Dermatozoenwahn F40.20

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 23.10.2020

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Synonym(e)

chronische taktile Halluzinose; delusion of parasitosis; Epizoonosenwahn; Halluzinose chronische taktile; Morgellon Infektion; Parasitenwahn; Parasitophobie; Ungezieferwahn

Erstbeschreiber

Thibièrge, 1894; Meyerson, 1921

Definition

Psycho-neurotische, wahnhafte Vorstellung, von Schmarotzern befallen zu sein. Charakteristisch ist die Ablehnung psychiatrischer Hilfe. Häufig werden "als Erreger verdächtigte" Hautpartikel in Tütchen gesammelt (Matchbox-sign) und zum Arztbesuch mitgebracht. Nicht ganz selten wird die Wahnvorstellung von einer zweiten Person geteilt (folie à deux). S.a.u. Artefakte.

Vorkommen/Epidemiologie

Die Inzidenz wird auf 0,7 - 3,0/100.000 Einwohner/Jahr in der Allgemeinbevölkerung geschätzt.

Ätiopathogenese

Vorkommen bei endogenen und schizophrenen Psychosen, chronischen Halluzinosen mit sekundärer Wahnbildung, bei hirnorganischen Erkrankungen (neoplastisch, vaskulär, infektiös, degenerativ), endokrinen/metabolischen Störungen (Hypothyreose, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Vitamin B12-Mangel, Folatmangel) und toxischen Zuständen mit akuten Deliren (Alkohol, Medikamente), nach längerfristigem Kokainabusus.

Klinisches Bild

Es imponieren zahlreiche Artefakte (längliche Kratzspuren, rundliche Ulzera, krustige Plaques) infolge der Bekämpfung der vermeintlichen Erreger, häufig exzessiver Waschzwang.

Diagnose

Typisch sind:
  • Paradoxes Verhältnis von realen Hauterscheinungen zu vorgebrachter Beschwerdesymptomatik.
  • Matchbox-Zeichen (vermeindliche Erregerbestandteile werden in einer Schachtel präsentiert)!
  • Zuvor praktiziertes Doktor-Hopping!
  • Striktes Verweigern einer psychiatrischen Konsultation!

Differentialdiagnose

Therapie

Patienten ernst nehmen! Versuche, den Patienten von der Nichtexistenz der Ungeziefer zu überzeugen, schlagen in der Regel fehl und führen eher zum Vertrauensbruch zwischen Arzt und Patient (Koryphäenkiller). Der alte Grundsatz: "Der Wahn ist irreal, kritiklos und unbeeinflussbar" ist nach wie vor gültig. In Einzelfällen läßt sich in Zusammenarbeit mit einem Psychiater oder einem Psychotherapeuten eine Besserung erzielen.

Externe Therapie

  • Antipruriginöse Therapie mit z.B. 5% Polidocanol-Schüttelmixtur (z.B. Thesit, R200 ). Fettende blande Pflege der Haut z.B. mit Linola Fett, Excipial U Lipolotio, Ungt. emulsif. aq., 2-5% Harnstoff-Creme/Lotio (z.B. Eucerin 3% Urea Lotio oder Eucerin 5% Urea Creme).
  • Begleitend Öl- und Teerbäder (z.B. Balneum Hermal plus, Linola Fett N Ölbad, Ichthyol Teerbad).

Interne Therapie

  • Ggf. niedrig dosierte Neuroleptika wie Fluspirilen (z.B. Imap 1,5) 1-1,5 mg/Woche i.m. oder Pimozid (z.B. Orap) 1 mg/Tag p.o. über 3 Monate
  • Alternativ kann Risperidon (z.B. Risperdal) 2mal/Tag 1 mg p.o. oder Quetiapin (z.b. Seroquel) 25mg - 50mg als Startdosis (bis 200mg/Tag) versucht werden. Anschließend Tapering der Dosis mit Auslassversuch und Festlegung des weiteren Procedere entsprechend der Klinik.
  • Alternativ: Olanzapin (Zyprexa = atypisches Neuroleptikum) in einer Dosierung von 5,0-10,0 mg/Tag.

Hinweis(e)

Eine Untergruppe des Dermatozoenwahns ist der wahnhafte Befall mit unbelebten Materialien (Morgellons) wie Pigmenten, Fasern, Stacheln, Staub, Sand o.ä., für den der Begriff "Morgellons-Krankheit" zunehmend verwendet wird.

Fallbericht(e)

  • 53-jähriger Mann, chemischer Ingenieur, mit seit 5 Monaten bestehendem Juckreiz und roten Flecken mit schuppigen Auflagerungen und Exkoriationen an den oberen und unteren Extremitäten und dem Rumpf. Der Ausschlag habe begonnen, nachdem er das Haus seiner kürzlich verstorbenen Mutter gereinigt habe. Seitdem würde es "feucht" riechen und es wäre schwarzer Schimmel im Keller. Aufgrund des zunehmenden Juckreizes, hätte er begonnen, sich besonders intensiv zu waschen. Die Schimmelsporen hätte er auch inhaliert und so seinen gesamten Körper infiziert. Der Patient entfernte Hautschichten mit einer Rasierklinge, um sie unter dem Mikroskop zu begutachten und stellte dabei weiße Flusen dar (diese wurden in einem kleinen Schächtelchen gesammelt und präsentiert), die er als Pilz deutete. Der Beruf und seine Hobbies wurden weitergeführt. Die Therapien der niedergelassenen Dermatologen mit topischen Steroiden und Antihistaminika blieben erfolglos. Bei der Vorstellung erschien der Patient mit Fotos auf seinem Laptop in Form einer Präsentation. Außerdem brachte er in einer kleinen Schachtel verpackt, mehere Schuppenhaufen mit.
    • Diagnose: Dermatozoenwahn und irritative Dermatitis aufgrund des zu häufigen Waschens.
    • Behandlung: Lokale Steroide und Olanzapin (Zyprexa) 5 mg/Tag p.o. Der Vorschlag einer psychiatrischen Vorstellung wurde strikt abgelehnt.
    • Verlauf: Nach einem Monat hatte sich der Hautbefund gebessert, der Glaube von Pilzen befallen zu sein bestand jedoch weiterhin. Für die Reinigung des Hauses wurde ein spezielles Gerät gekauft, für das der Patient ein Monatseinkommen ausgab. Die Dosierung des Olanzapins wurde auf 10 mg/Tag erhöht. Nach 3 Monaten zeigte sich ein unauffälliger Hautbefund. Der Glaube an den Pilzbefall bestand nicht mehr.
  • 56-jährige Frau mit einer seit Jahren bestehenden Depression, seit 2 Monaten intensiver Juckreiz am Nacken. Es würde sich anfühlen wie krabbelndes Ungeziefer. Durch topische Steroide und antipruriginöse Substanzen konnte der Juckreiz nicht gestillt werden. Sie entfernte das Ungeziefer immer wieder mit einer Pinzette und einer Stricknadel. In der körperlichen Untersuchung zeigten sich vereinzelte, rote Plaques mit rundlichen Ulzera sowie strichförmige Exkoriationen. Eine mykologische Nativpräparat verlief negativ, es zeigte sich kein Anhalt für Skabies.
    • Diagnose: Dermatozoenwahn.
    • Verlauf: Im Zuge der nächsten Vorstellung klagte die Patientin über Schlaflosigkeit, weinte und brachte das "Ungeziefer" mit, das sie befallen würde, das sich als getrocknete Erbse herausstellte. Beginn einer Therapie mit Olanzapin 5 mg/Tag. Nach einem Monat zeigte sich eine dramatische Besserung mit erscheinungsfreiem Hautbefund und ohne Wahnvorstellung.

Literatur
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  2. Driscoll MS et al. (1993) Delusional parasitosis; A dermatologic, psychiatric, and pharmacologic approach. J Am Acad Dermatol 29: 1023-1033
  3. Ekbom KA (1938) Der präsenile Dermatozoenwahn. Acta Psychiat Neurol 13: 227-259
  4. Harth W et al. (2010) Morgellons in der Dermatologie. JDDG 8: 234-249
  5. Helmchen H (1961) Zur Analyse des so genannten Dermatozoenwahns. Nervenarzt 32: 509-513
  6. Kienbaum S et al. (1994) Dermatozoenwahn. Z Hautkr 69: 711-713
  7. Koo J et al. (2001) Delusions of parasitosis. A dermatologist's guide to diagnosis and treatment. Am J Clin Dermatol 2: 285-290
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  9. Meyerson A (1921) Two cases of acarophobia. Boston Med Surg J 184: 635-638
  10. Musalek M, Berner P (1992) Zur Differentialtypologie des Dermatozoenwahns. In: Kaschka WP, Lungershausen E (Hrsg) Paranoide Störungen. Springer, Berlin Heidelberg New York, S. 67-75
  11. Takahashi T et al. (2003) Sulpiride for treatment of delusion of parasitosis. Psychiatry Clin Neurosci 57: 552-553
  12. Thibierge G (1894) Les acarophobes. Rev gén Clin Thér 32: 373-376
  13. Wilson JW, Miller HE (1946) Delusions of parasitosis (Acarophobia). Arch Dermatol Syphilis 34: 39

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