Pilonidalsinus L05.9

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Dr. med. Bernhard Hofer

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Zuletzt aktualisiert am: 18.02.2024

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Synonym(e)

Abszess pilonidaler; Fistula coccygealis; Haarnestfistel; Haarnestgrübchen; Jeep disease; Jeepfahrerkrankheit; Kokzygealfistel; Kreuzbeinfistel; pilonidaler Abszess; Pilonidalfistel; Pilonidal sinus (engl.); Pilonidalzyste; Sacrococcygeal pilonidal sinus; Sakraldermoid; Sinus pilonidalis; Steißbeinfistel; Steißbeinzyste; trichogenes Fremdkörpergranulom

Erstbeschreiber

Mayo, 1833; Hodges, 1880

Definition

Akute oder auch chronisch verlaufende Entzündung im subkutanen Fettgewebe, ausgehend von der Mittellinie der Kreuzbeinregion (pilus = Haar; nidus = Nest). Unterschieden werden asymptomatische, akut abszedierende und chronische Formen. Grundsätzlich können Pilonidalsinus auch in anderen Körperegionen auftreten, so umbilikal und interdigital bei Frisören als trichogene Fremdkörpergranulome.

Vorkommen/Epidemiologie

Meist bei Kaukasiern auftretend. Asiaten sind praktisch nicht betroffen. Die Inzidenz liegt bei ca. 20/100.000 Einwohner.

Ätiopathogenese

Erworbene, multifaktorielle Erkrankung bei fraglicher genetischer Disposition. Wahrscheinlich führen Reibebewegungen der Nates zu einem Einspießen von Haaren in die gegenüberliegende Haut bis in das subkutane Fettgewebe mit nachfolgender Entwicklung eines chronischen, nicht abheilenden Fremdkörpergranuloms.

Ein analoger Mechanismus wird beim sog. Friseurgranulom (Einspießen von Haaren) oder beim Melkergranulom gefunden.

Eine andere ätiologische Bewertung erhalten Pilonidalsinus bei chronisch entzündlichen Follikelprozessen, insbes. bei Acne inversa und Hidradenitis suppurativa.

Manifestation

Meist bei jungen, stark behaarten Männern mit überwiegend sitzender Tätigkeit (Auto-, Motorradfahrer) auftretend. Männer sind 2-4mal häufiger betroffen als Frauen. Vorkommen im Rahmen der Akne-Tetrade möglich.

Lokalisation

Bevorzugt sakro-iliakal lokalisiert. Vergleichbare Krankheitsbilder werden bei Frisören interdigital gefunden. Auftreten ist auch an anderen Lokalisationen möglich (selten): Axillen, Nacken, Fingerzwischenräume, Nabel, am Penis.

Klinisches Bild

Im entzündungsfreien Stadium keine Beschwerden. In der Rima ani sieht man eine oder mehrere, evtl. kleine Fistelöffnungen, oft mit eingewachsenen Haaren. Neigung zu ausgedehnten, hartnäckigen, abszedierenden Entzündungen durch chronische Reibung und Mazeration (Rötung, Fluktuation, starke Schmerzen, evtl. weitreichende, fuchsbauartige Fistulationen mit Sekundäröffnungen). Im chronischen Stadium leiden die Patienten unter serösen übel riechenden Absonderungen aus dem Sinus, die das Alltagsleben erheblich einschränken.

Histologie

Pseudoepitheliomatöse Epidermishyperplasie mit Ausbildung von Gängen. Evtl. Abszesse um Haarfragmente mit Fremdkörperriesenzellen.

Differentialdiagnose

Komplikation(en)

Nach längerem Bestehen ist eine maligne Entartung möglich (überwiegend Plattenepithelkarzinome).

Therapie

Konservative Therapieformen haben sich als nicht kurativ erwiesen (Melnik B et al. 2018).

 

Externe Therapie

Im akut entzündlichen Stadium antientzündliche Lokaltherapie, zumeist mit desinfizierenden Sitzbädern (z.B. Chinolinol 1:1000 oder R042 , Kamillosan, Braunovidon Lsg.) und Salben-Verbänden (z.B. Furacin-Sol).

Operative Therapie

Bei der akut abszedierenden Form ist die Inzision Methode der Wahl. Die optimale Inzisionslokalisation auf dem Apex der Abszesshöhle läßt sich palpatorisch ("teigige Delle") und sonographisch ermitteln. Eine intradermale Lokalanästhesie ist der Vereisung in Bezug auf Analgesie und FCKW-Vermeidung vorzuziehen. Zur Durchführung der Inzision eignen sich dermatologische Biopsiestanzen mit 6 mm Durchmesser. Die damit zirkuläre Entdachung läßt in der Regel eine tamponadefreie Nachbehandlung zu.

Die radikale Exzision sollte wegen der hohen Rezidivquote in diesem Stadium noch nicht erfolgen. Nach Abklingen der Entzündung gilt die komplette Exzision des Herdes (en bloc Exzision) mit anschließender Sekundärheilung als Standard. Eine routinemäßige Exzision bis auf die Sakralfaszie ist unbedingt zu vermeiden, da sie nicht selten therapieresistente Schmerzen trotz rezidivfreier Ausheilung der Wunde nach sich zieht.

Primäröffnungen seitlich der Mittellinie (off-midline pits), Seitengänge und Verzweigungen sind untypisch für die Pilonidalfistel und lassen an eine Akne inversa mit entsprechend ungünstigerer Prognose denken. Die Granulations- und Epithelisationsphase dauert erfahrungsgemäß mindestens 8 Wochen, kann aber in Abhängigkeit von der Größe auch bis zu einem Jahr andauern.

Im entzündungsfreien Intervall operative Sanierung, ggf. nach vorheriger Fisteldarstellung. Großzügige Exzision des Pilonidalsinus und aller Fisteln bis zur Sakrokokzygealfaszie. Anschließend sekundäre Heilung der Wunde.

Um die Granulation aus der Tiefe zu gewährleisten, hat sich die Anwendung eines speziellen Ausgussverfahrens, z.B. Cavi-Care, bewährt. Die tiefe Wunde wird mit dem Zweikomponentenkunststoff ausgegossen, der so entstandene Pfropf mit einer selbstklebenden Folie fixiert. Diese Tamponade ist täglich zu reinigen und erneut in die Kaverne einzulegen. Nach circa 8 Tagen muss die Tamponade erneut gegossen werden, da die Wundhöhle sich zügig verkleinert.

Alternativ zur Sekundärheilung kann die Wunde primär mit Naht oder mittels plastisch rekonstruktivem Eingriff versorgt werden.

Hinweis: Die geringste Rezidivquote von 0-13% wird Exzisionen mit sekundärer Wundheilung nachgesagt. Eine Übersichtsarbeit von Iesalnieks et al. (Lesalnieks I et al. 2019) gibt allerdings eine Rezidivrate bis 57 % an. Beim Primäreingriff sind Rezidivraten bei plastischer Rekonstruktion nach Karydakis < 5 % realistisch. 

Verlauf/Prognose

Es gibt keine Spontanheilung. Ein asymptomatischer Pilonidalsinus persistiert lebenslang, kann aber auch akut in die abszedierende Form und dann in das chronische Stadium übergehen.

Prophylaxe

Nach Abheilen der Wunde empfiehlt sich neben der konsequenten ständigen Enthaarung eine verbesserte Körperhygiene. Es hat sich bewährt, die Behaarung der Anogenitalregion mittels Laser-Epilation zu beseitigen.

Naturheilkunde

Zur Desinfektion der tiefen Wundhöhle hat sich die Spülung mit verdünnter Calendula-Essenz bewährt. Diese führt auch bei multiresistenten Keimen zu einer ausreichenden Keimreduktion.

Hinweis(e)

Unzutreffende Synonyma für die Erkrankung sind die Bezeichnungen Steißbeindermoid, Sakraldermoid, Dermoidzyste, Steißbeinfistel und Raphefiste.

Noch fehlend ist eine allgemein anerkannte Klassifikation für den Schweregrad des Pilonidalsinus (Beal EM et al. 2019).

Literatur
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  1. Beal EM et al. (2019) A systematic review of classification systems for pilonidal sinus.
  2. Tech Coloproctol doi: 10.1007/s10151-019-01988-x.
  3. Bradley L (2010) Pilonidal sinus disease: a review. Part one.
  4. J Wound Care 19:504-508. 
  5. De Martino C (2011) Squamous-cell carcinoma and pilonidal sinus disease. Case report and review of literature. Ann Ital Chir 82:511-514.
  6. Hegele A et al. (2003) Reconstructive surgical therapy of infected pilonidal sinus. Chirurg 74: 749-752
  7. Hodges RU (1880) Pilonidal sinus. Boston Med Surg J 103: 485
  8. Karydakis G (1992) Easy and successful treatment of pilonidal sinus after explatnation of its causative process. Anz Journal of Surgery 62: 385-389.
  9. Lesalnieks I et al.  (2019) The management of pilonidal sinus. Dtsch Arztebl Int116: 12–21.
  10. Melnik B et al. (2018) Akne und Rosazea. In: Braun-Falco`s Dermatologie, Venerologie Allergologie G. Plewig et al. (Hrsg) Springer Verlag S 1324
  11. Testini M et al. (2001) Treatment of chronic pilonidal sinus with local anaesthesia: a randomized trial of closed compared with open technique. Colorectal Dis 3: 427-430
  12. Sondenaa K et al. (2002) Influence of failure of primary wound healing on subsequent recurrence of pilonidal sinus. combined prospective study and randomised controlled trial. Eur J Surg 168: 614-618
  13. Downs AM, Palmer J (2002) Laser hair removal for recurrent pilonidal sinus disease. J Cosmet Laser Ther 4: 91
  14. Matsushita S et al. (2002) A case of squamous cell carcinoma arising in a pilonidal sinus. J Dermatol 29: 757-758

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