Amöbiasis A06.9

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 18.07.2022

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Synonym(e)

Acanthamöbiasis; Amebiasis; Amöbenruhr; Amoebiasis

Erstbeschreiber

Löch, 1875; Osler, 1890; Councilman u. Lafleur, 1891; Walker u. Sellards, 1913; Brumpt, 1925; Diamond u. Clark, 1993

Definition

Infektion mit pathogenen Amöben. Innerhalb der Gattung Entamoebia ist Entamoeba histolytica die wichtigste pathogene Form. Infektion durch Verschlucken der Zystenformen des Erregers mit dem Trinkwasser oder aus Nahrungsmitteln. Die Gattung Acanthamoeba verursacht v.a. opportunistische Infektionen.  

Erreger

Acanthamöben sowie 3 weitere Amöbengattungen (Naegleria, Balamuthia, Sappinia) zählen zu den freilebenden Amöben, die für opportunische und nicht-opportunistische Infektionen verantwortlich sind. Eintrittsstellen sind Haut und oberer Respirationstrakt.   

Einteilung

Apathogene Amöbiasis: keine Gesundheitsstörungen.

Pathogene Amöbiasis (Acanthamöbiasis):

  • Zysten oder Minutaformen: keine wesentlichen Gesundheitsstörungen.
  • Magnaformen: Adhärenz an Kolonmukosa. Durch proteolytische und zytolytische Eigenschaften Eindringen in die Darmschleimhaut. Verursachte Erkrankungen:
    • Amöbenkolitis (invasive intestinale Amöbiasis, Amöbenruhr)
    • Amöbenleberabszess
    • Amöbom.

Vorkommen/Epidemiologie

Weltweite Prävalenz: ca. 50 Mio. Menschen erkranken jährlich weltweit an invasiver Amöbiasis, bis zu 100.000 Todesfälle jährlich (WHO, 1997).

Vorkommen: überwiegend in warmen Ländern mit niedrigem hygienischen Standard, autochtone Infektionen in gemäßigten Zonen sind eher selten (u.a. Sielarbeiter). In mitteleuropa besteht bei etwa 1% der Bevölkerung eine asymptomatische Darminfektion.  

Gehäuftes Vorkommen bei männlichen Homosexuellen (oral-anale Kontakte, Enddarmspülungen). In dieser Population liegt die Inzidenz bei rund 20%!  

Die Arten der im Wasser und am Boden lebenden Gattung Acanthomoeba spielen v.a. bei Immunsupprimierten als Auslöser einer granulomatösen Amöbenenzephalitis und einer chronischen granulomatösen Dermatitis eine Rolle.   

Ätiopathogenese

Fäkal-orale Aufnahme von Zysten mit kontaminierten Nahrungsmitteln; Freisetzung von kleineren, vegetativen Formen, sogenannten Minutaformen (Trophozoiten) aus Zysten im Darm. Trophozoiten vermehren sich durch Zweiteilung und bilden Zysten, die im reifen, vierkernigen Zustand mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Wenn Trophozoiten in die Darmwand eindringen und Erythrozyten phagozytieren, werden diese zu sogenannten Magnaformen.

Klinisches Bild

Kutane Amöbiasis: Es zeigen sich kutane Abszesse, Ulzerationen, Fisteln oder gangränöse Entzündungen der Haut und Subkutis, meist nebenbefundlich auftretend bei aktiver Amöbenkolitis oder Amöbenleberabszess. Betroffen sind v.a. Perianal- und Genitalregion, Gesäß, Brustregion und Bauchwand. Gelegentlich treten verruköse Papeln oder flächenhaft aggregierte verruköse Papeln/Plaques auf, die Condylomata acuminata ähneln, in denen die Entamöben (oder Acanthamoeba-Arten) histologisch aber zweifelsfrei nachweisbar sind. Das Auftreten von Purpura Schönlein-Henoch bei Patienten mit Amöbiasis ist anhand von Einzelfallberichten beschrieben. Lokalisierte oder auch disseminerte granulomatöse kutane Infektionen durch Acanthamoeba spp. werden v.a. als opportunistische Infektionen beobachtet (v.a. bei HIV-Infizierten). Prädilektionsstellen sind Gesicht, Rumpf, Exremitäten.   

Amöbenkolitis (invasive intestinale Amöbiasis, Amöbenruhr): Bauchschmerzen, Fieber, "himbeergeleeartige", schleimig-blutige Durchfälle, leichtere Formen: breiig-wässrige Durchfälle (häufiger), bis in die Submukosa reichende Ulzerationen (sogenannte Flaschenhals- oder Feldflaschenulzera) schleichende Entwicklung über mehrere Wochen bis Jahre. Chronische Verläufe sind möglich.

Amöbenleberabszess: akut einsetzende Oberbauchschmerzen (vorwiegend rechtsseitig) mit Ausstrahlung in den Rücken, Thorax, Schulter, Fieber, Läsionen: nekrotisches Material, Exsudat und Reste von Granulozyten, die von Amöben lysiert wurden; langsame Entwicklung (im Durchschnitt 3-5 Monate nach Infektion). Chronische Verlaufsformen mit geringem Krankheitsgefühl sind selten.

Amöbom: lokalisierte granulomatöse Entzündungen in der Dickdarmwand, die zu großen Tumoren proliferieren können.

Diagnose

Im Stuhl:

  • Stuhlkultur (zum Ausschluss gleichzeitig auftretender bakterieller Infektionen)
  • Stuhl-Mikroskopie (Sensitivität von 70%): MIFC-Methode im Stuhl (bevorzugt im Nativstuhl, frischer Stuhl/Schleimflocke [in 3 Stuhlproben]): Mikroskopischer Nachweis von Zysten, Minutaformen und Magnaformen im Stuhl. Pathogene und apathogene Darmlumenformen können nicht differenziert werden, Charakteristika der Zysten: E. histolytica größer als 10 µm, E. histolytica maximal 4 Kerne. Nachweis von Magnaformen beweist die Amöbenkolitis.
  • Antigen-Nachweis (ELISA, Sensitivität mit Mikroskopie vergleichbar)
  • PCR (höchste Sensitivität).

Im Serum (Hinweis auf Invasion):

  • Serumantikörper (ELISA)
  • Transaminasen, Cholestaseparameter
  • Entzündungsparameter
  • Blutbild
  • Elektrolyte.

Bildgebung (Abszess, Perforation, Toxisches Megakolon):

  • Abdomensonographie
  • Computertomographie
  • Koloskopie.

Differentialdiagnose

  • Erkrankungen, die mit ähnlicher Klinik einhergehen können:
    • Bakterientoxin-induzierte Diarrhoe
    • Shigellose
    • Salmonellose
    • Campylobacter-Infektion
    • Yersiniose
    • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
    • Bakterieller Abszess
    • Pyomyositis
    • Melioidose
    • Biliäre Askariasis
    • Fascioliasis
    • Maligner Tumor.

Komplikation(en)

  • Akutes Abdomen:
  • Pleuraempyem
  • Lungenabszess
  • Hepatobronchiale Fistel
  • Perikardabszess.

Therapie

Standard: Metronidazol 3mal/Tag 10 mg/kg KG (max. 3mal/Tag 800 mg) i.v. oder oral über 10 Tage (Dosierung für Erwachsene und Kinder).

In leichten Fällen: Tinidazol 2 g/Tag oral für 5 Tage (Kinder: 30 mg/kg KG/Tag, maximal 2 g/Tag). Tinidazol ist nicht mehr in Deutschland zugelassen, aber über Auslandsapotheke zu beziehen ( Off-Label-Use)

Anschließend Zystenbehandlung: Paromomycin 3mal/Tag 500 mg/Tag p.o. über 9-10 Tage (Kinder: 10 mg/kg KG/Tag).

Alternativ: Diloxanidfuroat, Nimorazol, Chloroquin.

Bei Schwangeren: Behandlung indiziert (allerdings sollten 5-Nitroimidazole im 1. Trimester nicht gegeben werden).

Prophylaxe

Nahrungsmittelhygiene (Eiswürfel, Salate, Speiseeis, offene Säfte)

Vermeidung oral-analer Sexualkontakte und Enddarmspülungen.

Nachsorge

Kontrolle des Therapieerfolges: bei schweren Verläufen: Blutbild, Leberwerte, Cholestaseparameter und Entzündungsparameter während und nach der Behandlung, Zeitabstände gemäß Schwere der Erkrankung.

Stuhluntersuchung: 6 Wochen nach Abschluss der Behandlung.

Literatur
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  1. Annesley J (1828) Researches into the causes, nature and treatment of the more prevalent diseases of warm climates generally. Longman, Rees, Orme, Brown and Green, London, Vol. 2 S. 247
  2. Budd, G 1857 On diseases of the liver. Churchill, London, United Kingdom
  3. Burchard GD et al. (2003) Therapy of tropical diseases after returning from travel. Internist 44: 633-642
  4. Carrero JC et al. (2019) Intestinal amoebiasis: 160 years of its first detection and still remains as a
    health problem in developing countries. Int J Med Microbiol:151358.
  5. Kucik CJ et al. (2004) Common intestinal parasites. Am Fam Physician 69: 1161-1168
  6. Losch FA (1975) Massive development of amebas in the large intestine. Translation from the original in Russian. Am J Trop Med Hyg 24: 383-392
  7. Trabelsi H et al. (2012) Pathogenic free-living amoebae: epidemiology and clinical review. Pathol Biol (Paris) 60:399-405.
     

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