Ichthyosis vulgaris Q80.0

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

Co-Autor: Dr. med. Jeton Luzha

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Zuletzt aktualisiert am: 19.03.2024

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Synonym(e)

Autosomal-semidominante Ichthyosis vulgaris (ADI); Fischschuppenkrankheit; Ichthyosis simplex

Erstbeschreiber

Lorry, 1777; Willan, 1808

Definition

Häufigste Ichthyose mit unterschiedlichem Ausprägungsgrad der Verhornungsstörung mit autosomal-(semi-)dominanter Vererbung einer Filaggrin-Mutation. Bisher sind >40 Mutaionen im Filaggrin-Gen (FLG-Gen) nachgewiesen worden, wobei sich die Mutationen zwischen der europäischen und asiatischen Bevölkderung unterscheiden (Osawa R et al. 2011).  2/3 der Betroffenen weisen 2 Filaggrinmutationen auf und zeigen einen schweren Verlauf. 1/3 der Betroffenen weist nur 1 Filaggrinmutation auf mit einem eher milden klinischen Verlauf der Erkrankung. Die Hauterscheinungen werden erst im Alter von 4-6 Monaten klinisch manifest.

Vorkommen/Epidemiologie

Inzidenz: 1/200-400 Kinder. Daten aus Nordengland ergaben eine Prävalenz von 1:100.

Ätiopathogenese

Autosomal-dominant vererbte Mutation im Filaggrin-Gen (FLG Gen; Genlokus: 1q21-22) mit konsekutiv verminderter oder fehlender Expression von Filaggrin und Profilaggrin bei Patienten mit ausgeprägter Ichthyosis vulgaris. Filaggrin ist ein Strukturprotein, das die Disulfidbrücken zwischen den Keratinozyten in der Hautbarriere miteinander vernetzt und somit eine verstärkende Funktion hat. Durch eine Mutation kann diese Funktion nicht mehr gewährleistet werden und die Haut ist anfälliger für mechanische Reize. Vermutet wird ein Defekt in der posttranskriptionalen Kontrolle der Profilaggrin-Expression (Nullmutationen des Filaggrin-Gens werden auch bei Pat. mit atopischem Ekzem nachgewiesen). 50% der Patienten mit Ichthyosis vulgaris entwickeln eine atopische Dermatitis; 20% entwickeln andere atopische Manifestationen wie Rhinitis allergica und Asthma bronchiale.

Manifestation

Im ersten (nach dem 3. Lebensmonat) bis zweiten Lebensjahr auftretend.

Lokalisation

Universell, symmetrisch. Die Extremitäten sind meist schwerer betroffen als der Rumpf oder das Gesicht. Typisch ist der Befall der Streckseiten der Beine. Charakteristisch ist das Freibleiben der großen Beugefalten (Ellenbeugen, Achseln, Leiste, Kniekehlen). Handfläche und Fußsohlen zeigen eine etwas verdickte Haut. Typisch ist eine verstärkte Handlinienzeichnung (Ichthyosehand).

Klinisches Bild

Fest haftende, meist hellgraue, seltener auch bräunlich-schwärzliche Schuppung auf sebostatischer Haut. Die Schweißproduktion ist vermindert. Insgesamt sind die Hautveränderungen bei der autosomal-dominanten Ichthyosis vulgaris äußerst variabel. Sie können minimal ausgeprägt sein, so dass die Erkrankung kaum erkennbar ist. Bei stärkerer Ausprägung sind die Schuppen größer, dicker, teils auch schwärzlich (Ichthyosis nigricans). Die Haut erscheint dann gefeldert.

Tpisch ist ein hyperlineares Handlinienmuster (s.a.u. Ekzem, atopisches) wie auch die Aussparung der Gelenkbeugen.

Ein zusätzliches Merkmal sind Follikelkeratosen (besonders an den Oberarmstreckseiten und den seitlichen Oberschenkelpartien (in bis zu 75% der Fälle) sein. Die subjektiven Beschwerden sind gering; gelegentlich geringer Juckreiz.

Häufig sind Kombinationen (bis 50%) mit Erkrankungen des atopischen Formenkreises. Weiterhin besteht eine erhöhte Neigung zur Kontaktsensibilisierung.

Histologie

Retentionshyperkeratose mit weitgehend fehlendem Stratum granulosum. Die Epidermis kann leicht verbreitert aber auch verschmälert sein. Interfollikuläre, teilweise follikuläre Orthohyperkeratose. Elektronenmikroskopie: Defekt der Keratohyalinbildung.

Differentialdiagnose

Therapie allgemein

Meiden von Hitze und Anstrengung (es besteht die Gefahr eines Wärmestaus in schwüler Witterung, in der Sauna, bei langen heißen Bädern oder großer körperlicher Anstrengung). Meiden von Tierwolle, Kunstoffgeweben und anderen hautreizenden Stoffen. Günstig sind glatt gewebte Stoffe aus Baumwolle oder Leinen. Viskose wird i.A. gut vertragen.
  • Klimatherapie: Gute bis hervorragende Erfolge können mit thalassotherapeutischen Heilverfahren erzielt werden. Viele Patienten baden täglich und benutzen Schwämme und weiche Bürsten zum Abbürsten der Haut.
  • Ernährung: Keine besonderen Modalitäten empfehlenswert.
  • Psychosomatische Therapieansätze: Ggf. zusätzlich zur somatischen Therapie.

Externe Therapie

Merke! Die regelmäßige pflegende, hydratisierende und je nach Ausprägungsgrad auch keratolytische externe Therapie steht bei der Ichthyosis vulgaris im Vordergrund!

  • Hydratation/Keratolyse: Die besten Resultate werden i.d.R. durch Einsatz von 5-10% Harnstoff (z.B. R102 , R113 ) und alpha-Hydroxysäuren (z.B. Milchsäure R102 , R113 , Glykolsäure, Zitronensäure) erreicht. Gute Effekte werden auch mit Kochsalz-Zusätzen (z.B. R146 oder Propylenglykol-haltigen Salben erzielt. 2-5% Salicylsäure R227 kommt insbes. an stark hyperkeratotischen Stellen infrage. Externe Retinoide sind i.d.R. weniger effektiv R256 , die Konzentration ist niedriger zu wählen (0,025%) als in den handelsüblichen Akne-Präparaten (0,05%). Die richtige Behandlung muss im Einzelfall ausgetestet werden.
  • Hautpflege/Rückfettung: Möglichst geringe Entfettung der Haut! Sparsame Anwendung von Seifen oder Syndets. Keine Verwendung von Flüssigseifen (Gefahr des übermäßigen Gebrauchs). Weniger entfettend ist eine milde Reinigung der Körperhaut mit hydrophilen Körperölen. Hiermit wird ein ausreichender Reinigungseffekt erzielt bei gleichzeitig nachfettender Körperpflege. Statt hydrophilen Ölen können auch O/W-Emulsionen verwendet werden (z.B. Abitima Körperlotion, Lipoderm, Sebamed Lotion). Haut kurz abduschen, Emulsion auf die feuchte Haut auftragen und verteilen.
    Bäder: 2-3mal/Woche Vollbad (10-20 Min.) mit 1% Kochsalz (1 kg auf 1 Vollbad). Alternativ Bäder mit Öl- oder Kleiezusätzen (s. unten).
  • Bei ekzematisiertem oder gereiztem Hautzustand: Bäder mit Öl- oder Kleiezusätzen (z.B. Ölbäder als "Kleopatra-Bad"  oder Kleiebäder). Die Bäder dienen als Reinigungsbäder um Salbenreste, Schuppen und Bakterien von der Hautoberfläche zu entfernen. Es ist sinnvoll, die Patienten ausführlich mit diesen Therapiemodalitäten vertraut zu machen.

    Merke! Das Kleopatra-Bad ist einfach anzuwenden und preiswert: 1 Tasse Milch mit 1 Eßlöffel Olivenöl auf 1 Badewannenfüllung!

    Für Ölbäder stehen zahlreiche Fertigpräparate zur Verfügung (z.B. Balneum Hermal, Ölbad Cordes, Linola fett Ölbad, u.a.).
  • In Kneipp-Büchern werden Milch-Molke oder Kamillenölbäder empfohlen.

Bestrahlungstherapie

UV-Bestrahlungen erweisen sich i.A. als günstig. Zu empfehlen sind Kombinationen aus UVA/UVB oder UVA1 (10-20 J/cm2).

Interne Therapie

In ausgeprägten Fällen ggf. Versuch mit systemischen Retinoiden wie Acitretin (Neotigason). Erwachsene: Initial 10-35 mg/Tag über 4 Wochen, möglichst niedrige Erhaltungsdosis nach Klinik (10-50 mg/Tag). Alternativ Isotretinoin (z.B. Isotretinoin-ratiopharm; Aknenormin) 0,1-0,5 mg/kg KG/Tag, Erhaltungstherapie: 5-10 mg/Tag.

Verlauf/Prognose

Selten schwere Hautveränderungen. Verlauf bis zur Pubertät progredient, jahreszeitliche Schwankungen mit Besserung im Sommer.

Hinweis(e)

50-60% der Patienten leiden gleichzeitig unter den Zeichen einer atopischen Dermatitis oder unter allergischer Rhinkonjunktivitis.

Literatur
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  1. Cuevas-Covarrubias SA et al. (1999) Ichthyosis vulgaris and X-linked ichthyosis: simultaneous segregation in the same family. Acta Derm Venereol 79: 494-495
  2. DiGiovanna JJ, Robinson-Bostom L (2003) Ichthyosis: etiology, diagnosis, and management. Am J Clin Dermatol 4: 81-95
  3. Hofmann B, Stege H, Ruzicka T (1999) Effect of topical tazarotene in the treatment of congenital ichthyoses. Br J Dermatol 141: 642-646
  4. Lorry AC (1777) Tractatus de morbis cutaneis. P. Guillelmum Cavelier, Paris, S. 167-184
  5. Osawa R et al. (2011) Filaggrin gene defects and the risk of developing allergic disorders. Allergol Int 60:1-9.
  6. Oji V (2010) Clinical presentation and etiology of ichthyoses. Overview of the new nomenclature and classification. Hautarzt 61: 891-902
  7. Okulicz JF, Schwartz RA (2003) Hereditary and acquired ichthyosis vulgaris. Int J Dermatol 42: 95-98
  8. Willan R (1808) Ichthyosis. In: On cutaneous disease. Barnard, London, Vol.1, Chapter 4

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