Karzinoidsyndrom E34.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 13.10.2022

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Synonym(e)

Apudom; Argentaffinoma; argentaffinoma syndrome; carcinoid-cardiac-syndrome; Karzinoid-Syndrom; Karzinoidsyndrom malignes; malignes Karzinoidsyndrom

Erstbeschreiber

Lubarsch, 1888; Oberndorfer, 1907

Definition

Metastasierter, meist im unteren Ileum lokalisierter, endokrin aktiver, von den Zellen des APUD-Systems ausgehender Tumor, gekennzeichnet durch eine anfallsartige Flush-Symptomatik.

Vorkommen/Epidemiologie

Häufigste endokrine Erkrankung des Gastro-Intestinaltraktes. Inzidenz: 0.3-0.5/100.000 Erkrankungen/Jahr.

Ätiopathogenese

Produktion von Serotonin und anderen biologisch aktiven Substanzen (Histamin, VIP, Prostaglandine, Glucagon, Gastrin, Calcitonin) durch die im Karzinoid wuchernden, enterochromaffinen Zellen.

Manifestation

Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen, überwiegend in der 2.-7. Dekade.

Klinisches Bild

Integument: Flush-Symptomatik verbunden mit Juckreizattacken, provozierbar durch vasoaktive Prozeduren und Substanzen (Erregung, warme Suppen, scharf gewürzte Speisen, Alkohol, Salicylsäure, Paracetamol, Methocarbamol, Mephenesin). Bei rezidivierender Symptomatik flächige Zyanose des Gesichts und des Halses, Teleangiektasien, periorbitale Schwellungen. Pellagroide Erscheinungen mit Xerosis, Hyperkeratosen und Schuppung an Nacken und Unterarmen entstehen, wenn die von Karzinoidzellen sezernierten endokrin aktiven Substanzen wie Serotonin, Histamin, Kinine, Prostaglandine aufgrund aufgehobener hepatischer Inaktivierung, meist nach Lebermetastasierung, systemisch wirksam werden.

Extrakutane Manifestationen:

  • Abdomen:Periodische abdominale Schmerzen, Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen
  • Herz: Verdickung und Schrumpfung der Pulmonal- und Trikuspidalklappe sowie des Endokards = Endocarditis fibroplastica; Zeichen eines erworbenen (v.a. rechtsseitigen) Herzklappenfehlers (Trikuspidalinsuffizienz und Pulmonalstenose), Tachykardien, hypotone Krisen sowie asthmoide Beschwerden. ImEKG: Low Voltage, Vorhofsüberlastung re., rechtsventrikuläre Hypertrophie und Rechtsschenkelblock. Während des Karzinoid-Flush kann es zu Koronarspasmen mit Prinzmetal-Angina kommen 
  • Pulmonale Zeichen: Asthma bronchiale. Stoffwechselzeichen: u.a. Heißhungeranfälle mit Spontanhypoglykämien.

Labor

Nachweis erhöhter Hormonproduktion. Nachweis von vermehrter Ausscheidung von 5-Hydroxy-Indolessigsäure im Urin bei etwa 30% der Pat. (mehr als 20 mg/24 Std.). Bei V.a. Insulinom: 72-Std.-Hungerversuch mit Bestimmung von Blutzucker, Plasmainsulinspiegel und C-Peptid. Bei V.a. Gastrinom: Gastrintest.

Histologie

Geschwulst aus argentophilen Zellen (Argentaffinom).

Interne Therapie

  • Bei Inoperabilität oder Metastasen konservative Therapie: Therapie der 1. Wahl: Somatostatinderivat Octreotid (z.B. Sandostatin). Initial 1-2mal/Tag 50 µg Octreotid s.c. Anschließend Dosiseskalation auf 3mal/Tag 100-200 µg s.c.
  • Therapie der 2. Wahl: Interferon alfa-2a (z.B. Roferon) 3mal/Woche 3-6 Mio. IE s.c. oder Polychemotherapie (Streptozocin, 5-Fluorouracil, Cyclophosphamid, Doxorubicin).
  • Behandlung der begleitenden Symptomatik:
    • Flush: Kallikrein-Sekretion: Rezeptorenblocker wie Phenoxybenzamin (z.B. Dibenzyran) 10-60 mg/Tag p.o.
      Histamin-Sekretion: Clemastin (z.B. Tavegil) 1-2 mg/Tag p.o. oder Versuch mit H1-Blockern (z.B. Diphenhydramin) in Kombination mit H2-Blockern (z.B. Ranitidin oder Cimetidin) 3mal/Tag mg p.o.
    • Serotonin-Sekretion: Cyproheptadin (z.B. Peritol) 6-30 mg/Tag p.o.
    • Diarrhoe: Loperamid (z.B. Imodium) 2mal/Tag 1 Kps. oder Tinct. opii simplex 3mal/Tag 10-20 Trp. p.o.
    • Pellagroide Symptome: Nicotinamid (z.B. Nicobion) 200 mg/Tag p.o. oder Nicotinsäure (z.B. Niconacid) 250 mg/Tag p.o.

Operative Therapie

Möglichst frühzeitige chirurgische Entfernung des Primärtumors (i.d.R. Dünndarmteilresektion) und der regionalen Lymphknoten, begrenzte Erfolgsaussichten bei einer Tumorgröße von > 2 cm.

Verlauf/Prognose

5-Jahres-Überlebensrate: 18%. Mittlere Überlebenszeit: 2,5 Jahre. Krankheitsverläufe von bis zu 20 Jahren wurden beobachtet.

Diät/Lebensgewohnheiten

Serotonin-arme Kost (Meiden von Bananen, Walnüssen, Tomaten, Ananas, Zwetschgen, Mirabellen, Melonen, Avocados, Auberginen, Kiwis und Alkohol).

Hinweis(e)

Der Begriff des Karzinoids, obwohl gut etabliert in der medizinischen Terminologie, reicht nicht mehr aus, um dem gesamten morphologischen und biologischen Spektrum der Neoplasien des disseminierten neuroendokrinen Zellsystems gerecht zu werden.

In der WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2000 wird daher statt des Begriffs Karzinoid der übergeordnete Terminus neuroendokriner Tumor (NET) und neuroendokrines Karzinom (NEK) benutzt.

Im Einzelnen wird lokalisationsbezogen und basierend auf verschiedenen morphologischen und biologischen Kriterien zwischen neuroendokrinen Tumoren mit benignem Verhalten, fraglicher Dignität, niedrigmalignem Verhalten und hochmalignem Verhalten unterschieden.

S.u. Neuroendokrine Tumoren des Gastroentero-pankreatischen Systems (GEP-NET)

Literatur
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  1. Boushey RP et al. (2002) Carcinoid tumors. Curr Treat Options Oncol 3: 319-326
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  4. Goede AC et al. (2003) Carcinoid tumour of the appendix. Br J Surg 90: 1317-1322
  5. Kähler HJ, Heilmeyer L (1961) Klinik und Pathophysiologie des Karzinoids und Karzinoidsyndroms. Ergeb Inn Med Kinderheilk 16: 292-559
  6. Lubarsch O (1888) Über den primären Krebs des Ileum nebst Bemerkungen über das gleichzeitige Vorkommen von Krebs und Tuberkulose. Virchows Arch path Anat 111: 280-317
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  8. Oberndorfer S (1907) Karzinoide Tumoren des Dünndarms. Frankf Z Pathol 1: 425-429
  9. Rodriguez J et al. (2003) Combined typical carcinoid and acinic cell tumor of the lung: a heretofore unreported occurrence. Hum Pathol 34: 1061-1065

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