Nichttuberkulöse Mykobakterien

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 19.10.2023

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Synonym(e)

MOTT; MOTT-Mykobakterien; Mycobacteria other than tubercle bacilli; Mykobakterien nichttuberkulöse; Nichtklassifizierbare Mykobakterien; Nichttuberkulöse Mykobakterien; NTM

Erstbeschreiber

Bekannt sind die nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM) fast so lange wie M. tuberculosis selbst, allerdings wurde ihre klinische Bedeutung erst in den 1950er Jahren erfasst.

Definition

Der Begriff „Nichttuberkulöse Mykobakteriosen“, kurz „NTM“, bezeichnet eine heterogene Gruppe von mehr als 190 Umweltmykobakterien, die durch eine breite Vielfalt hinsichtlich ihres Vorkommens und ihrer Anpassung an Umweltbedingungen charakterisiert ist. Der Bezug zu den obligat pathogenen Mykobakterienspezies der Tuberkulose und Lepra spiegelt sich in der antipodischen Namensgebung „Nichttuberkulöse Mykobakteriosen“ wider. 

NTMs sind fakultativ humpathogen und können als opportunistische Erreger, unter bestimmten Bedingungen, manche nosokomial, v.a. bei immuninkompetenten aber auch bei immunkompetenten Personen klinisch relevant werden. Einige klar abgrenzbare dermatologische Krankheitsbilder wie das "Schwimmbadgranulom"  und das "Buruli-Ulkus" beziehen sich auf definierte Krankheitserreger wie M. marinum und M.ulcerans. Andere NTM-Infektionen sind hinsichltich ihrer klinisch-dermatologischen Symptomatik wenig charakteristisch, sodass sich ihre Zuordnung häufig als mikrobiologscher Zufallsbefund  herausstellt.     

Auch interessant

Erreger

Bislang wurden mehr 190 verschiedene NTM-Spezies entdeckt; weitere werden folgen. Neben den NTMs, die auch in Umweltproben nachgewiesen werden konnten, gibt es Spezies, wie z. B. M. ulcerans, M. marinum, M. genavense oder M. haemophilum, die deutlich wirtsspezifischer sind als andere Arten. Für M. genavense sind Infektionen von Vögeln beschrieben. Es gibt aber keinen Hinweis auf eine Verbreitung außerhalb dieses Wirts.

Mycobacterium ulcerans, der Erreger des Buruli-Ulkus, wurde weltweit in über 33 Ländern diagnostiziert, nicht nur in tropischen Gebieten Westafrikas sondern auch in Gebieten mit gemäßigtem nicht-tropischem Klima, darunter in Australien und Japan. In gemäßigten Zonen Australien sind M.ulcerans- Infektionen ebenfalls bekannt (Bairnsdale ulcer). Der Erreger wurde auch in Moskitos nachgewiesen (Aedes camptorhynchus/ Johnson PD et al. 2007).

Für M. haemophilum werden Wasser-Reservoire als eine wahrscheinliche Infektionsquelle angesehen.

Für M. marinum Fische und Meerefrüchte. Hautveränderungen treten am Ort der Inokulation als granulomatöse, meist verruköse Plaques oder Knoten auf, unbehandelt auch als sporotrichoid angeordnete kutan-subkutane Knoten. 

M. intermedium: kann eine granulomatöse Dermatitis verursachen. Es sind Fälle bekannt geworden bei denen M. intermedium durch kontaminiertes Wasser von Whirlpools übertragen wurtde (Edson RS et al. 2006). 

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Grundsätzlich kann man die Nichttuberkulösen Mykobakterien unterteilten in:

  • langsam wachsende NTM
  • und
  • schnell wachsende NTM

Weiterhin kann eine Unterteilung auf der Grundlage ihrer Pigmentproduktion erfolgen nach:

  • photochromogen
  • skotochromogen
  • oder unpigmentiert.

Diese Unterteilungen haben für den klinisch tätigen Arzt keine größere Bedeutung.

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Langsam wachsende NTM:

Die Liste der klinisch wichtigen, langsam wachsenden nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM) wird ständig erweitert, da neue Arten identifiziert und ältere als pathogen erkannt werden. Einige NTM sind nicht neu entdeckt worden, sondern galten bisher als praktisch nicht pathogen. Früher wurden viele von ihnen als Kontaminanten betrachtet, wenn sie aus klinischen Proben isoliert wurden. Da sie in der Natur allgegenwärtig sind, werden viele NTM aus Grund- oder Leitungswasser, Erde, Hausstaub, Haus- und Wildtieren sowie Vögeln isoliert. Die meisten Infektionen erfolgen durch Inhalation oder direkte Inokulation aus Umweltquellen.

* dem M.-avium-Komplex zugehörig

Schnell wachsende NTM: Die namensgebende Eigenschaft von schnell wachsenden Mykobakterien ist, dass sie in weniger als 7 Tagen bei ihrer optimalen Wachstumstemperatur ein deutliches Wachstum zeigen. Diese Aussage bezieht sich nur auf Standardkulturbedingungen. Schnell wachsende Mykobakterien sind deutlich widerstandsfähig gegenüber verschiedensten Umweltbedingungen. Sie sind deshalb weit verbreitet (Falkinham 3rd JO 2009).

  • M. abscessus** (nach kosmetischen Eingriffen, sonstige nosokomiale Übertragungen)
  • M. alvei
  • M. aurum
  • M. boenickei
  • M. brumae
  • M. chelonae**
  • M. confluentis
  • M. elephantis
  • M. fortuitum-Komplex** (M. abscessus, M. fortuitum, M. chelonae).
  • M. goodii (Katheter-assoziierte nosokomiale Infektionen)
  • M. holsaticum
  • M. immunogenum (gehäuft nach kosmetischen Eingriffen, andere nosokomiale Übertragungen)
  • M. iranicum sp. nov.
  • M. margeritense
  • M. mucogenicum
  • M. peregrinum
  • M. phocaicum
  • M. septicum (Phlegmonöse Hautinfekte nach kosmetischen Operationen; Pneumonie)
  • M. thermoresistible

** zum M.fortuitum-Komplex zugehörig

Vorkommen/Epidemiologie

Weltweit und insbesondere in Ländern mit niedriger Tuberkuloseprävalenz, konnte in den letzten drei Dekaden eine Zunahme der Prävalenz und der Bedeutung der "Nichttuberkulösen Mykobakteriosen" beobachtet werden (Griffith DE et al. 2007). Insbesondere die HIV-Infektion, die vor Einführung der antiretroviralen Therapie (HAART) häufig durch Erkrankungen mit Mycobacterium-avium-Komplex (MAC) kompliziert wurde, hat die Aufmerksamkeit auf die NTM gelenkt (American Thoracic Society 1987).

Der Rückgang der Tuberkulose ist in den meisten europäischen Ländern gut dokumentiert. Hingegen spielen NTM, auch in Deutschland , seit einigen Jahren eine zunehmende Rolle, auch bei Nicht-HIV-Infizierten (Kendall BA et al. 2013; Schönfeld N et al. 1996). Immunmodulierende Medikamente (Zytostatika, Immunsuppressiva, Biologika ggfs. in Kombination mit Glukokortikoiden) die im modernen Therapiemanagement von rheumatologischen, autoimmunologischen, onkologischen Erkrankungen und von transplantierten Patienten - Chatzikokkinou P et al. 2015) von zunehmender Bedeutung sind, können hierbei eine Rolle spielen. Hinzu kommen artifizielle Übertragungen von NTM bei kosmetischen Eingriffen aller Art. 

Damit rücken NTM-Infektionen zunehmend auch in den dermatologischen Fokus, einerseits im Hinblick auf die präventiven Maßnahmen bei immunmodulierend Behandelten, andererseits im Hinblick auf Diagnostik und Therapie bei kutanem Befall. Für die Zunahme der NTM-Infektionen werden mehrere Gründe angeführt: eine alternde Bevölkerung mit vermehrten Komorbiditäten, HIV-Infektionen, häufigere Anwendung von Immunsuppressiva und immunsuppressiv wirkende Onkologika, eine sensitivere Labordiagnostik und möglicherweise eine geringere kreuzreaktive Immunität gegenüber Mykobakterien als Folge der Abnahme an Tuberkuloseinfektionen in den Industrieländern.

Aus Kanada wurde eine Zunahme der NTM-Infektionen zwischen 1997 und 2003 von 9,1/100.00 auf 14,1/100.000 Einwohner berichtet.

In Australien wurde ein Anstieg der Prävalenz pulmonaler nichttuberkulöser Mykobakteriosen von 2,2 auf 3,3/100.000 Einwohner im Zeitraum 1999 – 2005 gesehen (Winthrop KL et al. 2010; Thomson RM 2010).

In Dänemark wurde die Inzidenz der echten NTM-Erkrankungen auf 1,08/100.000 geschätzt (Andrejak C et al. 2010). Die klinisch relevantesten NTM-Spezies waren M. xenopi und M. avium.

Für Deutschland gibt es bei Erwachsenen keine Prävalenzschätzungen (für NTM besteht nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) wegen der fehlenden Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch keine Meldepflicht (auch sind grundsätzlich Umgebungsuntersuchungen und besondere Infektionsschutzmaßnahmen bei NTM-Infektionen nicht notwendig).

Epidemiologisch ist der Mycobacterium avium-Komplex (MAC) für einen Großteil der NTM-Infektionen verantwortlich. Weitere häufigere Erreger sind Mycobacterium kansasii, Mycobacterium xenopi, Mycobacterium marinum (Erreger des sog. Schwimmbadgranuloms), Mycobacterium ulcerans (Erreger des sog. Buruli-Ulkus), Mycobacterium-fortuitum-Komplex (M. fortuitum, M. abscessus und M. chelonae/ lymphangitische Granulome).

Der alleinige Nachweis von NTM ist nicht gleichbedeutend mit einer Erkrankung. So sind die besonders häufig isolierten Spezies (wie Mycobacterium gordonae und Mycobacterium-avium-Komplex) auch in der Umwelt weit verbreitete Spezies. Ungeachtet der schwierigen Einschätzung der korrekten epidemiologischen Situation, stellen nichttuberkulöse Mykobakteriosen aber ein relevantes klinisches Problem dar, denn ihre Diagnose ist oftmals komplex, die Therapie ist langwierig, kosten- und betreuungsintensiv und oft mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen verbunden.

Literatur
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