ADTKD

Autor: Dr. med. S. Leah Schröder-Bergmann

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Zuletzt aktualisiert am: 10.03.2021

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Erstbeschreiber

Synonyme

Medullär- zystische Nierenerkrankung; MCKD; medulläre Zystennierenerkrankungen; medullär zystische Erkrankung Typ 1; medullär zystische Erkrankung Typ 2; MCKD 1; ADMCKD1; MCKD 2; ADMCKD2; 

 

 

Erstbeschreiber

Thorn et al. beschrieb im Jahre 1944 als Erster einen „medullary cystic disease- familial juvenile nephronophthisis- complex“. Nur ein Jahr später schrieben Smith und Graham über eine chronische Nierenerkrankung, die sie erstmals mit „medullary cystic disease (MCD)“ bezeichneten (Zalewski 2005). 

In den letzten Jahren wurde der Terminus „ Autosomal- dominante tubulointerstitielle Nierenerkrankung (ADTKD)“ eingeführt, der sinnvoller erscheint, da nicht alle Erkrankten Nierenzysten ausweisen (Sauerbruch 2018).

Definition

Unter einer ADTKD versteht man eine hereditäre tubulointerstitielle Nephropathie, die typischerweise bei unauffälligem Urinstatus und -sediment im Erwachsenenalter zu einem progredienten Verlust der Nierenfunktion führt (Risler 2008). Die oftmals begleitende Hyperurikämie kann bereits im früheren Lebensalter auftreten (Sauerbruch 2018).

Einteilung

Die ADTKD zählt zur Gruppe der zystischen Nephropathien (Herold 2021) und ist klinisch- pathologisch kaum von der Nephronophthise zu unterscheiden (Zalewski 2005).

Man differenziert bei der ADTKD zwischen 6 verschiedenen Subtypen:

  • 1. ADTKD- UMOD:

Hierbei findet sich eine Veränderung des Uromodulin- Proteins, auch als „Tamm- Horsfall- Protein“ bezeichnet. Die Patienten entwickeln bevorzugt eine Hyperurikämie mit begleitenden Gichtanfällen. Nierenzysten treten gelegentlich auf (Herold 2021). 

 

  • 2. ADTKD- MUC:

Beim Typ 2 ist das Mucin1 Protein verändert. Bei den betroffenen Patienten finden sich mitunter Nierenzysten (Herold 2021).

 

  • 3. ADTKD- REN:

Typ 3 betrifft das Renin- Protein. Durch die Mutation kommt es zu einer Anämie in der Kindheit, Hypotonie, Hyperkaliämie und es kann zu einem akuten Nierenversagen führen (Herold 2021).

 

  • 4. ADTKD- HNF1B:

Der Hepatocyte nuclear factor 1 beta ist hierbei verändert. Es können dadurch Elektrolytstörungen, urogene Malformationen, bilaterale Nierenzysten und ein genetisch bedingter Defekt der Insulinproduktion, der „Maturity Onset Diabetes of the Young“ (MODY 5) auftreten (Herold 2021 / Kalyani 2018).

 

  • 5. ADTKD- SEC 61A1:

Beim Typ 5 findet sich die Proteinveränderung bei SEC 61A1. Betroffene weisen oftmals eine Kiefer- Gaumen- Spalte, eine kongenitale Neutropenie und Anämie auf (Herold 2021).

 

  • 6. ADTKD- NOS;

Hierbei ist das veränderte Gen bislang nicht identifiziert (Herold 2021).

 

 

Die bis vor kurzem verwendete Bezeichnung „medulläre Zystennierenerkrankungen (MCKD)“ differenziert zwischen Typ I und Typ II (Kasper 2015).

  • MCKD I:

Bei Typ I findet sich die Mutation im Mucin I- Gen. Dadurch kommt es zu einer Veränderung der Repeat- Region im Gen, welches ein großes Neoprotein- Fragment entstehen lässt. Dieses hat toxische Einflüsse auf den renalen Tubulus (Kasper 2015).

Klinisch besteht bei diesen Patienten eine minimale Proteinurie. Sonographisch sind mitunter Zysten nachweisbar. Im Erwachsenenalter kommt es zu einer langsamen, progredient verlaufenden Niereninsuffizienz (Kasper 2015).

 

  • MCKD II:

Bei Typ II besteht die Mutation im sog. UMOT- Gen, welches das Protein Uromodulin kodiert. Dadurch kommt es klinisch zu einer Hyperurikämie. Das Urinsediment ist i. d. R. benigne. Das Risiko für eine chronische Niereninsuffizienz ist nur mäßig erhöht (Kasper 2015).

 

 

Vorkommen

Bei der ADTKD handelt es sich um eine selten vorkommende Erkrankung (Sauerbruch 2018), obwohl sie die größte heterogene Gruppe der hereditären Erkrankungen darstellt, die erst im Erwachsenenalter manifest werden (Knaup 2019).

Die Inzidenz beschreibt Risler (2008) mit 1 : 1.000.000. Bis zum Jahr 2001 waren laut Hegele (2015) lediglich 55 betroffenen Familien weltweit bekannt.

  • ADTKD- UMOD:

Typ 1 kommt mit 70 % am häufigsten vor.

  • ADTKD- MUC:

Typ 2 findet sich zwischen 25 % - 30 %

  • ADTKD- REN:

Typ 3 ist mit 5 % die seltenste Form.

(Wolf 2020)

 

 

Ätiologie

Die Erkrankung wird autosomal dominant vererbt. Inzwischen konnten mehrere Genloci differenziert werden (Sauerbruch 2018).

Manifestation

Die ADTKD kann sich bereits im Kindesalter manifestieren, wird i. d. R. aber erst im Erwachsenenalter (Sauerbruch 2018) in der 3. Lebensdekade manifest (Zivna 2020).

Klinisches Bild

Die Erkrankung beginnt i. d. R. schleichend und verläuft asymptomatisch. Der Blutdruck ist normal (Herold 2021).

Es können rezidivierende Gichtanfälle bestehen (Risler 2008).

Lediglich Patienten mit Renin- Mutation weisen - besonders im Kindesalter - eine ausgeprägte Hypotonie auf (Sauerbruch 2018).

 

 

Diagnostik

Familien- anamnestisch finden sich nicht selten über Generationen gehäuft:

(Risler 2008)

Ausschließlich die molekulargenetische Analyse führt letztlich zu einer sicheren Diagnose (Knaup 2019).

Bildgebung

Sonographie

Die Nieren erscheinen sonographisch eher klein und weisen überwiegend – aber nicht immer - multiple kortiko- medulläre Zysten auf (Sauerbruch 2018).

 

 

Labor

Urin:

Unauffälliges Urinsediment (Herold 2021), allenfalls leichte Proteinurie (Kasper 2015).

Bei Manifestation im Kindesalter:

  • GFR erniedrigt
  • Osmolalität ≤ 800 mosmol / kg H2O (Zalewski 2005)
  • metabolische Azidose
  • Hyperkaliämie
  • renale Anämie (besonders bei Patienten mit Renin- Mutation [Sauerbruch 2018])
  • Hyperurikämie

(Zivna 2020)

Bei Erwachsenen:

  • Hyperurikämie (Zivna 2020)

 

 

Histologie

Histologisch zeigt das Nierengewebe i. d. R. fibrotische Veränderungen (Kasper 2015).

Differentialdiagnose

  • Nephronophthise (bereits in der Kindheit oder Jugend auftretend)
  • Alport Syndrom (Mikrohämaturie)
  • ADPKD = autosomal dominante polyzystische Nephropathie große Zysten
  • Fabry Erkrankung (deutliche Proteinurie)

(Zivna 2020)

 

 

Therapie allgemein

Lediglich die Symptome einer ADTKD können medikamentös entsprechend behandelt werden (s. „Innere Therapie“). 

(Zivna 2020)

 

 

Interne Therapie

Der Patient sollte nach Sicherung der Diagnose umgehend einem Nephrologen vorgestellt werden (Zivna 2020). 

 

Hyperurikämie

Die Hyperurikämie sollte mit einem Harnsäuresenker behandelt werden (Kasper 2015) wie z. B.:

  • Allopurinol 

Dosierungsempfehlung: 200 mg – 300 mg / d (die Dosis sollte ab einer Kreatinin- Clearance von 80 ml / min reduziert werden)

  • Febuxostat 

Dosierungsempfehlung: 80 mg – 120 mg / d. Bei leichter bis mittlerer Einschränkung der Nierenfunktion ist eine Dosisanpassung nicht erforderlich.

(Aktories 2017)

 

Arterielle Hypotonie

Patienten mit Renin- Mutation weisen besonders im Kindesalter eine ausgeprägte Hypotonie auf (Sauerbruch 2018). Medikamentös kann hierbei z. B. Fludrocortison eingesetzt werden.

Dosierungsempfehlung: Initialdosis 0,5 mg p. o., danach 0,1 mg – 0,2 mg p. o. (Paumgartner 2013).

 

Anämie

Die oftmals bei Patienten mit Renin- Mutation auftretende renale Anämie kann mit Erythropoese- stimulierenden Substanzen (ESA) behandelt werden (Sauerbruch 2018). 

Empfohlen wird die ESA- Therapie ab einem Hb zwischen 9,0 – 10,0 g / dl. Der Zielwert sollte bei 10,0 und 11,5 g / dl bzw. 12,0 g / dl liegen.

Folgende Medikamente können eingesetzt werden:

  • Epoetin alfa 

Dosierungsempfehlung: 20 – 50 I. E. / kg KG i. v., 3 x / Woche 

oder

  • Darbepoetin 

Dosierungsempfehlung: 0,45 µg / kg KG i. v., 1 x / Woche

(Kuhlmann 2015)

Operative Therapie

Die zunehmende Niereninsuffizienz können eine Dialyse bzw. eine Nierentransplantation erforderlich machen. Im Transplantat selbst tritt keine Rekurrenz auf (Risler 2008).

 

 

Prognose

Bei Kindern mit ADTKD sollten alle 6 Monate kontrolliert werden:

  • Hb- Konzentration 
  • Kalium
  • Harnsäure 
  • Bikarbonat 
  • Kreatinin
  • GFR

Im Erwachsenenalter reicht es, die o. g. Untersuchungen alle 12 Monate durchzuführen.

(Zivna 2020)

 

Bei der ADTKD tritt meistens zwischen dem 30. - 50. Lebensjahr eine Niereninsuffizienz auf (Herold 2021).

Zur terminalen Niereninsuffizienz kommt es nach:

  • 5 Jahren bei 14 %
  • 10 Jahren bei 29 %
  • 20 Jahren bei 58 %

(Risler 2008)

Hinweis(e)

Falls eine Transplantation erforderlich werden sollte, findet sich keine Rekurrenz der Erkrankung (Risler 2008).

Kinder Betroffener haben ein 50 % Risiko, ebenfalls an der ADTKD zu erkranken. Eine pränatale Testung ist inzwischen möglich (Zivna 2020).

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Aktories K et al. (2017) Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 525
  2. Hegele A et al. (2015) Urologie: Intensivkurs zur Weiterbildung. Thieme Verlag 120 - 121
  3. Herold G et al. (2021) Innere Medizin. Herold Verlag 631
  4. Kalyani R R et al. (2018) Diabetes Head to Toe: Everything You Need to Know about Diagnosis, Treatment, and Living with Diabetes. John Hopkins University Press Baltimore 22 - 23
  5. Kasper D L et al. (2015) Harrison‘s Principles of Internal Medicine. Mc Graw Hill Education 1854
  6. Kasper D L et al. (2015) Harrisons Innere Medizin. Georg Thieme Verlag 2283 - 2284
  7. Knaup K X et al. (2019) Autosomal-dominante tubulointerstitielle Nierenerkrankungen (ADTKD). Der Nephrologe (2) 112 - 119
  8. Kuhlmann U et al. (2015) Nephrologie: Pathophysiologie - Klinik – Nierenersatzverfahren. Thieme Verlag 416 - 418
  9. Manski D (2019) Das Urologielehrbuch. Dirk Manski Verlag 499
  10. Paumgartner G et al. (2013) Therapie innerer Krankheiten. Springer Verlag 232
  11. Risler T et al. (2008) Facharzt Nephrologie. Elsevier Urban und Fischer Verlag 720 – 722
  12. Sauerbruch T et al. (2018) Therapie- Handbuch : Jahrbuch 2018. Elsevier Verlag 66.1.4
  13. Wolf G et al. (2020) Nephrologie: Das Wichtigste für Ärzte aller Fachrichtungen. Elsevier Urban und Fischer Verlag 62
  14. Zalewski Isabella (2005) Phänotyp-Genotyp Korrelation für die Autosomal- Dominante Medullary Cystic Kidney Disease auf Chromosom 1q21. INAUGURAL – DISSERTATION zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.
  15. Zivna M et al. (2020) Autosomal Dominant Tubulointerstitial Kidney Disease- REN. GeneReviews https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK53700/
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