Kältepannikulitis M79.86

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 19.12.2022

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Synonym(e)

Adiponecrosis subcutanea e frigore (Haxthausen); Cold panniculitis; Equestrian cold panniculitis; Haxthausen`s disease; Kälteallergie; Kältepannikulitis; Popsicle-Panniculitis; Reiterpannikulitis

Erstbeschreiber

Haxthausen 1941

Definition

Örtlich begrenzte Entzündung des Unterhautfettgewebes, im Gefolge äußerer Einwirkungen wie Kälte oder Nässe. Typischerweise treten 2 bis 3 Tage (seltener verzögert nach 10-14 Tagen) nach lokaler Unterkühlung, tief kutan gelegene, sukkulente, schmerzhafte Knoten im Fettgewebe auf.

Ätiopathogenese

Ursächlich wird bei Neugeborenen ein höherer Gehalt an gesättigten Fettsäuren im Fettgewebe insbes. Palmitin- und Stearinsäure gefunden. Diese altersbedingte physiologische Besonderheit bedingt einen erhöhten Solidifikationspunkt (Erstarrungspunkt einer Phasenumwandlung). Diese Besonderheit  führt bei lokaler Abkühlung zu einer vorzeitigen Verfestigung des Fettgewebes, zum Ausfällen von Lipidnadeln (Needle-shaped clefts) und zu einer entzündlichen Lokalreaktion. Die Auslösung einer Kältepannikulitis ist somit bei Neugeborenen obligat möglich (Beispiel: popsicle panniculitis = Eis-am Stiel-Pannikulitis)!  Das fetale Fettgewebe reduziert sich im Laufe des ersten Lebensjahres. 

Ein analoger Mechanismus wird auch beim Sclerema neonatorum und bei der Adiponecrosis subcutanea neonatorum diskutiert.

Bei Erwachsenen ist die Ursache abgesehen von der direkten Kälteeinwirkung (Reiterpannikulitis) unklar.

Vereinzelt wurden Kryoproteine nachgewiesen.     

Manifestation

Kleinkinder, junge Mädchen, seltener adipöse Frauen.  

Lokalisation

Vor allem Kinnregion (Doppelkinn), Mammae, Nates, äußere Oberschenkelpartien (Reiterpannikulitis, verstärkt durch unbewegliches Sitzen in der Kälte und Tragen von engen Reithosen).

Klinisches Bild

1-3 Tage nach Abkühlung (meist im Winter, nach Aufenthalt im Freien) flächiges oder retikuläres rotes bis blau-rotes Erythem mit umschriebenen 1-5 cm großen, leicht schmerzenden Knoten und/oder Plaques. Bei Bewegung können auch pochende Schmerzen in den Läsionen auftreten. Haut ist kühl. Spontane Rückbildung innerhalb von 2-5 Wochen.

Histologie

Lobuläre Pannikulits mit gemischten Infiltraten in der tiefen Dermis sowie dem unterlagernden Fettgewebe. Hier wandverdickte, dilatierte mit Erythrozyten prall gefüllte Gefäße, dichte Infiltrathülsen aus Lymphozyten und eosinophilen Granulozyten. Neutrophile Granulozyten und Histiozyten können begleitend vorhanden sein. Infiltrate zeigen sich auch periadnexiell um Schweißdrüsen und perineural. Adipozyten rupturiert. Nachweis von Schaumzellen und Mikropseudofettzysten.

Diagnose

2-3 minütiges Auflegen von Eisstückchen auf fettgewebsunterlagerte Haut kann zur (nicht obligat) Knotenbildung führen. Kommentar: Dieser Test ist nicht zuverlässig!

Differentialdiagnose

  • Klinische Differenzialdiagnosen:
    • Perniones: Akral lokalisierte, teigige, meist deutlich schmerzhafte Plaques oder Knoten. Meist deutliche Akrozyanose. Die Dauer der Veränderungen ist unterschiedlich und beträgt Stunden aber auch mehrere Tage bis Wochen. Bei Erwärmung können Juckreiz oder Brennen auftreten.
    • Lupus-Pannikulitis: Selten; meist mehrere, häufig symmetrisch lokalisierte, feste, scharf begrenzte meist symptomlose, subkutane Knoten oder Plaques. Die darüberliegende Haut ist diskret rot oder braun-rot und kann leicht eingezogen sein. Keine eindeutige Kälteauslösung.
  • Histologische Differenzialdiagnosen:
    • Erythema nodosum: Wie bei Kältepannikulitis besteht septale Pannikulitis. Initial: Infiltration durch neutrophile Granulozyten in den Fettgewebssepten, Ausbildung von Miescher`schen Radiärknötchen; Ödem, Makrophagen, Schaumzellen. Vollstadium: Granulomatöse Reaktion des Fettgewebes; unspezifische Begleitreaktion in der retikulären Dermis; Fettgewebssepten sind fibrotisch umgewandelt.
    • Adiponecrosis subcutanea neonatorum: Tritt nur bei Neugeborenen auf (somit klinisch auszuschließen!). Lobuläre Pannikulitis mit Fettgewebsnekrosen. Meist wechselhaft dichte Infiltrate aus clusterförmig angeordneten Schaumzellen und mehrkernigen Riesenzellen mit radiär-gestellten "needle shaped clefts". Fibroblasten in wechselnder Anzahl. Die nadelartigen, optisch leeren Räume entsprechen herausgelösten Fettsäurekristallen. Seltener Auftreten von Kalzifikationen.

Externe Therapie

Nichtsteroidale Antiphlogistika wie Indometacin (z.B. Amuno-Gel), Ibuprofen (z.B. Dolgit Creme) oder Piroxicam (z.B. Felden-top-Creme) in dicker Schicht auf läsionale Haut auftragen.

Interne Therapie

Bei starken Beschwerden und kaltem Wetter nichtsteroidale Antiphlogistika, z.B. Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin) 1,5-2,0 g/Tag p.o. oder Diclofenac (z.B. Voltaren Tbl./Supp.) initial 150 mg, als Erhaltungsdosis 100 mg/Tag p.o.


CAVE: Kein ASS bei Kindern unter 15 Jahren, da Gefahr des Reye-Syndroms!

 

Prophylaxe

Ausreichender Kälteschutz!

Fallbericht(e)

  • Die 28 Jahre alte (schlanke) Reiterin bemerkte erstmals im Winter brennende und schmerzende Hautveränderungen an den Streckseiten beider Oberschenkel, die nach 2-3 Wochen ohne jegliche Therapie abheilten. 1 Jahr später im November erneute HV, die diesmal jedoch nicht abheilten, sondern ständig rezidivierten.
  • Befund: Nachweisbar waren an den Streckseiten beider Oberschenkel sowie an beiden Glutäen zahlreiche flächige und retikuläre, blau-rote Erytheme sowie mehrere umschriebenen 1,0-3,0 cm große, leicht schmerzende, rote Knoten.
  • Labor: o.p.B. Insbes. keine Kryoglobuline, keine CRP-Erhöhung, keine ANA, keine Schilddrüsen AK.
  • Histologie: Septolobuläre Pannikulits mit gemischten Infiltraten in der tiefen Dermis sowie dem unterlagernden Fettgewebe. Vereinzelt neutrophile Granulozyten und Histiozyten. Lympho-histiozytäre Infiltrate zeigten sich auch periadnexiell um Schweißdrüsen und perineural.
  • Verlauf: Nach konsequenter Vermeidung der Kälteexposition (Tragen von Thermounterwäsche und wärmeisolierenden Reithosen) heilten die pannikulitischen Erscheinungen ohne weitere Therapie komplett ab.

Literatur
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  1. Haxthausen H (1941) Adiponecrosis e frigore. Br J Dermatol 33: 83-89
  2. Huang FW et al. (2008) Popsicle panniculitis in a 5-month-old child on
    systemic prednisolone therapy. Pediatr Dermatol 25:502-503.
  3. Hultcrantz E (1986) Haxthausen`s disease. Cold panniculitis in children. J Laryngol Otol 100: 1329-1332
  4. Lipke MM et al. (2015) Cold panniculitis: delayed onset in an adult. Cutis 95:21-24
  5. Macdonald JM et al. (2003) Lymphedema, lipedema, and the open wound: the role of compression therapy. Surg Clin North Am 83: 639-658
  6. Mooser G (2001) Cold panniculitis--an unusual differential diagnosis from aluminium allergy in a patient hyposensitized with aluminium-precipitated antigen extract. Contact Dermatitis 44: 368
  7. Rajkumar SV et al. (1976) Popsicle panniculitis of the cheeks. A diagnostic entity caused by sucking on cold objects. Clin Pediatr 15: 619-922
  8. Runge J et al. (2011) Kältepannikulitis. Akt Dermatol 37: 184-185
  9. Ter Poorten JC et al. (1995) Cold panniculitis in a neonate. J Am Acad Dermatol 33: 383-385
  10. Wagner G et al. (2010) Die Kältepannikulitis bei Reiterinnen. Akt Dermatol 36: 403-407

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