Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Haut L27.0

Autor: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer

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Zuletzt aktualisiert am: 14.08.2020

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Synonym(e)

Adverse cutaneous reaction; Adverse drug reaction; Arzneiallergie; Arzneiexantheme; Arzneimittelallergie; Arzneimittelnebenwirkungen der Haut; Arzneimittelreaktionen der Haut; Cutaneous drug reaction; Drug eruption; Drug-induced exanthema; Exanthematous drug reaction; Kutane Arzneimittelnebenwirkungen; Kutane Arzneimittelreaktionen; Kutane Arzneimittelwirkung unerwünschte; Kutane UAW; UAW; Unerwünschte Arzneimittelreaktionen der Haut; Unerwünschte kutane Arzneimittelreaktionen

Definition

Arzneimittel sind chemische Verbindungen geringer Molekülgröße (meist <1 kD), die zur Behandlung,  Vermeidung oder Diagnose einer Krankheit verabreicht werden. Neben den erwünschen Effekten können sie auch zahlreiche unerwünschte, nicht vorhersehbare Reaktionen auslösen (das griechische Wort Pharmakon bedeutet Heilmittel und Gift zugleich).

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) definieren sich demnach als:

nicht vorhersehbare (unerwartete), unerwünschte und schädliche Wirkung eines in vorgeschriebener Dosis verabreichten Medikamentes unterschiedlicher Ätiologie und Klinik, die Haut und/oder Schleimhäute sowie innere Organe betreffen kann (s.a.u. Pharmakogenetik; s.a. unter Cytochrom-P450-Enzyme). Die Möglichkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen sollte stets im Rahmen einer Risiko-Nutzen-Bewertung  vor Therapiebeginn erwogen werden.

Zeitfaktor:

Eine UAW kann:

oder

oder seltener 

  • erst mehrere Wochen /Monate (UAW vom Spättyp) nach Behandlungsbeginn des auslösenden Arzneimittels auftreten (DRESS)

Pathogenese:

Eine kutane UAW kann immunologisch (IgE- oder nicht IgE-vermittelt) oder nicht-immunologisch (nicht allergische Arzneimittelhypersensitivität - Mechanismus meist unbekannt-, häufig vorhersehbare pharmakologische Nebenwirkungen, toxische, kumulativ toxische Effekte u.a.) bedingt sein.

Klinik (morphologische Kriterien):

Eine kutane UAW kann sichtbar oder nicht-sichtbar, exanthematisch (urtikariell, makulo-papulös -Sonderform lichenoid-, vesikulo-bullös, pustulös) oder nicht exanthematisch (fixe toxische Arzneimittelreaktion, Dyschromien, Angioödem, Pruritus u.a.) de novo auftreten. Nciht-sichtbare kutane Arzneimittelreaktionen kennzeichnen sich durch Pruritus, Brennen oder Stechen der Haut.   

Klinik (Enhancement): 

Eine kutane UAW kann präexistente Hauterscheinungen auslösen oder verschlimmern (s.u. z.B.  Psoriasis vulgaris, Acne vulgaris, Lichen planus).

Eine kutane Arzneimitteleraktion kann solare oder strahleninduzierte Recall-Reaktionen auslösen.     

Systembeteiligungen:

Eine kutane UAW kann mit unterschiedlicher Organerkrankungen assoziiert sein (hämatologisch, nephrologisch, hepatologisch u.a.) 

Wechselwirkungen:

Eine kutane UAW kann durch unerwünschte Wechselwirkungen bedingt sein, die im Prinzip zwischen allen Arzneimitteln auftreten können, aber auch zwischen Arzneimitteln und anderen Substanzen wie z.B. Alkohol, Nikotin, Umweltgiften oder Nahrungsmitteln.

Ko-Faktoren:

  • Ko-Faktor - Infekte:
    • Eine kutane UAW tritt (nur) im Zusammenhang mit infektiösen Ko-Faktoren (z.B. virale Infekte - Typ Epstein-Barr-Virus-Infektion und Einnahme von Antibiotika v.a. Aminopenicilline) auf.
  • Ko-Faktor - Impfungen: AEFI (adverse events following immunisation) können in Verbindung mit             einer Arzneimitteleinnahme auftreten. 
  • Ko-Faktor - physikalische Noxen: 

Nebenwirkungen von Zytostatika werden mittels standardisierter Kriterien erfasst (s.u. Common toxicity criteria).

Einteilung

Aus ätiopathogenetischer Sicht kann man grundsätzlich unterteilen in:

  • UAW Typ A: Nicht-immunologische (augmented - pharmakologisch-toxische) Arzneimittelreaktionen, 70-80% der UAW  (vorhersehbar)
    • Überdosierung
    • Bekannte oder unbekannte Toxizität
    • Interaktionen
    • Teratogenität;
  • UAW Typ B: "Bizarre" Überempfindlichkeitsreaktion auf Arzneimittel; aufgrund der pharmakologischen Eigenschaft nicht erklärbar; (nicht-vorhersehbar oder unerwartet) unerwünschte Arzneimittelreaktion. Derartige Reaktionen treten nur bei speziell disponierten Patienten auf. Hierbei lassen sich 2 Formen unterscheiden:
    •  Arzneimittel-Allergie (die Überempfindlichkeit beruht auf einer immunologischen Reaktion (Typ I - Typ VI - erweitert nach Coombs und Gell; die T-zellulären Typ IV-Arzneimittelreaktionen werden zusätzlich noch in die Typen IVa-d unterteilt; s.u. Immunologische Arzneimittelallergie)
    • Nicht-immunologische Arzneimittelüberempfindlichkeit (ein immunologischer -allergischer - Mechanismus ist nicht nachweisbar:
      • Arzneimittelintoleranz: typische Symptome der pharmakologischen Wirkung (Toxizität) entwickeln sich bereits bei niedrigen Dosen, die üblicherweise toleriert werden.
      • Arzneimittelidiosynkrasie: die Symptome unterscheiden sich von der pharmakologischen Substanzwirkung. Reaktionen mit Symptomen, die allergischen Erkrankungen entsprechen, werden auch als Pseudoallergien bezeichnet.   

Je nach den klinisch prägenden Leiteffloreszenzen unterscheidet man:

Bemerkung: s.a. Einteilung unter Histologie

Neben UAWs der Haut können weitere UAWs je nach Organmanifestation (Systemorganklasse) unterschieden werden:

  • Infektionen und parasitäre Erkrankungen
  • Gutartige, bösartige und unspezifische Neubildungen (einschl. Zysten und Polypen)
  • Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems
  • Erkrankungen des Immunsystems
  • Endokrine Erkrankungen
  • Stoffwechsel- und Ernährungsstörungen
  • Psychiatrische Erkrankungen
  • Erkrankungen des Nervensystems
  • Augenerkrankungen
  • Erkrankungen des Ohrs und des Labyrinths
  • Herzerkrankungen
  • Gefäßerkrankungen
  • Erkrankungen der Atemwege, des Brustraums und Mediastinums
  • Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts
  • Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes
  • Skelettmuskulatur, Bindegewebs- und Knochenerkrankungen
  • Erkrankungen der Nieren und Harnwege
  • Erkrankungen der Geschlechtsorgane und der Brustdrüse
  • Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort
  • Verletzung, Vergiftung und durch Eingriffe bedingte Komplikationen

 

Vorkommen/Epidemiologie

Verlässliche epidemiologische Daten über UAW liegen nicht vor. Durchschnittlich erhält ein Patient anlässlich eines stationären Krankenhausaufenthaltes 10 verschiedene Medikamente. Proportional zur Häufigkeit der Einnahme steigt die Nebenwirkungsrate. Bei der Gabe von < 6 Medikamenten liegt die Zahl der UAW < 5%. Bei Gabe von > 15 Medikamenten liegt diese bei > 40%.

 Merke! Ca. 3-5% der stationären Aufnahmen sind durch Arzneimittelnebenwirkungen bedingt.

Häufigkeiten: UAW´s werden nach ihrer Häufigkeit eingeteilt in:

  • sehr häufig >1:10
  • häufig (> 1:100 <1:10)
  • gelegentlich (>1:1.000<1:100)
  • selten (>1:10.000 <1:1.000)
  • sehr selten (<1:10.000 einschließlich einzelner Berichte).  

Ätiopathogenese

Grundsätzlich kann jedes Medikament jede unerwünschte Arzneimittelreaktion verursachen, wobei gewisse Prioritäten in Abhängigkeit von dem klinischen Erscheinungsbild zu beobachten sind. Wenige weit verbreitete Medikamente sind für 90% aller UAW verantwortlich, z.B. Acetylsalicylsäure, Digoxin, Antikoagulantien, Diuretika, Antibiotika, Glukokortikoide, Zytostatika, Antidiabetika.

Voraussetzung für eine kutane Arzneimittel-Hypersensitivität ist eine stabile Assoziation eines Arzneimittels mit einem Protein, so dass Hapten-Protein-Konjugate  produziert werden können. Ein typischer Weg könnte die Bildung derartiger Konjugation durch Keratinozyten sein (analoger Mechanismus zur kontaktallergischen Reaktion). Jedoch sind nicht alle Medikamente in ihrer nativen Form das eigentliche Allergen. Gelegentlich sind Metaboliten reaktiver als die Ursprungssubstanz (Bioaktivierung).

Es gibt keine "simple" Methode, um eine UAW sicher als solche zu erkennen. Folgende Typen von UAW lassen sich nach ihrem Auslösungsmechanismus identifizieren:

  • Klassische allergische Reaktionen: Spezifische Immunreaktion gegen das Arzneimittel, sofern dies ein Protein, Oligopeptid oder Polysaccharid ist.
  • Autoimmunreaktionen: Ausgelöst z.B. durch Penicillamin oder Impfungen (s.u. AEFI).
  • Immunmodulatorische Wirkungen: Aktivierung von immunkompetenten Zellen durch das Arzneimittel (TNF-alfa-Induktion -s.a. Arzneimittelreaktionen durch Biomodulatoren- und Auftreten von Pseudosklerodermie durch Bleomycin).
  • Genetisch bedingte Enzymanomalien mit Störung des Arzneimittelabbaus: Z.B. Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel; Defekte der N-Acetyltransferase, langsame Azetylierung, u.a.
  • Intoleranzreaktionen: Nicht allergische Reaktionen mit z.T. unbekanntem Mechanismus, u.a. durch:
    • Mediatorfreisetzung aus Mastzellen: (Tartrazin (?), Antibiotika, Muskelrelaxantien, Opioide).
    • Beeinflussung des Arachidonsäure-Metabolismus:  Rö.-Kontrastmittel, Analgetika, Antiphlogistika, Nahrungsmittelfarbstoffe (?), Benzoate(?).
    • Komplementaktivierung (Immunglobulinaggregate, Röntgenkontrastmittel, Protamin).
    • Kinin-Aktivierung (Lokalanästhetika, ACE-Hemmer).
    • Lymphozytenaktivierung (Ampicillin, Hydantoin, Freisetzung v. Neurotransmittern, Erythrosin, Glutamat).
    • Erregung von Rezeptoren des vegetativen Nervensystems (Sulfite, Glutamat, Lokalanästhetika).

 Merke! Die Applikationsart des Arzneimittels spielt eine wesentliche Rolle für die Sensibilisierungshäufigkeit! Das Risiko einer Arzneimittelreaktion nimmt in folgender Reihenfolge zu: peroral > intravenös > intramuskulär > subkutan > topisch!

Danger-Hypothese: Die v.a. bei Kindern zu beobachtende Diskrepanz zwischen vermuteten und tatsächlich bewiesenen Arzneimittel - (meist Antibiotika) Exanthemen, gehen häufig auf bakterielle oder virale Immunreaktionen zurück. Als Erklärungsansatz hierfür gilt die "Danger-Hypothese": Systemische Infektionen mit best. Viren oder Bakterien bzw. Autoimmunerkrankungen können die Reaktionsschwelle des Immunsystems senken. Die Folge sind passagere, infektassoziierte, durch Arzneimittel ausgelöste Autoimmunphänomene (z.B Exantheme im Rahmen der infektiösen Mononukleose und Ampicillineinnahme), die nach Abklingen der immunologischen Aktivierung auch bei einer erneuten Einnahme des verdächtigen Medikamentes nicht wieder auslösbar sind. Hierbei wirken Infekte als Kofaktoren.

Manifestation

Das mittlere Alter der Pat. liegt in größeren Studien bei 65 Jahren (27-96 Jahre). Sie treten bei geriatrischen Patienten 2-3x häufiger auf als bei Patienten < 30 Jahre. Bei geriatrischen Patienten betreffen UAWs deutlich mehr als 10% dieser Bevölkerungsgruppe. 

Lokalisation

Ubiquitär, Haut und/oder Schleimhaut

Auftreten als:

Verschiedene Arzneimittelreaktionen werden durch orthostatische Momente beeinflusst (z.B. untere Extremität, Auflagestellen).

Photoinduzierte oder -aggravierte Exantheme treten in belichteten Arealen auf.

Klinisches Bild

Vielgestaltiger klinischer Verlauf, abhängig vom auslösenden Arzneimittel. Die Schwere der Klinik reicht von harmlos bis lebensbedrohlich, ihr Verlauf von protrahiert bis hochakut, so dass u.U. Notfallmaßnahmen notwendig werden. Entstehung entweder de novo oder durch Exazerbation einer vorbestehenden Erkrankung. Das Hautorgan ist eines der häufig betroffenen Organe. Zumeist imponieren generalisierte, symmetrische, häufig juckende Läsionen unterschiedlicher Morphe. Je nach den klinisch prägenden Leiteffloreszenzen unterscheidet man z.B. makulöse, urtikarielle, papulöse, vesikulöse oder pustulöse Exantheme mit oder ohne hämorrhagischer Komponente oder auch nur Pruritus. Häufig Klinik des Erythema multiforme, der Purpura pigmentosa progressiva, der Urtikaria, des Angioödems oder des Lichen planus.

Weitere Symptome können sein: Fieber (häufig einziges Symptom, meist jedoch gemeinsames Auftreten mit anderen allergischen Manifestationen) und Blutbildveränderungen (alle Reihen der Blutzellen können betroffen sein, z.B. Leukozytose, Eosinophilie, Leukopenie, Linksverschiebung, absolute Lymphopenie, Thrombopenie).

Histologie

Keine wegweisenden histologischen Phänomene. Je nach klinischem Erscheinungsbild (makulös, papulös, urtikariell, EEM) ist ein analoges histologisches Muster zu erwarten. Bei einem größeren Teil der Fälle ist eine Histoeosinophilie zu erwarten. Ansonsten überwiegen Lymphozyten, seltener neutrophile Granulozyten.

Folgende histologische Grundmuster können bei unerwünschten kutanen Arzneimittelwirkungen gefunden werden (var. n. K. Kerl et al. 2016):

Oberflächliche und tiefe dermale Infiltrate (mit/ohne epidermale Beteiligung)

Zytotoxische/lichenoide (epidermale) Arzneimittelwirkung

Spongiotische Arzneimittelreaktion

  • Pityriasis rosea-artige Arzneimittelwirkungreaktion
  • Ekzematöse Arzneimittelreaktion
  • SDRIFE/Baboon-Syndrom

Granulomatöse Arzneimittelreaktion

Leukozytoklastische Vaskulitis

Psoriasiforme Arzneireaktion

Neutrophile Arzneireaktionen

Vesikulöse-bullöse Arzneireaktion 

Arzneimittel-induzierte Pannikulitis

  • Erythema nodosum
  • Pannikulitis nach Chemotherapie
  • Pannikulitis nach Injektion eines Arzneimttels

Follikulitis

Sklerodermiforme Arzneireaktionen

Hyper/und Depigmentierungen

 

Direkte Immunfluoreszenz

Unspezifisch.

Diagnose

Allgemeine Anamnese:

  • Biografische Basisdaten (Geschlecht, Alter, Beruf)?
  • Bekannte Überempfindlichkeiten (gibt es einen Allergie-Pass; sind schon früher allergologische Testungen durchgeführt worden; gibt es IgE-Bestimmungen/RAST-Ergebnisse; war bereits ein stationärer Aufenthalt zu einer Provokationstestung erforderlich; hat der Patient an pharmakologischen Studien oder Verlaufsbeobachtungen teilgenommen)?
  • Atopische Erkrankungen, Nahrungsmittelallergie (auch Familienanamnese)
  • Prädisponierende Erkrankungen (z.B. Asthma bronchiale, Polyposis nasi, chronische Urtikaria, Mastozytose, EBV- oder HIV-Infektion, Stoffwechselerkrankungen)?
  • Sonstige frühere oder aktuelle Erkrankungen?
  • Derzeitige Medikamentenanwendung?
  • Kürzlich erfolgte Impfungen (s.a. Influenza-Schutzimpfungen, Hautveränderungen)?

In zeitlichem Zusammenhang mit der Reaktion angewandte Arzneimittel:

  • Handelsnamen?
  • Einzelwirkstoff oder Kombinationspräparat?
  • Anwendungsform (topisch, Tabletten, Tropfen, Sprays, p.o., i.v., i.m., s.c., rektal)?
  • Inhaltsstoffe (evtl. Wirk-/Hilfsstoffe)?
  • Dauer der Anwendung?
  • Dosierung?
  • Verträglichkeit bei früherer oder erneuter Anwendung?
  • Gibt es noch Reste des angeschuldigten Medikamentes (Chargen-Nummern [sind ggf. Asservate vorhanden])?

Klassifikation der klinischen Reaktion:

  • Zeitlicher Ablauf in Bezug zur Arzneimittelanwendung (Einnahmezeitpunkte; wie oft?; wann traten nach Einnahme Symptome auf: akut = 0-60 Min., subakut = 1-24 Std., verzögert bzw. akzeleriert = mehr als 24 Std. post applikationem)?
  • Symptomatik/diagnostische Zuordnung?
  • Laborbefunde (z.B. Eosinophilie, Transaminasenerhöhung, Blutbildveränderungen, Serumtryptasekonzentration)?
  • Therapie und klinischer Verlauf der Erkrankung?
  • Gab es ähnliche Reaktionen ohne Arzneimittelanwendung in der Anamnese?

Umstände der Reaktion:

  • Datum, Tageszeit des Auftretens?
  • Ursprüngliche Indikation zur Arzneimittelanwendung?
  • Erkrankungen zum Zeitpunkt der Reaktion (z.B. interkurrente Virusinfektion; Grippesymptomatik)?
  • Aufenthaltsort und Tätigkeit (insbesondere körperliche oder psychische Belastung, UV-Exposition)?
  • Nahrungsaufnahme, Alkoholzufuhr, Drogenabusus?

Allergologische Testungen:

Merke! Hauttestungen sollten frühestens 2-3 Wochen nach Abklingen der Reaktionssymptomatik bzw. einer systemischen Glukokortikoidtherapie und/oder Antihistaminikatherapie und nicht später als 3 Monate danach durchgeführt werden!

  • Testmaterial: Arzneizubereitungen, Wirkstoffe, Hilfsstoffe; positive und negative Kontrollen in Abhängigkeit vom Testverfahren; geeignete Testkonzentrationen zur Vermeidung toxischer oder pharmakologischer Reaktionen (z.B. auf Morphinderivate) oder falsch negativer Testergebnisse (ggf. Schwellentest). Hauttestgeeignete Aufbereitung des Materials.
  • Pricktestung oder Intradermaltestung (IDT)
  • Epikutantestung: je nach in Frage kommendem Arzneimittel werden unterschiedliche (nicht-irritative) Hauttestkonzentrationen benötigt.  
  • RAST (spezifisches IgE): Validierte Tests zum Nachweis spezifischer IgE-Antikörper im Serum sind nur für wenige Arzneistoffe (vor allem Betalaktamantibiotika) verfügbar. Ansonsten sind keine standardisierten und evaluierten in-vitro-Verfahren verfügbar.
  • Andere immunologische Labormethoden (z.B. Basophilen-Histaminfreisetzungstest, Basophilen-Aktivierungstest, Leukotrienfreisetzungstest (CAST-ELISA [Sulfidoleukotriene aus peripheren Leukozyten nach Stimulation mit einem spezifischen Antigen], Lymphozyten-Transformationstest) sind nur in bestimmten ausgewählten Fällen für klinische Diagnostik anwendbar. Im Falle positiver Reaktionen sind ausreichende Kontrolluntersuchungen nötig.
  • Bei entsprechender klinischer Symptomatik Bestimmung Arzneimittelmetabolisierender Enzyme zur Erfassung von metabolischen Störungen, die mit einer Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Arzneimitteln einhergehen (z.B. Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase, Dihydropyrimidindehydrogenase, Thiopurin-S-Methyltransferase).
  • Ggf. pharmakogenetische Untersuchungen (z.B. Azetylierungsstatus bei Sulfonamidallergie).
  • Provokations- oder Ausweichtestung (meist einzig sichere Methode zur Diagnostik von Arzneimittelunverträglichkeiten). Provokationstests sind erforderlich, wenn der Auslöser einer Arzneimittelüberempfindlichkeit durch Anamnese, Hauttest und in-vitro-Untersuchungen nicht mit Sicherheit identifiziert werden kann. Dies ist häufig der Fall, insbes. bei vermuteten Reaktionen auf Substanzen unentbehrlicher oder nicht dauerhaft meidbarer Pharmakagruppen (z.B. Analgetika, Lokalanästhetika). Provokationstests dienen auch der Identifizierung von vertragenen Präparaten (Ausweichpräparate, insbes. im Vorfeld beabsichtigter Pharmakotherapien oder präoperativ; bei Risiko von Kreuzreaktionen auf Arzneimittel).

Die abschließende Beurteilung der Befunde muss neben dem Ausfall von Haut-, in vitro- und Provokationstests insbesondere die Anamnese der klinischen Reaktion berücksichtigen. Ein sicherer Ausschluss einer Überempfindlichkeit auf ein Arzneimittel ist auch bei Anwendung aller verfügbaren Testverfahren nicht immer möglich. Das Ergebnis der Gesamtbeurteilung muss im Allergiepass ausführlich niedergelegt werden. Zu dokumentieren sind Reaktionstyp und die nicht vertragenen Substanzen/Präparate mit Hinweis auf mögliche Kreuzreaktionen. Mögliche (getestete) Ausweichsubstanzen/-Präparate sollten mit der genauen getesteten und vertragenen/nicht vertragenen Dosis dokumentiert werden (z.B. Acetylsalicylsäure bis zu einer Einmaldosis von 500 mg bei oraler Provokation vertragen). Dabei ist zu erläutern, dass die zukünftige Verträglichkeit von Ausweichsubstanzen/-Präparaten nicht mit Sicherheit gewährleistet werden kann, da das Ergebnis des Provokationstests nur das Risiko bei Reexposition einzuschätzen erlaubt. Auch Hinweise zu möglicher Pharmakoprophylaxe von Überempfindlichkeitsreaktionen (z.B. Prämedikation bei Gabe von Röntgenkontrastmitteln oder bei operativen Eingriffen in Allgemeinanästhesie) und zur Toleranzinduktion sollten ggf. schriftlich dokumentiert werden.

Bei systemischen Reaktionen ist stets ein Warnpass auszustellen.

Differentialdiagnose

Infektiöse Exantheme! Als DD sind genuine, nicht-arzneimittelbedingte Dermatosen, Virusexantheme, rheumatische oder infektallergische Exantheme auszuschließen, s.a.u. Arzneimittelreaktion, fixe.

Therapie

  • Erkennung und Eliminierung der auslösenden Medikamente. Ab- oder Umsetzen aller in Betracht kommenden Medikamente.
  • Je nach Schweregrad Glukokortikoide in mittleren (60-80 mg Prednisolonäqivalent/Tag) oder höheren (80-200 mg Prednisolonäquivalent/Tag) Dosen, nach Klinik und Bedarf auch mehrfach. Später schrittweise Dosisreduktion und Umstellung auf orale Medikation, dann auch Magenschutz (z.B. Riopan Gel). Antihistaminika bei starkem Juckreiz wie Dimetinden (z.B. Fenistil) 2mal/Tag 1 Amp. i.v. oder Desloratadin (z.B. Aerius) 1mal/Tag 1 Tbl. p.o.
  • Intravenöser Zugang, Kreislaufüberwachung, Bilanzierung, ggf. Intensivüberwachung.
  • Ansonsten richten sich die Therapiemaßnahmen nach dem jeweiligen klinischen Erscheinungsbild, s. jeweils dort.

Tabellen

Häufigste Auslöser von unerwünschten Arzneimittelreaktionen (UAW) nach Klinik

Klinik

Mechanismus

Auslöser

Pruritus

zentral/peripher aktiviert

Neurotrope Medikamente (Opiate, Psychostimulantien, Antidepressiva, Barbiturate

Andere Medikamente (Salicylate, Östrogen, Gestagen)

Exantheme

Früh-/Spätreaktion

> 5%: Penicilline, Carbamazepin, Allopurinol, Goldsalz

1-5%: Sulfonamide, Hydantoin, Isoniazid, Streptomycin, Chloramphenicol, Erythromycin

< 1%: Pyrazole, Barbiturate, Benzodiazepine, Phenothiazin, Tetracycline

Pseudoallergie (s.u. Intoleranzreaktion)

Ampicillin (+ Mononukleose)

Captopril

Erythrodermien

häufig: Pyrazolone, Isoniazid, Streptomycin, Goldsalz, Nitrofurantoin, Carbamazepin, Hydantoin, Lithium, Cimetidin

Fixe Arzneimittelreaktion

spezifische zytotoxische Reaktion auf Medikamente

häufig: Paracetamol, Phenazetin, Phenylbutazon, Sulfonamide, Tetracycline

selten: Salicylate, Codein, Penicillin, Erythromycin, Metronidazol, Sulfone, Chinin

Urtikaria

s.u. Urtikaria

Ekzeme

Typ IV Sensibilisierung nach Ersteinnahme

Antibiotika: Penicilline, Gentamicin, Streptomycin, Chloramphenicol, Clioquinol

Diuretika: Chlorthiazid, Thiazide

Antihistaminika: Promethazin

Sulfonamide: Tolbutamid, Chlorpropamid

Psychopharmaka: Phenothiazide, Chlorpromazin, Carbamezepin

Kardiale Medikation: Aminophylline, Procainamid, Chinin, Aminophyllin, Alprenolol, Oxaprenol, Timolol

andere: Vitamin B12, Disulfiram, Minoxidil, Idoxyuridin

multiforme Erytheme

häufig: Sulfonamide, Barbiturate, Hydantoin, Penicillin

selten: Atropin, Codein, Furosemid, Tetracyclin

Pemphigus

zytotoxisch

Penicillamin, Captopril, Goldsalz, Piroxicam, Rifampicin

Bullöses Pemphigoid

zytotoxisch

Clonidin, D-Penicillamin, Phenazetin, Psoralen (+UVA)

Lyell-Syndrom

s.u. Toxische epidermale Nekrolyse

Purpura

thrombopenisch

häufig: Chlorthiazid, Indometacin, Furosemid

selten: Sulfonamide, Pyrazole, Acetylsalicylsäure, Methyl-DOPA

vaskulär

häufig: Goldsalz, Indometacin, Chinin, Chinidin

selten: Sulfonamide, Pyrazolone, Acetylsalicylsäure

Vaskulitis

Immunkomplexreaktion Typ III

Sulfonamide, Pyrazole, Indometacin, Thiouracil, Phenytoin

Erythema nodosum

Antibiotika: Penicillin, Sulfonamide

Acetylsalicylsäure, Östrogene, Gestagene, Halogene, Goldsalz

Purpura pigmentosa progressiva

s.u. Purpura pigmentosa progressiva

Photosensibilisierung

s.u. Photosensibilisatoren

Akne medikamentosa

s.u. Acne medicamentosa

Lupus erythematodes

s.u. Lupus erythematodes


klinische Fragen zu UAW

  • Gibt es einen überzeugenden zeitlichen Zusammenhang zwischen Applikation der Substanz und dem Auftreten der Symptomatik?

  • Stimmt das Symptom mit einem bekannten pharmakologischen Effekt oder einer bekannten NW der Substanz überein (z.B. Cheilitis nach Einnahme von Acitretin; Schläfrigkeit bei Antihistaminika)?

  • Wurde das Präparat überhaupt eingenommen?

  • Ist die Erkrankung des Pat. selbst oder eine nicht-pharmakologische Therapie als Erklärung für das Symptom ursächlich (z.B. infektiöses Exanthem als DD für ein Ampicillin-Exanthem)?

  • Verschwindet das Symptom nach Absetzen?

  • Ist die UAW nach erneuter Gabe wiederum aufgetreten?

  • Gibt es relevante Laborparameter, die auf eine Arzneireaktion deuten (z.B. hämatologische Werte wie Eosinophilie, Neutrophilie, Neutropenie, Agranulozytose)?

Hinweis(e)

Das Bfarm (Bundesinstiut für Arzneimittel und Medizinprodukte) dokumentiert in einer allen Patienten zugänglichen Datenbank alle Nebenwirkungen eines Medikamentes seit dem Jahre 1995 aufgelistet sind (s.u. (http://www.bfarm.de)

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

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