Melkersson-Rosenthal-Syndrom G51.2

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Co-Autor: Christina Rohdenburg

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Zuletzt aktualisiert am: 03.04.2024

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Synonym(e)

Orofacial granulomatosis; Orofaziale Granulomatöse

Erstbeschreiber

Melkersson, 1928; Rosenthal, 1931

Definition

Chronische, systemische, granulomatöse  Entzündung mit der klassischen Symptomentrias: Cheilitis granulomatosa, Fazialisparese, Lingua plicata. Das Vollbild des Syndroms ist selten, häufiger sind unterschiedlich ausgeprägte Minusvarianten. Das von E. Melkersson und C. Rosenthal erstbeschriebene Krankheitsbild wird heute zunehmend unter dem umfassenderen Begriff "orofaziale Granulomatose" geführt und allgemeiner als: "rezidivierende uni- oder bilaterale, orofaziale Schwellung mit Hirnnervendysfunktionen oder -paresen" definiert.

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz für das Melkersson-Rosenthal-Syndrom (MRS) wird bei Erwachsenen mit 1:1250 angegeben (Ziem et al. 2000). Bei Kindern ist das Vollbild des MRS selten.

Ätiopathogenese

Unbekannt. Diskutiert werden:

  • Konstitutionsanomalie, erbliche oder erworbene Störung des autonomen Abwehrsystems, entzündliche, ggf. infektionsallergische Reaktionen auf unterschiedliche Antigene
  • Bei etwa 30% der Patienten wird über ein familiäres Auftreten berichtet (Feng et al. 2014/Mansour M et al. 2019). Ein autosomal dominanter Erbgang wird diskutiert. Möglicherweise liegt das verantwortliche Gen auf dem Chromosom 9p11. 

Manifestation

Das Durchschnittsalter liegt bei Erstmanifestation bei 14,1 Jahren (Feng et al 2014).

Klinisches Bild

Das komplett ausgebildete Syndrom wird in größeren Kollektiven lediglich bei einer Minorität der Patienten beobachtet. Mono- und oligosymptomatische Fälle sind die Regel (>80%); sie werden v.a. auch als indikatorische Erstmanifestationen gefunden.

Typisch ist ein variabler Verlauf der Symptome mit umschriebenen Gesichtsschwellungen, meist Lippenschwellungen (anfangs rezidivierend, später persistierend, meist einseitig) und Fazialisparese. Die Veränderungen sind für den Patienten funktional und kosmetisch störend, zum Teil auch schmerzhaft.

  • Umschriebene Gesichtsschwellungen:
  • Fazialisparese (bei 19,4% der Fälle): Meist einseitig, in 25% der Fälle beidseitig, immer vom peripheren Typ.
  • Lingua plicata in 54% der Fälle (Normalbevölkerung 13%). Zuordnung zu den Kardinalsymptomen wird in den letzten Jahren verlassen, hat nur noch Indikatorfunktion. Hinweis: Kann in Kopmbinaiton mit einer Exfoliatio areata linguae auftreten.
  • Assoziationen mit einer monogenen Migräne (familiäre hemiplegische Migräne/FHM/Azzarà A et al. 2023) und MRS sind beschrieben. Bemerkenswert ist der Befund bei einer betroffenen Familie, von denen eine Schwester eine rezidivierende Gesichtslähmung mit assoziierten Symptomen des Melkersson-Rosenthal-Syndroms aufwies. Identifiziert wurde eine c.3521C>G missense heterozygote Variante im SCN1A-Gen. Varianten im SCN1A-Gen können neben familiären hemiplegischen Migräne (FHM) ein ganzes Spektrum früh einsetzender epileptischer Enzephalopathien verursachen. Möglicherweise deutet die Mutation im  SCN1A-Gen auf eine Überschneidung zwischen MRS und FHM hin (Azzarà A et al. 2023). 

  • Minorsymptome: Durch häufiges und konstantes Auftreten erlangen sie in der Diagnostik einen wichtigen Stellenwert. Man findet mit absteigender Häufigkeit:
    • Morbus Crohn (6,8%)
    • Migränoide Kopfschmerzen (5,7% -Hazey MA et al. 2009)
    • Parästhesien im Schwellungsbereich
    • Störungen der Tränensekretion
    • Rötung
    • Juckreiz
    • Übelkeit/Brechreiz
    • Sekretionsstörungen der Speicheldrüsen oder Nasenschleimhaut
    • Schwindel
    • Kribbeln
    • Schwitzanfälle im Gesicht
    • Akroparästhesien
    • Hitzegefühl
    • Globusgefühl im Hals
    • akustische Sensationen.
    • systemischer Lupus erythematodes (2,3%)

Differentialdiagnose

Erysipelas recidivans: Charakteristische Vorgeschichte mit der frühen Erysipel-Tetrade (Fieber, Rötung, schmerzhafte Schwellung, akute Lymphadenopathie). Labor: Entzündungszeichen.

Herpes simplex recidivans: Typischer intervallartiger Verlauf mit Zeichen des evidenten Herpes simplex an der Haut.

Oberlippenfurunkel: Akuter Verlauf mit umschriebener dolenter Schwellung. Häufig eitrige Abszessspitze.

Makrocheilie anderer Ursache: Kein wechselhafter Verlauf. Meist evidente Grunderkrankungen wie exfoliative Cheilitiden u.a.

Fazialisparesen anderer Ursache: nicht kombiniert mit anderen Teilsymptomen des Melkersson-Rosenthal-Syndroms.

Therapie

Die Behandlung ist schwierig und häufig erfolglos.

Externe Therapie

Der Einsatz von Glukokortikoiden intraläsional zeigt meist nur vorübergehenden Erfolg und kann zu Beginn eines Schubes sinnvoll sein. Dabei wird 1mal/Monat intradermal injiziert mit Triamcinolonacetonid-Kristallsuspension (z.B. Volon A verdünnt 1:1 mit Lokalanästhetika wie Scandicain).

Interne Therapie

Zugelassene Therapien gibt es bei diesem Krankheitsbild bisher nicht. Leider mangelt es wegen der Seltenheit der Erkankung an belastbaren Studienresultaten. 

  • Verbesserungen lassen sich durch Clofazimin (z.B. Lamprene) erreichen. Insbesondere frühzeitiger Einsatz verbessert die Erfolgschancen, initial 100 mg/Tag p.o. über 10 Tage, anschließend alternierend 100 mg 3-4mal/Woche über 6 Monate, ggf. Wiederholung nach 3 Monaten Pause. Bei ausbleibendem Erfolg kann die Dosierung verdoppelt werden.
  • Alternativ (bessere Therapiemodalität): Fumarsäureester (z.B. Fumaderm®) in der üblichen Dosierung. Über diesen Therapieansatz bestehen eigene persönliche Erfahrungen sowie einige publizierten Kasuistiken (G. Hauck 2017). Bemerkung: Diese Therapie ist über einen Zeitraum von >12 Monaten zu planen!  
  • Alternativ: Dauerhafte Einnahme nichtsteroidaler Antiphlogistika wie Ibuprofen (z.B. Ibuprofen Heumann 400-800 mg/Tag).
  • Alternativ: Systemische Glukokortikoide werden häufig empfohlen, zeigen jedoch unserer Erfahrung nach nur mäßige Erfolge. Prednisolon (z.B. Decortin H) initial 40-60 mg/Tag p.o. über 2-4 Wochen, anschließend langsame Dosisreduktion.
  • Alternativ: Omalizumab (Nettis E et al. 2018)
  • Weitere Verfahren: Vielfältige Therapiemodalitäten mit Chloroquin, Diuretika, DADPS, Acetylsalicylsäure, Nicotinsäureamid u.a. sind mit zweifelhaften Erfolgen beschrieben.

Operative Therapie

Im Stadium persistierender Schwellungen ist die operative Verkleinerung der Lippe (Lippenreduktionsplastik) häufig die einzige Möglichkeit eine dauerhafte Verbesserung zu erreichen.

Verlauf/Prognose

Schubweiser, chronischer, jahrelanger evtl. lebenslanger Verlauf. Quoad vitam gut, quoad sanationem schlecht. Spontanremission möglich.

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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