induzieren.

So ist in therapeutischer Hinsicht die nicht Antisense-vermittelte Immunstimulation der Oligonukleotide von Interesse. Dieser Effekt geht auf generelle Unterschiede in der Basenzusammensetzung bakterieller DNA und der DNA von Wirbeltieren zurück. In bakterieller DNA kommt die Zweiersequenz Cytidin-Base mit darauffolgender Guanidin-Base (CpG-Dinukleotid) häufig vor. In der DNA von Wirbeltieren ist diese Zweiersequenz weniger häufig und durch Anlagerung einer Methylgruppe an der Base Cytidin verändert (im Gegensatz zu nicht methylierter bakterieller DNA). Wirbeltiere erkennen über einen bislang nicht geklärten Mechanismus diesen Unterschied in der Basenzusammensetzung von DNA. Bei Wirbeltieren führt die Erkennung von bakterieller DNA zu der physiologischen Aktivierung einer unspezifischen Immunantwort. Die immunstimulierende Eigenschaft bakterieller DNA kann von synthetischen Oligonukleotiden imitiert werden. Eine Phosphorothioat-Modifikation dieser Oligonukleotide verstärkt zusätzlich deren immunstimulierende Wirkung. Auch Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen werden direkt aktiviert. In diesen Zellen kommt es zu einer verstärkten Synthese der Zytokine Tumor-Nekrose-Faktor-alpha und Interleukin-12. Bakterielle DNA oder Oligonukleotide mit CpG-Dinukleotiden üben jedoch keinen direkten Einfluss auf T-Lymphozyten aus.

Bei inflammatorischen (auch bei onkologischen und viralen) Prozessen sind Proteine bekannt, die wesentlich zur Pathogenese der jeweiligen Erkrankung beitragen. So führen bei inflammatorischen Erkrankungen die Hemmung der Bildung proinflammatorischer Zytokine und leukozytärer/ endothelialer Adhäsionsmoleküle zu einer Verminderung unerwünschter Entzündungsreaktionen. Bei akuten und chronisch entzündlichen Erkrankungen nimmt der proinflammatorische Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNFa) eine zentrale Mediatorfunktion ein. Die Synthese von TNF-alpha kann in Zellkulturen mit Antisense-Oligonukleotiden spezifisch gehemmt werden.

Hinweis(e)

Die kontinuierliche Verbesserung innovativer RNA-Modifikationen sowie die Verbesserung der Freisetzungsmecchanismen (z.B. als Nanopartikel) werden die Entwicklung künftiger RNA-basierter Therapeutika für ein breiteres Spektrum chronischer Krankheiten eröffnen (Adams BD et al. 2017).

Literatur
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  1. Adams BD et al. (2017) Targeting noncoding RNAs in disease. The Journal of clinical investigation 127: 761–771
  2. Anderson KP et al. (1996): Inhibition of human cytomegalovirus immediate-early gene expression by an antisense oligonucleotide complementary to immediate-early RNA. Antimicrob Agents Chemother 40: 2004–2011.
  3. Askari FK et al. (1996) Antisense-oligonucleotide therapy. New Engl J Med 334: 316-320.Bedikian AY et al. (2014) Dacarbazine with or without oblimersen (a Bcl-2 antisense oligonucleotide) in chemotherapy-naive patients with advanced melanoma and low-normal serum lactate dehydrogenase: 'The AGENDA trial'. Melanoma research 24:237–243.
  4. Benimetskaya L et al. (1997) Mac-1 (cdllb/cd18) is an oligodeoxynucleotide binding protein. Nat Med 1997; 3: 414-420.
  5. Bennett CF et al. (2017) Pharmacology of Antisense Drugs. Annual review of pharmacology and toxicology 57: 81–105.
  6. Bennet CF (2019) Therapeutic Antisense Oligonucleotides are coming of age. Annu Rev Med 70:307–321
  7. Finkel RS et al. (2017) Treatment of infantile-onset spinal muscular atrophy with nusinersen: a phase 2, open-label, dose-escalation study. Lancet 388: 3017-3026
  8. Hartmann G et al. (1997) Playground of oligonucleotides: extrapolation from in vitro to in vivo? Nat Med 1997 (letter); 3: 702
  9. Herbst RS et al. (2004) Oblimersen sodium (Genasense bcl-2 antisense oligonucleotide): a rational therapeutic to enhance apoptosis in therapy of lung cancer. Clinical cancer research: an official journal of the American Association for Cancer Research 10: 4245–4248.
  10. Li D et al. (2018) Precision Medicine through Antisense Oligonucleotide-Mediated Exon Skipping. Trends in pharmacological sciences 39: 982–994.
  11. Mercuri E et al. (2018) Nusinersen versus sham control in later-onset spinal muscular atrophy. N Engl J Med 378:625–635
  12. Monteleone G et al. (2015) Mongersen, an Oral SMAD7 Antisense Oligonucleotide, and Crohn’s Disease. N Engl J Med 372:1104-1113
  13. Ott PA et al. (2013) Oblimersen in combination with temozolomide and albumin- bound paclitaxel in patients with advanced melanoma: a phase I trial. Cancer chemotherapy and pharmacology 71:183–191
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